beide Dirigentenwitwen, dem Zahn der Zeit und allen Temperamentsunterschieden zum Trotz, dabei auf phänomenale Weise ebenjenes junge Ding geblieben sind, das sie einst gewesen waren. Klaus Lang, der die Lebenserinnerungen von Elisabeth Furtwängler im Interview erfragte, ist davon so beeindruckt, dass er seinem Buch den Untertitel gab: "Mädchen mit 95 Jahren?" (Elisabeth Furtwängler: "Mädchen mit 95 Jahren?" Gespräche und Tagebuch-Blätter, Briefwechsel. Novum Verlag, Wien, München 2007. 437 S., zahlr. Abb., geb., 21,90 [Euro]). Eliette von Karajan, die ihre Autobiographie selbst schrieb und dabei offenbar von keinem Lektor gestört wurde, flirtet mit dem Leser so kokett, dass man ihr Parfüm fast riechen, ihr Kichern beinahe hören kann (Eliette von Karajan: "Mein Leben an seiner Seite". Autobiographie. Ullstein Verlag, Berlin 2008. 237 S., Abb., geb., 22,90 [Euro]).
Als historische Quelle sind diese Bücher also eher untauglich. Zwar mögen die Erinnerungen gefühlt "authentisch" sein. Doch sind sie unscharf, größtenteils sogar unwichtig. Man erfährt weder etwas Neues über den Charakter noch über das Werk Wilhelm Furtwänglers aus den postumen Ergebenheitsadressen seiner Ehefrau. Und Gesprächspartner Lang bleibt ganz Kavalier, er rückt nichts gerade, hakt nie nach, auch wenn er es manchmal vielleicht besser weiß. Zum Beispiel: "Du willst also behaupten, dass Furtwängler und Karajan nicht ein einziges Mal miteinander gesprochen haben?" Elisabeth Furtwängler: "Nein, nie!" Das bleibt so stehen.
Dabei saß sie selbst mit am Tisch an jenem 12. Juli 1947, als der EMI-Plattenproduzent Walter Legge einen letzten Versuch unternahm, die ausgeprägte Karajanphobie Furtwänglers in Wohlgefallen aufzulösen, indem er beide Dirigenten samt Ehefrauen (in Karajans Fall war es noch seine zweite, Anita Gütermann) zum Lunch in ein Salzburger Hotel einlud. Man unterhielt sich höflich, doch gleich am nächsten Morgen diktierte Furtwängler der Leitung der Salzburger Festspiele eine neue Vertragsbedingung: Er werde nur dann dirigieren, wenn Karajan künftig von den Festspielen ausgeschlossen werde. Ähnlich setzte Furtwängler kurz darauf die Wiener Philharmoniker unter Druck. Der legendäre Lunch ist zwar mehrfach bezeugt, sogar im Gästebuch des Hotels vermerkt worden, wo er stattfand. Aus dem Gedächtnis der Witwe aber wurde er getilgt, wie alle Stellen, die das Bild des Gatten trüben könnten.
Mindestens so treu zu ihrem Ehemann hält auch Eliette. Für sie ist und bleibt Herbert von Karajan ein Ausbund an Weisheit und Güte. Und mal abgesehen davon: Er sah einfach toll aus. "Als Herbert dann seine stahlblauen Augen in meine senkte, war es endgültig um mich geschehen." Nicht nur an dieser Stelle des rosaroten Witwenpoesiealbums wünschen wir uns live einen Himmel voller Geigen. Jeder Tag mit Herbert muss so ein Glanz gewesen sein. Auf jeder Seite des Buches tritt wenigstens ein Promi in Erscheinung, von Greta Garbo über Ari Onassis bis Curd Jürgens - alles "gute Freunde", die ein und aus gingen bei der beliebten Partygastgeberin Eliette, in diesem oder jenem ihrer Häuser in Saint-Tropez, Sankt Moritz oder Anif bei Salzburg.
Oft musste sie freilich auch aus dem Koffer leben. Vom Tag der Hochzeit an ist Eliette von Karajan dem geliebten Mann nämlich nicht mehr von der Seite gewichen, sie saß in allen Proben, sämtlichen Aufführungen. Karajan habe sich, erläutert sie, stets anschließend mit ihr beraten. Worüber, das bleibt ihr Geheimnis. Wo immer nämlich sich Madame von Karajan zu musikalischen Fragen äußert (was Frau Furtwängler klugerweise unterlässt), wird es putzig. So erfährt man zum Beispiel, dass Karajan, als er 1958 Bachs Drittes Brandenburgisches vom Cembalo aus dirigierte, eine "historische Aufführungspraxis" angewandt habe, die "heutzutage nur noch selten zum Einsatz" komme.
Im Anhang lässt Eliette von Karajan alle Musikfilme Karajans auflisten. Wozu? Nutzlos auch der dicke Appendix im Furtwängler-Buch, darin erstmals Auszüge aus der Korrespondenz der jungen Eheleute veröffentlicht werden. Es geht darin, mitten in den letzten Kriegs- und ersten Friedenstagen, um Eifersüchteleien, Harnsteine und ausbleibende Perioden. Man muss das nicht wissen.
ELEONORE BÜNING
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