ersten Mal die Chance zum Ausbruch: Sie mußten nicht als Autodidaktinnen nach der Hausarbeit an der Staffelei stehen, sondern wurden zugelassen zu den Kunstakademien, wo sie im Wettbewerb mit ihren männlichen Kollegen ihren eigenen Stil suchen, finden und entwickeln konnten. Andererseits mußte diese Generation von Künstlerinnen aber vor allem den Zweiten Weltkrieg überstehen, der jäh in viele Lebensläufe und Karrieren einbrach.
In Porträts und Selbstbildnissen erkunden diese Frauen die Spuren, die Krieg, Angst und Leid auf den Gesichtern hinterlassen haben. Menschen waren für sie nicht nur Produkte der Gesellschaft, mithin keine konventionellen Modelle, sondern Individuen, die sich allein oder in der Gruppe behaupten mußten. Vor allem in zwischenmenschlichen Beziehungen entdeckten diese Malerinnen jene Katastrophen, die ihre männlichen Kollegen auf der Gesellschaftsbühne anprangerten. Doch besonders auch Stilleben waren beliebte Bildthemen der Künstlerinnen: Hatten sie von den Menschen genug, nahmen sie gern Zuflucht zu Blumen oder Dingen, die zuverlässiger waren als Menschen.
Ingrid von der Dollen hat über die Kunst dieser "verschollenen Generation" von deutschen und österreichischen Malerinnen promoviert. Aus ihrer Dissertation ist nun ein prachtvoll bebilderter Band geworden, der einige heute noch bekannte, aber vor allem längst vergessenene Künstlerinnen würdigt. Sie schildert exemplarisch das Schicksal von dreizehn Frauen zwischen Kunst und Krieg. Sie umkreist die besonderen Bedingungen dieser Jahrgänge im Krieg und in den Nachkriegsjahren. Denn diese Generation, so von der Dollen, hatte es auch nach 1945 besonders schwer: Sie malten weiterhin figurativ und expressiv, während nun in der Nachkriegszeit vor allem die Abstraktion beim Kunstpublikum auf dem Programm stand.
Frauen waren gehemmter als ihre männlichen Kollegen. Sie zweifelten an ihrem Talent - eine Versagensangst, die von den Eltern noch verstärkt wurde, weil sie um Zukunft und Auskommen ihrer Töchter bangten. Die oktroyierte Ausbildung zur Zeichenlehrerin, die beispielsweise Käthe Schmitz-Imhoff, Marta Hegemann und Trude Brück durchliefen, war durchaus auch zum Besten der Malerinnen. Anders als die Männer schlossen sich Frauen nur selten zu Künstlergruppen zusammen. Alleinstehende traten oft einem Berufsverband oder einem örtlichen Verein bei. Diese Künstlerinnen, wie Karen Schacht oder Clarissa Kupferberg, lebten entweder vom ererbten Vermögen oder wurden von ihren Familien unterstützt. Verheiratete Malerinnen lebten zwar vielfach in wirtschaftlich stabileren Verhältnissen, doch fehlten ihnen häufig Freiheit und Zeit, sich ihrer Arbeit zu widmen, die gesellschaftlich gerne als exotisches Hobby verkannt wurde. "Tod des Ehemanns; erneute Hinwendung zur Malerei": Solche biographische Zitate unterstreichen treffend das Dilemma.
Der Krieg war für die meisten eine tiefere Zäsur als Ehe und Mutterschaft. Wer wie Gerda Rotermund, Jahrgang 1902, im Krieg von den Nationalsozialisten verfolgt wurde, verlor vielfach nicht nur seine Familie aus den Augen, sondern mußte auch sein Werk im Stich lassen. Rotermund, die in engem Kontakt mit Käthe Kollwitz stand, befaßte sich in den Jahren 1947 bis 1952 in ihrem zehnteiligen Radierungszyklus "De Profundis" mit der Rekonstruktion des erlebten Kriegsgeschehens. Die Bilder zeigen das Leben im Lager oder Szenen von der Flucht: Schlaf- und Kochstellen unter freiem Himmel, hastende Menschen beim Bombenalarm.
Ingrid von der Dollen befaßt sich aber nicht nur mit den Schicksalen dieser Malerinnen, sondern auch mit ihrer Kunst. Die männlichen Zeitgenossen werden dabei nicht ganz ignoriert. Leider ist ihr Stil etwas hölzern-akademisch und verfehlt dadurch manchmal die Dramatik des Gegenstands. Dennoch gelingt ihr eine späte Würdigung verlorener Lebensleistungen: Im Anhang finden sich nicht weniger als vierhundert Kurzbiographien.
Ingrid von der Dollen: "Malerinnen im 20. Jahrhundert". Bildkunst der ,verschollenen Generation', Geburtsjahrgänge 1890- 1910". Hirmer Verlag. München 2000. 413 S., zahlr. Abb., geb., 148,- DM.
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