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Michelin
Buch
Michelin Rote Führer. Deutschland 2003
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Michelin Rote Führer. Deutschland 2003
Produktdetails
- Verlag: Michelin
- ISBN-13: 9782067100022
- ISBN-10: 2067100025
- Artikelnr.: 24251968
Herstellerkennzeichnung
Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Haßt du Töne? Der Michelin plappert
Wo sind die neugekorenen Könige der Köche? Das war nie die Frage, seit es den Guide Michelin gibt. Denn wer ihre Sterne in der Bibel der Feinschmecker gesehen hat, findet dort auch Stadtpläne. Die kartographische Präzisionsarbeit bürgt für die Objektivität der Kochkunstkritik, ist doch das Maß der Küchenleistung die Entfernung, deren Überwindung die Einkehr lohnt: Drei Sterne sind "eine Reise wert", zwei "einen Umweg". Einem mathematischen Modell der Rationalität zeigt sich der Reifenhersteller aus Clermont-Ferrand verpflichtet, das man klassisch französisch nennen muß. Als dreidimensionalen Raum konstruiert Michelin den Kosmos des Gekochten: Aus der Berechnung der Koordinaten ist alle
Wo sind die neugekorenen Könige der Köche? Das war nie die Frage, seit es den Guide Michelin gibt. Denn wer ihre Sterne in der Bibel der Feinschmecker gesehen hat, findet dort auch Stadtpläne. Die kartographische Präzisionsarbeit bürgt für die Objektivität der Kochkunstkritik, ist doch das Maß der Küchenleistung die Entfernung, deren Überwindung die Einkehr lohnt: Drei Sterne sind "eine Reise wert", zwei "einen Umweg". Einem mathematischen Modell der Rationalität zeigt sich der Reifenhersteller aus Clermont-Ferrand verpflichtet, das man klassisch französisch nennen muß. Als dreidimensionalen Raum konstruiert Michelin den Kosmos des Gekochten: Aus der Berechnung der Koordinaten ist alle
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Subjektivität ausgeschieden. Die drei Ordnungen der besternten Häuser bilden ein vollkommenes Ganzes, ein Abbild des Himmels wie die Lehnspyramide. Hinzutritt, wie Reinhard Brandt es für dieses sozialgeometrische Muster als Regel erwiesen hat, als Basis eine vierte Kategorie: die Betriebe, die zwar keinen Stern erhalten haben, deren Nennung aber ebenfalls als Empfehlung zu verstehen ist.
Dem absoluten Charakter der Urteile entspricht der Verzicht auf Begründungen. Weshalb ein neuer Fürst des Herdes gekrönt worden ist, müssen die Weisen aus dem Magenlande, die ihre Ernährung nach dem bestirnten Himmel richten, im Selbstversuch in Erfahrung bringen. Gerade daß der Michelin Jahr um Jahr nichts als die Rangtabelle publizierte, gab ihm Autorität zumal bei den Köchen selbst. Der Michelin-Tester sagt zur Auster so wenig wie diese zum Briefträger: Er ist ein Küchenkulturdiplomat, der nicht nur im Restaurant incognito bleiben will. Aber was ist mit dem unfehlbaren Kompaß geschehen? Wir erkennen die kulinarische Landkarte nicht wieder, müssen wir doch lesen: "Das Bosporus verbindet Köln mit dem Orient." Da erübrigt sich mancher Umweg! Das falsche Genus sieht man einem Werk nach, das in der Sprache der zwei Geschlechter denkt. Doch wie französisch denkt der Michelin noch?
Es gilt eine Revolution zu verkünden. "Neu!" kommt die jüngste Auswahlliste königlicher Tafeln in Deutschland daher ("Der rote Michelin-Führer". Deutschland 2003. Michelin Reiseverlag, Karlsruhe 2002. 1615 S., geb., 29,50 [Euro]), "mit Kurzbeschreibungen". Der Kurfürst spricht. Ich muß träumen! Er spricht allerdings weniger über das Essen als über das sogenannte Ambiente, zu deutsch das Drumherum. Vorhang auf für das "Opéra" in Frankfurt: "Aufwendig restauriertes ehemaliges Foyer der Alten Oper mit Stuckdecken, Wandverzierungen und reichlich Blattgold." Werden die Menüs womöglich deshalb in echtes Blattgold eingewickelt, damit sie etwas teurer werden? Kein Wort zur Küche, statt dessen eine Wegbeschreibung. "Zur Restaurant-Ebene kommt man mit Aufzug oder Treppe." Und ich Depp habe mir eingebildet, ich könnte mich in einer Sänfte abholen und mir vom Konzertpublikum zujubeln lassen!
