bekannt wären, doch an ihrer wirtschaftspolitischen Richtigkeit hat sich dennoch nichts geändert.
Die zweite traurige Botschaft des Buches spricht Merz nicht offen aus: Mit seinem Abgang aus der Politik im kommenden Jahr verliert die Union ihren vielleicht letzten profilierten Wirtschaftspolitiker. Und damit wird die Plattform für Populisten wie Oskar Lafontaine frei, über den Merz schreibt: "Heute kommt die Linke zwar nicht mehr in Gestalt der vulgär-marxistischen Theorie der späten sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts daher. Aber sie findet in der Linkspartei eine neue Plattform und in Oskar Lafontaine einen auch rhetorisch versierten Anführer und Verführer."
Enttäuschend sind die ersten rund 50 Seiten des Buches. Denn seine Ausführungen über Gerechtigkeit, Soziale Marktwirtschaft und Neoliberalismus sind langatmig. Dabei unterliegt er auch einem Irrtum, wenn er schreibt, dass es Erhard als Wirtschaftsminister zu Beginn der Bundesrepublik einfacher gehabt habe als seine Nachfolger heute. Denn Erhard brauchte viel Mut und musste von den marktwirtschaftlichen Prinzipien zutiefst überzeugt gewesen sein, als die Deutschen am Tag nach der Währungsreform für ihren Einkauf keine Lebensmittelmarken mehr benötigten. Mit der Abschaffung der behördlichen Zuteilung von Lebensmittelmarken unternahm Erhard in einer Zeit bitterster Armut ein Wagnis.
In den nächsten Kapiteln widmet sich Merz den Fragen, die ihn seit Jahren umtreiben. Vor allem fordert er die Menschen auf, mehr Eigenverantwortung zu übernehmen. Sei es in der Renten- und Krankenversicherung, sei es bei der Bildung. Voraussetzung dafür sei, dass der Staat den Bürgern mehr Freiräume lassen müsse. Natürlich darf auch der Verweis auf "mehr Brutto vom Netto" nicht fehlen. Denn dann ließe sich auch die Zahl der Aktionäre in Deutschland deutlich erhöhen, damit die Menschen in Deutschland nicht länger allein auf die umlagefinanzierte gesetzliche Rentenversicherung angewiesen seien.
Bei aller berechtigten Kritik an der großen Koalition tut Merz jedoch der Regierung unrecht, wenn er ihr vorwirft, dass "seit der Bundestagswahl 2005 und dem Erstarken der Linkspartei die Reformen im Bereich der Sozialversicherungen jedoch abrupt zum Erliegen gekommen" seien. Da vergisst Merz, dass vor allem der frühere Sozialminister Franz Müntefering (SPD) viel Durchsetzungsvermögen benötigte, um die "Rente mit 67" gegen den Widerstand aus den eigenen Reihen und der Gewerkschaften ins Gesetzesblatt zu bringen.
Im Buch wird auch klar, dass der in gesellschaftspolitischen Fragen konservative Merz nicht der "eiskalte Turbokapitalist" ist, als der er oft gebrandmarkt wird. Denn auch mit den Unternehmern geht er hart ins Gericht. "Man kann nicht erwarten, dass in deutschen Unternehmen die Beschäftigten chinesische Löhne bekommen und die Manager amerikanische Gehälter. Das sprengt den betrieblichen und gesellschaftlichen Zusammenhalt auseinander", schreibt Merz ihnen ins Stammbuch.
Kritisch setzt Merz sich auch mit den Akteuren an den Finanzmärkten auseinander. Die Ausdifferenzierung der Palette von Finanzmarktprodukten habe schließlich dazu geführt, dass selbst die Profis den Überblick über das Angebot verloren haben. Allerdings sind seine Ausführungen zur Finanzmarktkrise sehr knapp, weil sie erst mit voller Wucht zuschlug, als Merz sein Buch bereits beendet hatte.
Enttäuschend ist, dass Merz zwar die Schwierigkeiten der Geringqualifizierten am Arbeitsmarkt anspricht, doch keine Lösungen anbietet. Kein Wort verliert er über die Notwendigkeit, durch den Ausbau frühkindlicher Erziehung auch Kindern aus bildungsfernen Schichten den sozialen Aufstieg zu ermöglichen. Dabei steht die Generation seiner Kinder, der Merz sein Buch widmet, vor einer immensen Aufgabe, wenn die Zahl der Arbeitslosen mit geringer Qualifikation nicht gesenkt wird. Immer weniger gut qualifizierte Beschäftigte müssen künftig nicht nur die Rente finanzieren, sondern auch kommende Hartz-IV-Generationen.
Das Buch von Merz macht traurig. Denn er gibt darin viele vernünftige wirtschaftspolitische Lösungsvorschläge und wird dennoch am Tag der Präsentation vom Generalsekretär seiner Partei, die sich immer wieder auf Erhard beruft, verhöhnt. Merz hatte jahrelang auch als Fraktionsvorsitzender seiner Partei die Möglichkeit, die öffentliche Meinung und seine eigene Partei von den Idealen der Sozialen Marktwirtschaft zu überzeugen. Indirekt gesteht er mit seinem Buch sein politisches Scheitern ein und überlässt damit den Populisten das Feld. Ob Merz seinen Kindern und ihren Generationen mit seinem Abschied aus der aktiven Politik einen Gefallen tut, muss er mit sich selbst austragen.
MATTHIAS MÜLLER
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