Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.04.19971832
Eduard Mörike "Maler Nolten"
Das sind die schmerzlichsten aller Romane, wenn also ein Mann wie hier Mörike in diese Form, wie er sie vorhanden sieht, nun einmal alles hineingießt, auf einmal alles, wovon sonst die Gedichte nur Bilderchen, Details machen: Wunder schon auch sie, aber doch nur Einzelheiten vielleicht für ihn, und nun, sagt er sich, will er einmal das Ganze. Und er gibt es wirklich alles hinein: die dunkle, nicht loslassende Zigeunerin, dagegen die innerlich Liebende, vorwiegend innerlich jedenfalls, dann den Wahnsinn in der Familie, einen schlimmen Verwandten, einen ewig bloß an den notdürftigen Rändern der Realität entlangschauspielernden Schauspieler, und mitten darin sehn wir nun das
sicherlich in solchen Turbulenzen unhaltbare Ich des jungen Künstlers. Und wirklich denn auch: Erst geht die innerlich Liebende, dann geht er zugrunde, an sich selber, aneinander, an der Welt - "der Mensch rollt seinen Wagen, wohin es ihm beliebt, aber unter den Rädern dreht sich unmerklich die Kugel, die er befährt". Man fragt sich nach diesem Buch, welche ungeheuerliche Art von Resignation den Autor dann zu jener Frömmigkeit geführt haben kann, in deren weniger schwarzem Schatten er weiterdichten, weiterleben mochte. Zumal es damals, 1832, ganz am Ende im Roman noch geheißen hatte, als sprächen wir miteinander, Sie und ich (es müssen nicht Männer sein, auch Frauen schweigen ja, und eigentlich schöner): "Die beiden Männer sahn sich lange schweigend an und blickten in einen unermeßlichen Abgrund des Schicksals hinab", unten also mit Nolten darin, dem gescheiterten. Doch auch Orplid ("mein Land, das ferne leuchtet. . .") taucht in einem kleinen Zwischenspiel schon auf, von ferne: "Gehab dich wohl, du wunderbare Insel! Von diesem Tage lieb ich dich. . ." Erst Abschied nehmend lieben können: so ein Pech, so ein Schmerz. (Eduard Mörike: "Maler Nolten". Erste Fassung. Mit zeitgenössischen Illustrationen und einem Nachwort von Wolfgang Vogelmann. Insel Verlag, Frankfurt am Main 1979. 482 S., br., 24,80 DM.) R.V.
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