Wer seine Mahlzeiten unter reichlich Wandverzierungen einzunehmen liebt, kann in Frankfurt auch das "Français" aufsuchen. "Das Restaurant des beeindruckenden Grandhotels Frankfurter Hof präsentiert sich in klassisch-elegantem Gewand. Kristallüster und Gemälde verbreiten einen Hauch Noblesse." Das soll eine kompetente Kurzmitteilung sein? Ahem! Keine Stehlampen und Blümchentapeten also im ersten Haus am Platz, die den Mief der Kleinbourgeoisie verbreiten können. Hätte man die zwei Zeilen nicht besser genutzt, um Patrick Bittners Küchenstil zu charakterisieren und implizit zu begründen, warum man ihm keinen Stern gibt? Doch ein kritisches Wörtchen über einen Koch ist auf sechzehnhundert Seiten nicht zu finden.
Wird der Michelin den Nimbus des unbestechlichen Richters bewahren, der bei Abwertungen besonders streng verfährt? Daß er nur empfiehlt, verbreitete einen Hauch Noblesse, solange die Tester Diskretion walten ließen. Lauter Lobreden im Zweizeilentakt klingen nun wie eine Werbebroschüre vom Hotel- und Gaststättenverband. Da wird man nicht bedient, sondern verwöhnt, da wird nicht zubereitet, sondern gezaubert. Und was "weht über das klassische Interieur" jenes türkischen Lokals, das Köln mit dem Orient verbindet und nicht etwa mit dem Wilden Westen? Natürlich: ein "Hauch von 1001 Nacht".
Der Kulissenzauber in den Kürzestgeschichten aus tausendundeinem Restaurant mag den Sinn haben, dem kritischen Urteil seinen Arkanbereich zu erhalten. Aber durchgehalten wird dieses Schweigegebot nicht. Daß das "Carême" bei Aschaffenburg, befördert in die Zwei-Sterne-Klasse, eine "kreative, aromatische Küche auf klassischer Basis" biete, will einem als prägnante Charakterisierung nicht mehr schmecken, nachdem man unzählige Prämierungen klassischer Interieurgestaltung geschluckt hat. Das Düsseldorfer "Schiffchen", vom Gault Millau aus der Wertung herausgenommen, segelt weiter unter drei Sternen: "Eine der besten französischen Küchen des Landes!" Das Ausrufezeichen zeigt, daß die Tester es ernst meinen. Aber sollte die Höchstnote nicht für sich sprechen? "Die Räume sind renoviert, die Polster hell bezogen." So ein kreativer Kissenbezug auf klassischer Stuhlbasis ist doch immer wieder eine Reise wert.
2000, im Jahr seines hundertsten Geburtstages, führte der französische Guide Rouge die Kurzbeschreibungen ein. Die nationalen Ausgaben bedienen sich nun auch der Nationalsprachen. Früher hatte man glauben können, die Sprache der Kulinarik sei universal. So zerstört sich eine Institution des klassischen Wissensregimes der französischen Kultur. Jean Giono warnte vor der Überschätzung des Scharfsinns der Schweigsamen: Es gibt auch leere Truhen. Trauriger aber sind die Truhen, die plötzlich aufspringen und ihren Plunder ins Ambiente ergießen.
PATRICK BAHNERS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Dem absoluten Charakter der Urteile entspricht der Verzicht auf Begründungen. Weshalb ein neuer Fürst des Herdes gekrönt worden ist, müssen die Weisen aus dem Magenlande, die ihre Ernährung nach dem bestirnten Himmel richten, im Selbstversuch in Erfahrung bringen. Gerade daß der Michelin Jahr um Jahr nichts als die Rangtabelle publizierte, gab ihm Autorität zumal bei den Köchen selbst. Der Michelin-Tester sagt zur Auster so wenig wie diese zum Briefträger: Er ist ein Küchenkulturdiplomat, der nicht nur im Restaurant incognito bleiben will. Aber was ist mit dem unfehlbaren Kompaß geschehen? Wir erkennen die kulinarische Landkarte nicht wieder, müssen wir doch lesen: "Das Bosporus verbindet Köln mit dem Orient." Da erübrigt sich mancher Umweg! Das falsche Genus sieht man einem Werk nach, das in der Sprache der zwei Geschlechter denkt. Doch wie französisch denkt der Michelin noch?
