des Kurzwellensenders Radio Österreich International. Mit diesem Buch will er, so die erklärte Absicht, einem Land seinen Dank abstatten, in dem er erfolgreich war und ist, das aber auch selbst zu einer Erfolgsgeschichte geworden ist - politisch wie wirtschaftlich.
Das hört sich nach Verklärung an, doch dieser Gefahr erliegt Lendvai nicht; dazu hat er als Journalist zu viel gesehen und gehört. Eher ist es eine Selbstermahnung zur fairen Betrachtung auch dunkler, schwieriger Kapitel der österreichischen Geschichte: so etwa der Neugründung der Republik nach dem Krieg, die nicht zuletzt auf dem Mythos beruhte, "das erste Opfer" Hitlers gewesen zu sein. Lendvai behandelt das - abgewogen und kritisch-verständnisvoll - zu Beginn seines Buches, bevor er zu den selbsterlebten Zeiten kommt, in denen er tatsächlich einen Blick "hinter die Kulissen der Macht" werfen konnte.
Lendvai glaubt an die Bedeutung der Individuen in der Politik, die an Wendepunkten den Lauf der Geschichte verändern können. So ist sein Buch nicht zuletzt eine Geschichte Österreichs, die sich am Wirken (oder Versagen) seiner führenden Politiker, insbesondere der Bundeskanzler orientiert. Sieht man von der schwierigen Phase des Anfangs mit den "Gründervätern" Karl Renner, Julius Raab und Leopold Figl ab, deren Leistungen Lendvai als Historiker würdigt, ist sein Fixstern am politischen Himmel Österreichs Bruno Kreisky (über den er auch eine Biographie verfasst hat). Der von Spöttern gerne als "Sonnenkönig" bezeichnete Großbürger ist für Lendvai "der bedeutendste Politiker, den das Österreich der beiden Republiken hervorgebracht hat", jener Kanzler, der dem Land in der Weltpolitik ein Gewicht verschafft hat, das über seine Größe und Bedeutung hinausging.
Lendvai verschweigt nicht die Schattenseiten dieses "berufsmäßigen Zauberkünstlers", der selbst gerne Journalist geworden wäre und es als großer Kommunikator hervorragend verstand, Presseleute für sich einzunehmen: seine Launenhaftigkeit, das Festhalten an der Macht als gealterter, schwerkranker Kanzler, seine Fehde mit dem "Nazi-Jäger" Simon Wiesenthal. Überhaupt behandelt eines der interessantesten Kapitel die schwer begreifliche Großzügigkeit, mit der Kreisky, selbst Jude, über das Versagen vieler seiner Landsleute in der Zeit des Nationalsozialismus hinwegsah und auch Politiker verteidigte, deren Vergangenheit tiefbraun war. Dass es diese nicht nur bei den "Bürgerlichen" gab, also in der anfangs notorisch verdächtigen FPÖ und in der Volkspartei, sondern im gleichen Maß bei den Sozialisten, beschreibt Lendvai an einigen Fällen eindringlich.
Doch neben Bruno Kreisky kommen andere Kanzler nicht zu kurz: Da ist der als unpolitisch verschrieene Josef Klaus, der schon als Finanzminister Grundlagen für das österreichische Wirtschaftswunder gelegt hatte und "Ziehvater" vieler späterer ÖVP-Größen war; da gibt es Fred Sinowatz (SPÖ), von dem Lendvai meint, "dieser kenntnisreiche, grundanständige und gesundheitlich angeschlagene Politiker" werde bis heute unterschätzt.
Neben der kurzen Zeit der Kanzler Sinowatz und Viktor Klima nehmen sich die Regierungsjahre von Franz Vranitzky, der zwar ein Langweiler war, aber äußerst telegen, geradezu unendlich aus. Und dann kam Wolfgang Schüssel (ÖVP), der es wagte, den großkoalitionären Konsens aufzukündigen, und mit Jörg Haiders Freiheitlicher Partei Österreichs (FPÖ) eine schwarz-blaue Regierung bildete. Die internationalen Proteste und die EU-Sanktionen - eine einmalige Aktion, die man einem größeren Land gegenüber nicht gewagt hätte - hat Lendvai schon damals, unter anderem in dieser Zeitung, "eine Wolke von falscher Selbstgerechtigkeit, von doppeltem Maßstab und von einem bestürzenden Mangel an Fairness" genannt. Schließlich hat Schüssel mit seiner Umarmungspolitik Haider entzaubert, die FPÖ gespalten und damit den österreichischen Rechtspopulismus zurückgestutzt. Warum der erfolgreiche Kanzler die Wahlen dann trotz günstiger Ausgangslage gegen den SPÖ-Vorsitzenden Gusenbauer verlor, bleibt auch für Lendvai ein wenig rätselhaft.
Dies ist ein Buch für alle, denen wissenschaftliche Werke zu unhandlich sind, die aber dennoch etwas über die neuere Geschichte unseres Nachbarlandes erfahren wollen. Lendvais subjektiver Blick hinter die Kulissen ist in summa - entgegen dem Titel - doch eine objektive, zuverlässige, vor allem aber anschauliche und gut lesbare Geschichte seiner Wahlheimat.
GÜNTHER NONNENMACHER
Paul Lendvai: Mein Österreich. 50 Jahre hinter den Kulissen der Macht. Ecowin Verlag, Salzburg 2007. 328 S., 23,60 [Euro].
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