Staatsphilosoph genau: "Dieses ist nicht ungewöhnlich, / Denn der Weltgeist höchst persönlich / Führt mir schon seit je die Hand / Daher bin ich so brillant."
Solche brillanten Kerle haben wir natürlich gefressen und sind ganz auf der Seite seines Gegners, der zu Hause bei sich schwört, es diesem Hegel heimzuzahlen. Und: "Wer es nachliest, wird bemerken, / Dass in Schopenhauers Werken / Hegel und das Kegelschießen / Wenig Sympathie genießen." Wohl wahr.
Die zitierten Zeilen zeigen außer der philosophischen Bildung des Autors auch den "großen Endreimer" (so der Klappentext) Christian Maintz - in Vollendung, würde man im Normalfall hinzufügen, aber das ist hier überfüssig, denn Maintz' Reime und auch seine Versfüße sind immer vollendet. Da gibt es nicht ein einziges Gedicht, das irgendwo ins Stolpern käme oder dessen Endreim verzweifelt aus dem Reimlexikon herausgesucht wäre; alles greift in großer Eleganz ineinander, beinahe so, als führte der Weltgeist dem Dichter die Hand - aber das möchte ich ihm nicht unterstellen.
Eher führen ihm andere die Hand. Dass diese Lyrik große Ahnen und Maintz völlig zu Recht gleich zweimal den Wilhelm-Busch-Preis bekommen hat, ist offensichtlich. Busch steht wahrlich nicht im Verdacht, ein Anhänger des Weltgeistes gewesen zu sein. Auch Christian Morgenstern gehört zu Maintz' Ahnen, und ihm wird mit einem Palmström-Gedicht ausdrücklich Reverenz erwiesen.
Welche Thematik hier im Gedicht bearbeitet wird? Darauf lässt sich kurz und knapp antworten: alles, was der Fall ist. Vorrangig also die Liebe und die Erotik in ihren diversen Erscheinungsformen und Abgründen, weshalb das Gedicht "Liebe in Lokalen" zu Recht titelgebend für den ganzen Band ist und durch Michael Sowas wundervolle Umschlagszeichung zusätzlich hervorgehoben wird. Es gehört in seinem schwebend elegischen Ton zu den schönsten, deshalb seien hier die erste und die letzte Strophe zitiert, die den ganzen Abstand vom jubelnden Beginn bis zum Verlassenwerden spiegeln: "Ach, wie schön ist das gewesen / Ach, wie haben wir's genossen, / Als wir Huhn mit Sojasprossen / Aßen damals beim Chinesen / . . . / Gott, wie hab' ich dann gelitten, /Als die Liebe war zerbrochen, / Weil du dich mit jenem Jochen / Trafst zu Currywurst und Fritten."
Neben der Liebe finden wir die Abteilungen "Wort und Sinn", der auch der oben zitierte Philosophenstreit angehört (nebst Nachrichten von Goethe, Nietzsche, Luhmann und anderen); "Flora und Fauna", in der in einem Gedicht Morgensterns Mondschaf zum Wiesel wird; "Huldigungen und Kränze", in der neben anderen Karl May und Ror Wolf angemessen gewürdigt werden, und "Sagen und Geschichten", bei denen Liebhabern von John Fords Filmen besonders die Wildwest-Ballade "Geier in Laramie" empfohlen sei.
"Früher" - wann immer das war - konnte "man" - wer immer das war - Gedichte noch auswendig, und das half in schwierigen Lebenslagen. Im Gefolge irgendeiner Bildungsreform hat das stark nachgelassen. Diesem Notstand kann nun mit den gesammelten Gedichten von Christian Maintz abgeholfen werden. Auf den Lehrplan mit ihnen!
JOCHEN SCHIMMANG
Christian Maintz:
"Liebe in Lokalen". Gedichte.
Verlag Antje Kunstmann, München 2016. 143 S., geb., 14,95 [Euro].
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