Es gilt eine Revolution zu verkünden. "Neu!" kommt die jüngste Auswahlliste königlicher Tafeln in Deutschland daher ("Der rote Michelin-Führer". Deutschland 2003. Michelin Reiseverlag, Karlsruhe 2002. 1615 S., geb., 29,50 [Euro]), "mit Kurzbeschreibungen". Der Kurfürst spricht. Ich muß träumen! Er spricht allerdings weniger über das Essen als über das sogenannte Ambiente, zu deutsch das Drumherum. Vorhang auf für das "Opéra" in Frankfurt: "Aufwendig restauriertes ehemaliges Foyer der Alten Oper mit Stuckdecken, Wandverzierungen und reichlich Blattgold." Werden die Menüs womöglich deshalb in echtes Blattgold eingewickelt, damit sie etwas teurer werden? Kein Wort zur Küche, statt dessen eine Wegbeschreibung. "Zur Restaurant-Ebene kommt man mit Aufzug oder Treppe." Und ich Depp habe mir eingebildet, ich könnte mich in einer Sänfte abholen und mir vom Konzertpublikum zujubeln lassen!
Wer seine Mahlzeiten unter reichlich Wandverzierungen einzunehmen liebt, kann in Frankfurt auch das "Français" aufsuchen. "Das Restaurant des beeindruckenden Grandhotels Frankfurter Hof präsentiert sich in klassisch-elegantem Gewand. Kristallüster und Gemälde verbreiten einen Hauch Noblesse." Das soll eine kompetente Kurzmitteilung sein? Ahem! Keine Stehlampen und Blümchentapeten also im ersten Haus am Platz, die den Mief der Kleinbourgeoisie verbreiten können. Hätte man die zwei Zeilen nicht besser genutzt, um Patrick Bittners Küchenstil zu charakterisieren und implizit zu begründen, warum man ihm keinen Stern gibt? Doch ein kritisches Wörtchen über einen Koch ist auf sechzehnhundert Seiten nicht zu finden.
Wird der Michelin den Nimbus des unbestechlichen Richters bewahren, der bei Abwertungen besonders streng verfährt? Daß er nur empfiehlt, verbreitete einen Hauch Noblesse, solange die Tester Diskretion walten ließen. Lauter Lobreden im Zweizeilentakt klingen nun wie eine Werbebroschüre vom Hotel- und Gaststättenverband. Da wird man nicht bedient, sondern verwöhnt, da wird nicht zubereitet, sondern gezaubert. Und was "weht über das klassische Interieur" jenes türkischen Lokals, das Köln mit dem Orient verbindet und nicht etwa mit dem Wilden Westen? Natürlich: ein "Hauch von 1001 Nacht".
Der Kulissenzauber in den Kürzestgeschichten aus tausendundeinem Restaurant mag den Sinn haben, dem kritischen Urteil seinen Arkanbereich zu erhalten. Aber durchgehalten wird dieses Schweigegebot nicht. Daß das "Carême" bei Aschaffenburg, befördert in die Zwei-Sterne-Klasse, eine "kreative, aromatische Küche auf klassischer Basis" biete, will einem als prägnante Charakterisierung nicht mehr schmecken, nachdem man unzählige Prämierungen klassischer Interieurgestaltung geschluckt hat. Das Düsseldorfer "Schiffchen", vom Gault Millau aus der Wertung herausgenommen, segelt weiter unter drei Sternen: "Eine der besten französischen Küchen des Landes!" Das Ausrufezeichen zeigt, daß die Tester es ernst meinen. Aber sollte die Höchstnote nicht für sich sprechen? "Die Räume sind renoviert, die Polster hell bezogen." So ein kreativer Kissenbezug auf klassischer Stuhlbasis ist doch immer wieder eine Reise wert.
2000, im Jahr seines hundertsten Geburtstages, führte der französische Guide Rouge die Kurzbeschreibungen ein. Die nationalen Ausgaben bedienen sich nun auch der Nationalsprachen. Früher hatte man glauben können, die Sprache der Kulinarik sei universal. So zerstört sich eine Institution des klassischen Wissensregimes der französischen Kultur. Jean Giono warnte vor der Überschätzung des Scharfsinns der Schweigsamen: Es gibt auch leere Truhen. Trauriger aber sind die Truhen, die plötzlich aufspringen und ihren Plunder ins Ambiente ergießen.
PATRICK BAHNERS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Nicht weniger als ein "Abbild des Himmels" leistet der Guide Michelin, nicht zuletzt weil es ihm um die kartografische Verortung der von ihm durch Besternung und Nennung ausgezeichneten Restaurants zu tun ist. Begründungen dagegen der Aufnahme hält man, höchstrichterlich, für überflüssig. Besser: hielt man, denn nun, in der neuesten Auflage, gibt es, Patrick Bahners zeigt sich entgeistert, "Kurzbeschreibungen". Weniger des Essens zwar, aber doch des sogenannten "Ambientes". Darüber nichts als Spott des Rezensenten, der gewiss, er versichert es mehrmals, nicht der Stuhlbezüge wegen den Weg zum Zwei- oder Drei-Sterne-Restaurant auf sich nimmt. Etwas vornehmer gesagt: "So zerstört sich eine Institution des klassischen Wissensregimes der französischen Kultur."
© Perlentaucher Medien GmbH
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