Produktion erst- oder nachgedruckt wurde? Ob es dagegen eher die durch Japans materielle Präsenz geweckte Neugier potentieller Leser war, die den Verlagen Mut machte, oder ob umgekehrt deren Angebot erst den Leserappetit weckte, und welche Rolle dabei die wachsende Zahl an Übersetzern aus dem Japanischen spielt, mag je nach Interessenlage unterschiedlich beantwortet werden.
Tatsache ist jedenfalls, daß sich die Titelproduktion seit etwa einem Jahrzehnt - mit einem absoluten Höhepunkt 1990, als die Frankfurter Buchmesse unter dem Schwerpunktthema "Japan" stand und über 230 Neuübersetzungen und Nachdrucke erschienen - auf einem anhaltend hohen Niveau bewegt.
Der Kompilator der Bibliographie, Jürgen Stalph, übrigens selbst einer der versiertesten Übersetzer aus dem Japanischen, hat in seinem überaus lesenswerten Vorwort noch weitere Beobachtungen zur Geschichte der Eindeutschungen zusammengetragen, die, wie seine Diagramme zeigen, auch ein getreulicher Spiegel politischer Zeitläufte sind. Auf ein kräftiges Hoch zwischen 1935 und 1943 folgen zehn dürre Jahre, in denen, wie Stalph vermerkt, weniger übersetzt wird als in der Frühphase zwischen 1901 und 1910. Erst in den sechziger Jahren nimmt die Produktion wieder deutlich zu und erreicht 1969, im Jahr nach der Verleihung des Literaturnobelpreises an Kawabata, einen zweiten Höhepunkt. Ob eine entsprechende Steigerung auch 1995 zu erwarten ist, nachdem im letzten Herbst mit Ôe der zweite Japaner ausgezeichnet wurde?
Die Bibliographie listet nicht nur Erzähltexte, von der kurzen Prosaskizze bis zum Roman, sondern auch Hörspiele, Dramen und literarische Essays auf. Verzichtet wurde dagegen auf Lyrik, auf Kinder- und Jugendliteratur, auf Nachdichtungen, wie sie vor allem von Märchen und Sagen zahlreich zu finden sind, auf Comics und auf Texte philosophischer oder geisteswissenschaftlicher Natur. Daß die Grenzen zu diesen Genres nicht immer eindeutig zu ziehen sind, liegt auf der Hand, so daß einige Entscheidungen zweifelhaft sein mögen, doch insgesamt besticht diese Liste durch bewundernswerte Genauigkeit, Benutzerfreundlichkeit und offensichtlichen detektivischen Spürsinn, mit dem Übersetzungspassagen auch noch aus den abgelegensten Dissertationen oder längst vergessenen Periodika ausfindig gemacht und durch exakte Angaben zu Autor und Publikation des japanischen Originals ergänzt wurden.
Wer die Mühen dieser Recherchen über dreihundert Autoren und ihrer Werke, zu denen in den meisten Fällen keine ausführlichen Werkverzeichnisse existieren, kennt, gerät ob dieses Buches ins Staunen, vor allem, wenn er dazu noch erfährt, daß die weitaus meisten Einträge, seien sie nun aus dem "Ostasiatischen Lloyd. Organ für die deutschen Interessen im fernen Osten" (Shanghai, 19. Jahrgang, 1905) oder aus den 1933 in Kobe erschienenen "English and German speeches and readings by foreign teachers", de visu überprüft wurden.
Nun ist ein Buch dieser Art im allgemeinen ein willkommenes Hilfsmittel für Bibliothekare und Spezialisten. Dieses aber lädt darüber hinaus zum Schmökern ein, denn es ist mit kleingedruckten Textpassagen gespickt, die, ursprünglich als bloße Umbruchhilfe gedacht, so manche Entdeckung bereithalten: Es sind kleine Leseproben, Klappentexte, biographische Notizen und andere mit Sinn für Witz ausgesuchte Trouvaillen. Von Akutagawas 1916 erschienener Erzählung "Die Nase" etwa werden fünf zwischen 1927 und 1979 publizierte Übersetzungen aufgelistet. Vier davon kann der Leser auf einen Blick anhand der Einleitungssätze vergleichen. - Der Eintrag zu Tanizakis Roman "Tagebuch eines alten Narren" zitiert die Verpflichtungsbeilage zur Rowohlt-Ausgabe von 1966: ". . . Ich werde das Buch verschlossen aufbewahren und Jugendlichen nicht zugänglich machen. Ich werde das Buch außerdem weder privat noch gewerblich ausleihen. Genaue Anschrift . . . Unterschrift . . . Datum."
Kein Zweifel, diese Übersetzungsbibliographie ließe sich auch als Beitrag zur Geschichte der deutsch-japanischen Beziehungen, ja sogar als kleiner Exkurs zur deutschen Kulturgeschichte lesen. IRMELA HIJIYA-KIRSCHNEREIT
Jürgen Stalph, Gisela Ogasa, Dörte Puls: "Moderne japanische Literatur in deutscher Übersetzung". Eine Bibliographie der Jahre 1868-1994 (Bibliographische Arbeiten aus dem Deutschen Institut für Japan-Studien der Philipp-Franz-von-Siebold-Stiftung, Band 3). Iudicium Verlag, München 1995. 255 S., geb., 38,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main