besser bekannt als der "Tratschke" der Wochenzeitung "Die Zeit", hat einmal ein überaus kurzweiliges und lehrreiches Buch über solche historischen Irrtümer entsprechend betitelt: "Niemand hat Kolumbus ausgelacht".
Was damals aber auch schon nicht ganz neu war, hat mittlerweile nicht an Originalität gewonnen. So erscheint das jetzt von den beiden Dortmunder Statistik-Professoren Walter Krämer und Götz Trenkler zusammengestellte "Lexikon der populären Irrtümer" eher als müde Kompilation aus einer Vielzahl ähnlicher Bücher, nicht zuletzt der früheren Abhandlungen Walter Krämers selbst, der mit diversen Publikationen zu den Statistik-Tricks oder zum Gesundheitssystem der Bundesrepublik bereits ein breites Publikum verblüffen konnte. Natürlich vermittelt das Buch durchaus erstaunliche Erkenntnisse. Daß die chemische Kampfführung aus China stammt und nicht von Fritz Haber, wußte zuvor wohl nur der langjährige Karl-May-Leser, der sich an die "Stinktöpfe" im "Blauroten Methusalem" erinnert. Doch wer hätte vor der Lektüre gedacht, daß Chop-Suey eine amerikanische Erfindung des neunzehnten Jahrhunderts ist, Ketchup aber eine chinesische ("Ke-tsiap")? Der Rezensent mußte sein Wissen zum Thema Bumerang revidieren (nur wenige Modelle kehren zum Werfer zurück, aber alle fliegen weiter als ein gerades Wurfholz), konnte aber dahingehend beruhigt werden, daß seine Kurzsichtigkeit doch nicht auf falsche Ernährung zurückzuführen ist, denn Karotten helfen leider doch nicht gegen Sehschwäche.
Gerade in den oft überlangen Passagen zu Gesundheit und richtiger Ernährung bricht freilich bei Krämer und Trenkler aufklärerische Penetranz durch. Da wird gleich mehrfach die prinzipielle Gleichwertigkeit von Fast food und Vollkornkost betont, da ist das hohe Ethos der Mediziner zu häufig Gegenstand des Spottes, um noch lustig zu sein, da bleibt auch keine Gelegenheit ungenutzt, Weltverbesserern linker Provenienz die Leviten zu lesen. In diversen Artikeln dieses Lexikons triumphiert darum nicht die Wissenschaft, sondern die Besserwisserei. Daß das dritte Jahrtausend erst am 1. Januar 2001 beginnt, haben mittlerweile genug Querulanten mitgeteilt, die vermutlich noch am Silvesterabend 1999 händereibend in ihren Studierstuben sitzen und sich an der Dummheit der draußen Feiernden weiden werden.
Zum Thema "Kolonialismus" heißt es etwa: "Hätten die Chinesen und Japaner und nicht die Europäer den Kompaß oder das Segeln gegen den Wind erfunden, vielleicht würden wir heute Tribute an Mongolenkaiser zahlen und nicht zu Jesus, sondern zu Buddha beten." Nun ist der Kompaß bedauerlicherweise eine Erfindung der Chinesen, die über Arabien ins Mittelmeer gelangte, doch niemand hier alimentiert die Nachfolger der Entdecker. Andere Versehen: Auch wenn Einstein den Nobelpreis erst 1922 erhielt, war er doch Preisträger des Jahres 1921. André Gide, den Krämer und Trenkler zum Muster des realitätsblinden Intellektuellen stempeln, brach nach seiner Reise in die Sowjetunion mit dem Kommunismus. Und Charles Lindbergh, der erst als 67. Pilot und auch nicht als erster Nonstop-Flieger den Atlantik überquerte, erhält ausgerechnet im "Lexikon der Irrtümer" den Titel des ersten Alleinfliegers von Ost nach West über den Ozean - allerdings flog er von New York nach Paris.
Wirklich ärgerlich sind andere Stellen. So verwahrt sich Krämer gegen den Begriff "Kostenexplosion" im Gesundheitswesen mit dem Hinweis, die Behandlungen seien ja auch besser geworden. Abgesehen davon, daß es keinen automatischen Grund gibt, ein besseres Produkt zu verteuern, folgt auf diese Argumentation noch ein Vergleich: Auch für einen Mercedes müsse man mehr ausgeben als für einen VW. Nun haben aber die Patienten laut Krämer gerade nicht das Krankenhaus gewechselt, sondern dort hat sich die Behandlung verbessert. Als Vergleich könnte also die neue Version desselben VW dienen, nicht aber ein anderer Fahrzeugtyp.
Solche mißglückten Vergleiche im verzweifelten Bemühen, anschaulich und originell zu sein, finden sich mehrfach. Es ist das Kreuz vieler deutscher Professoren, ihren angelsächsischen Kollegen nachzueifern, aber weder genug Humor noch Stilsicherheit zu besitzen. Als Nachschlagewerk mangels Register ohnehin nur eingeschränkt nutzbar, wird das "Lexikon der populären Irrtümer" durch die Ambitionen seiner Verfasser leider nicht attraktiver. ANDREAS PLATTHAUS
Walter Krämer/Götz Trenkler: "Lexikon der populären Irrtümer". 500 kapitale Mißverständnisse, Vorurteile & Denkfehler von Abendrot bis Zeppelin. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 1996. 356 S., Abb., geb., 44,- DM.
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