erzählt in miteinander verknüpften Episoden aus dem mehr oder weniger beschädigten Leben von mehr oder weniger gutsituierten Großstädtern um und jenseits der vierzig. Fraglos ein heikles Alter, und umso heikler wird es, wenn man in ebenjener Lebensphase von den titelgebenden Klarheitsmomenten heimgesucht wird. Jackie Thomaes Figuren erkennen in diesen Augenblicken in der Regel nicht die eigene Unzulänglichkeit, sondern die ihres Partners oder der gemeinsamen Beziehungen. Thomae nimmt jene Momente in den Blick, in denen die Liebe zu Ende geht. Und das, folgt man der Autorin, ist offenbar immerzu und überall der Fall.
Schon der Prolog des Romans - er spielt an einem Flughafenterminal, während der Abflug sich um Stunden verzögert - ist ein Kaleidoskop der Ernüchterung. Auf knapp zwanzig Seiten zoomt Thomae in die Köpfe der verschiedenen Wartenden hinein und enthüllt deren versehrtes Liebesleben. "Eines Morgens, du hast ihn gefragt, ob er noch ein Ei will, hast du es zum ersten Mal gesehen. Er schaute auf und fragte: ,Was?', und in diesem Augenblick hast du begriffen, dass er dich nicht ausstehen kann." Durch die Ansprache in der "Du"-Form, die Thomae in diesem Prolog wählt, hat es gleichsam den Anschein, als würde sie die Reisewilligen, aber an diesem Nicht-Ort Gestrandeten mit einer Art Fluch belegen.
Den Figuren, die Thomae auf den verbleibenden gut 260 Seiten auftreten lässt, geht es kaum anders: Ariane lebt in ihrer dritten Beziehung, hat eine erwachsene Tochter und einen kleinen Sohn und kann nur noch mit müder Befremdung auf ihr Patchwork-Dasein schauen und voller Abscheu auf Hendrik, ihren dritten Mann. In den wiederum verliebt sich die immer perfekt gekleidete Natalie, derweil ihr attraktiver Ehemann Viktor sie regelmäßig betrügt, zuletzt mit der Freundin seines besten Freundes, die wiederum in unbändiger Leidenschaft zu ihm entbrennt. Was jenen besten Freund allerdings nicht sonderlich tangiert. Ein Liebes- oder zumindest Beziehungskarussell in einem recht überschaubaren Milieu kann hier betrachtet werden - alle Figuren bewegen sich im Dunstkreis der Film- und Musikbranche.
Die Männer ertragen bei Thomae entweder stoisch dieses wenig aufwühlende Kreisen des Alltags und der Emotionen, oder aber sie unternehmen versuchsweise extreme Fluchtbewegungen, wie Regisseur Engelhardt, der, bevor er seine Freundin verlässt, erst mal während der Party eines Freundes aus dem Fenster springt - nicht ohne dafür Sorge zu tragen, dass seine, wenngleich schmerzhafte Exzentrik nicht allzu gefährlich wird. Gefeiert wird in einem tiefliegenden Stockwerk.
Die Frauen hingegen, wie es die typischen Geschlechtszuweisungen verlangen, zermartern sich die Köpfe. Oder sie leiden. Wie Maskenbildnerin Doro, die nach zehn Jahren kinderloser Beziehung von ihrem Freund Bender sitzengelassen wird, was ihr lediglich sein Anwalt mitteilt, derweil Bender schon mit seiner neuen, sehr viel jüngeren Freundin auf und davon ist. Frauen um die vierzig, so könnte man es als Resümee aus Thomaes Roman ziehen, werden entweder verzweifelt oder skurril. So wie Maren, die sich dafür entscheidet, den weltlichen Genüssen zu entsagen und fortan ihr Seelenheil in esoterischer Erleuchtung zu finden.
All diese alltäglichen Miseren mögen ganz lustig zu beobachten und, natürlich, auch ein wenig bitter sein. Zugleich aber bringt es eben doch ein diesen Roman entlarvender Satz wie jener eingangs zitierte auf den Punkt. Für eine zerstreuende Fernsehunterhaltung sind diese Nervensägen, denen es objektiv ganz gut geht, sicher ein passender Stoff. In Buchform hat man sich an ihnen bald müde gelesen. Bleibt die eigenartig romantisierende Fußnote, die "Momente der Klarheit" hinterlässt - für alte Menschen und jene, die in der Provinz leben, so suggerieren zwei aus dem Großstädter-Netzwerk herausfallende Episoden, gäbe es noch Hoffnung auf eine erfüllte Liebe. Wer es glaubt.
WIEBKE POROMBKA
Jackie Thomae: "Momente der Klarheit". Roman.
Hanser Berlin Verlag, Berlin 2015. 288 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main