abgetakelter Hotelfoyers auf Verbindungsmänner, die niemals kommen werden. Auch wenn der städtische Schauplatz an allen Ecken und Enden in Auflösung begriffen scheint, ist nicht zu übersehen, daß er vor langer Zeit eine abendländische Kultur gekannt hat. Die Protagonisten fühlen sich wohl zwischen den Ruinen.
Seit sich Europas Peripherie von Süden nach Osten verlagert hat, müssen solche Kriminalgeschichten nicht mehr im postkolonialen Nordafrika spielen. Daß das zeitgenössische Odessa nach dem Ende der Sowjetunion sich dafür ebenso perfekt als Kulisse eignet, fand der Österreicher Peter Zimmermann, und verlegte die Handlung seines zweiten Romans ans Schwarze Meer.
Wider Willen hat es das Erzähler-Ich, einen gürtelrosekranken Journalisten und Gelegenheitsdetektiv, nach Odessa verschlagen. An der Hafenmole soll er einen Mann namens Minski treffen und mit dessen Hilfe dem Verbleib einer gestohlenen Nudelfabrik nachspüren. Minski taucht jedoch nicht auf. Statt dessen lernt der Erzähler Olsén kennen. Der Spanier dänischer Abstammung, "ein Verlierer, wie er im Buche steht", sucht die Leiche eines Mannes, der ausgerechnet hinter dem Tod des Rockmusikers Marc Bolan stecken soll, und ist dabei ebenfalls auf Minskis Hilfe angewiesen. Der Zufall will, daß die beiden einander in "der Stadt aus Muschelkalk" am Rande eines todbringenden Gewässers voller Quallen nicht aus dem Weg gehen können. Zwischendurch läuft alles mögliche schief: Schlüssel passen nicht mehr, Hotelzimmer werden ausgeraubt, die Ungeduld steigt, man will weg, aber kommt nicht fort.
Schließlich machen der Journalist und Olsén die Bekanntschaft des koksenden Polizeiinspektors Tanaïs. Der "Schwarzmeercolumbo" soll den Tod des am Baum erhängten Garcia Novarra aufklären, des Mannes also, dessen Leiche Olsén sucht. Bei viel Cognac und Zigaretten versuchen die drei detektivisch zu kombinieren, blicken abwechselnd auf ihr Leben zurück, versinken immer tiefer in den muffigen Sitzmöbeln der Lobby und zugleich im Sumpf der fremden Stadt, wobei Sumpf noch gelinde ausgedrückt ist für das, was Zimmermanns Journalist in Odessa empfindet.
Angetrieben wohl von seinen eigenen Verdauungsschwierigkeiten, ergeht er sich seitenlang in Betrachtungen über die verstopften, dreckigen und kaputten Toiletten im Ostblock. Odessa - das ist für ihn der Anus Europae. Er redet über Luft im Darm und entfaltet dabei seine hanebüchene Kulturtheorie der Defäkation und ihrer nationalen Eigenheiten. Eine deutliche Anspielung auf Erica Jongs einstiges Kultbuch "Angst vorm Fliegen", wie sie nicht deutlicher sein könnte.
Auch steckt Zimmermanns Buch voller Versatzstücke aus der Popkultur der siebziger Jahre. So enthält es eine indirekte Hommage an Mark Feld, der seine Karriere zunächst als Rock 'n' Roller mit der Devise "live fast, die young" in London begann, lange bevor "The Clash" und die "Sex Pistols" auf solche Ideen kamen. Später nannte er sich dann Marc Bolan und gründete die Glam-Rockband "T.Rex". Mit Achtundzwanzig kam Bolan bei einem Autounfall ums Leben. Hinterm Steuer des Minicooper saß seine Frau, die Northern-Soul-Interpretin Gloria Jones ("Tainted Love") und überlebte. Ein "oh, those were the days", das man John Peels sonore Stimme bei so vielen Rückblicken hat sagen hören, kommt bei der Lektüre des Romans unweigerlich in den Sinn. Auch ihn, den berühmten britischen Radio-DJ und einstigen Förderer Bolans, hat Zimmermann in seine Geschichte eingestrickt. Heute, wo die deutschen Kinder Peels in den Clubs von Odessa House und Techno auflegen, verleiht das dem Buch einen Touch von Szene und Underground.
Zimmermanns Figuren schweifen ab, monologisieren in Extremzuständen, schwafeln unter Drogeneinfluß, delirieren im körperlichen Schmerz oder leben - wie Kommissar Tanaïs - im Geiste Sexualphantasien aus. Der reimt und kalauert überdies auch gern ("Der Lermontow hat's nicht verdient auf diese Art zu sterben / jetzt ist er mit dem Grab bedient und hinterläßt zwei Erben".) oder entfaltet seine philosophischen Reflexionen (Kierkegaard, Beckett, Goethe) in Gesellschaft einer Dogge.
Nach und nach treten die Protagonisten ähnlich mysteriös von der Bühne ab wie sie zuvor in Odessa erschienen sind, ohne jedoch einen Minski oder eine Nudelfabrik jemals gefunden zu haben. Am Ende kann man dabei zusehen, wie sich die Stadt einer Luftspiegelung gleich verflüchtigt, zum entfernten Punkt in der ukrainischen Steppe wird. Olsén erwacht schließlich auf einem Hotelbett in - Tanger.
Zimmermann kennt Isaak Babel und Konstantin Paustowski, die Schöpfer des alten, mythischen Odessa, sein Buch zehrt davon. Er hat mit flotter Reporterfeder recht spannende, gute Unterhaltung geschrieben.
STEFANIE PETER
Peter Zimmermann: "Last Exit Odessa". Roman. Deuticke Verlag, Wien 2002. 237 S., geb., 19,90 [Euro].
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