Wasserknappheit. Vielleicht wird es daher demnächst sogar Kriege um Wasser geben. Im regenreichen Mitteleuropa mag man das für Schwarzmalerei halten. Hier fällt es den Leuten, zumal in einem kühlen, nassen Sommer, schwer, sich in die Lage von Menschen zu versetzen, die in Gegenden leben, die ihr Leben lang mit Wassermangel fertig werden müssen. Dabei ist gerade dieser Sommer mit seinen extrem hohen Temperaturen und anhaltender Trockenheit in einem breiten Gürtel von Südosteuropa über den Nahen und Mittleren Osten bis nach Nordindien hinein besonders geeignet, den Zusammenhang zwischen Bevölkerungswachstum und Wasserversorgung darzustellen.
Die von der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung schon früher herausgegebene, jetzt aber aktualisierte und überarbeitete Studie dreier Amerikaner der Organisation Population Action International (PAI) kommt genau zum richtigen Zeitpunkt. In dem schmalen Band ist kurz und knapp zusammengefasst, was man zu diesem Thema wissen sollte. "Erst wenn die Wasserleitungen nichts mehr hergeben", heißt es darin, "werden die Bewohner der Industrieländer daran erinnert, wie wichtig die Wasserversorgung für alle Aspekte des Lebens ist." In den Entwicklungsländern der Dritten Welt brauchen Millionen Menschen solche Nachhilfe nicht. Viele von ihnen, meist sind es Frauen, müssen jeden Tag kilometerweit gehen, um Wasser zu finden und nach Hause zu tragen. Demnächst wird es für sie vermutlich noch schwieriger werden, ihren täglichen Wasserbedarf zu decken. Denn es gibt heute nicht wesentlich mehr Süßwasser als vor 2000 Jahren, als die Menschheit weniger als drei Prozent der heute sechs Milliarden betrug. Doch selbst in Ländern, die in der Statistik noch als Staaten mit ausreichender Wasserversorgung auftauchen, wie etwa Indien, hat die Bevölkerung in einigen Gegenden nicht genug sauberes Trinkwasser. Durch das Bevölkerungswachstum von ungefähr 15 Millionen Menschen pro Jahr steht pro Kopf der mehr als eine Milliarde Inder immer weniger Wasser zur Verfügung. Ähnliches gilt für China. Der Zusammenhang zwischen Wasserbedarf und Bevölkerungsentwicklung ist offenkundig. Bisher konnte dieser Bedarf immer noch irgendwie gedeckt werden, entweder durch Ausbeutung unterirdischer Süßwasserreserven, durch Meerwasserentsalzung, durch natürliche oder künstliche Auffangbecken, durch immer tiefere Brunnenbohrungen und Ähnliches mehr. Doch alldem sind nach Ansicht der Fachleute Grenzen gesetzt: durch sinkende Grundwasserspiegel, durch Versalzung, durch die starke Umweltverschmutzung beim Verfeuern fossiler Brennstoffe in den Meerwasserentsalzungsanlagen, zu schweigen von den enormen Kosten dieser Art von Trinkwassergewinnung.
Das Wachstum der Weltbevölkerung, da sind sich alle Demographen einig, wird noch einige Jahrzehnte weitergehen. Es kann allerdings beeinflusst werden, wenn der Wille dazu da ist. Je nachdem welche der drei Vorausschätzungen der Bevölkerungsabteilung der Vereinten Nationen eintrifft, die höchste, die mittlere oder die niedrigste, können die Unterschiede Hunderte von Millionen Menschen betragen. Je geringer das Bevölkerungswachstum ausfällt, desto mehr Zeit wird gewonnen zur Linderung oder gar Behebung des immer mehr Menschen bedrohenden Wassermangels und auch zur Lösung der damit unweigerlich verbundenen politischen Konflikte. Man denke nur an den Streit zwischen Israelis und Palästinensern über die künftige Verteilung der beiden zur Verfügung stehenden Wassermenge. Nicht weniger heikel ist die Lage für Ägypten, das zu 97 Prozent vom Nilwasser abhängig ist, von dem aber stromaufwärts auch Äthiopien und Sudan mehr als bisher profitieren wollen. Auch hier wird die Situation durch immer mehr Menschen allmählich bedrohlich. Viele solcher potenziellen Wasserkonfliktherde in anderen Weltgegenden ließen sich aufzählen.
"Nur einer gräbt den Brunnen, aber viele kommen, daraus zu trinken", heißt ein afrikanisches Sprichwort. Wenn es zu viele werden, ist der Brunnen eines Tages trocken.
KLAUS NATORP
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