Transhumanistische Appelle und Nano-Visionen mischen sich mit spekulationsfreudigen Stellungnahmen aus Evolutionsbiologie, Biomedizin, Gesundheitsökonomie.
Seit einigen Jahren erlebt das neue Forschungsfeld "Biogerontologie" einen stürmischen Aufschwung. Und natürlich ist auch die Ethik zur Stelle. Im Jahr 2003 veröffentlichte der Ethikrat des amerikanischen Präsidenten Bush Überlegungen zu Ageless Bodies, "Körpern, die nicht altern". Auszüge des Textes sind in dem Baseler Sammelband dokumentiert - gemeinsam mit weiteren angelsächsischen Positionen aus Naturwissenschaften und Ethik sowie vier aktuellen deutschsprachigen Beiträgen aus praktischer Philosophie und Medizinethik, die auf eine Tagung zum Thema in Basel zurückgehen.
Bei der Lektüre des Buches stellt sich Nachdenklichkeit ein. Biologische Unsterblichkeit: Nicht wenige Bioforscher halten sie für möglich. Und zwar offenbar deshalb, weil die Wissenschaft bisher weder einen evolutionären Sinn noch einen Mechanismus des Alterns entdecken kann. Zwar besitzt jede biologische Spezies ihre maximale Lebensspanne, was auf genetische Bedingungen hindeutet.
Betrachtet man die Unterschiede dieser Lebensspanne allein bei den Säugetieren, so scheinen diese Bedingungen aber vergleichsweise flexibel zu sein. Ähnelt das Altern - die sogenannte Seneszenz - einer Krankheit, die man behandeln, wenn nicht gar in ihren Ursachen bremsen oder verhindern kann? Lassen wir uns auf den Gedanken ein, wird die Sache kompliziert. Erstens gliche die biologische Unsterblichkeit nicht einer Unverletzlichkeit wie im Märchen. Der Mensch bliebe tötbar. Infektionskrankheiten, Unfalltod, Gewalt oder auch Suizid würden also die Rolle eines, dann allerdings lebensabschnittsunabhängigen "normalen" Todes übernehmen, fiele der Alterstod weg.
Zweitens ist die Frage, welche Folgen eine lebensverlängernde Intervention in den Alterungsprozess denn nun genau hat: Verlängert sich das ganze Leben in gleichen Teilen - ähnlich einem "Gummiband", wie die einschlägige Metapher bei mehreren Autoren lautet? Dann "strecken" sich auch die ganz frühen und die späten, hinfälligen Abschnitte des Lebens: das Greisenalter mit Schwäche, Überforderung und Schmerzen.
Sollte man sich also vor allem auf das Ziel einer "komprimierten Morbidität" konzentrieren: die typischen Alterskrankheiten bremsen und den gesunden Erwachsenenkörper derart in der Zeit stabilisieren, dass das Alter erst gar nicht eintritt? Kann man spätes Alter und Lebensverlängerung sinnvoll kombinieren? Oder sollte man am besten überhaupt alles beseitigen, was körperliche Leistungsfähigkeit einschränkt? Naheliegenderweise gehen Utopien von längeren Leben und human enhancement, Leistungssteigerungsvisionen, Hand in Hand.
Größer als die biotechnisch völlig offenen Fragen dürften die - zumal mit sprunghaft möglicher Lebensverlängerung - anstehenden sozialen Probleme sein. Gelänge es, das fitte Erwachsenenleben auf eine Lebensdauer auch "nur" von 120 Jahren anzuheben, wären wohl weder die vertrauten Generationenverhältnisse haltbar noch das bisherige Modell vom Lebenslauf mit Stadien, auf die wir uns einrichten müssen, aber auch dürfen.
Ökonomisch würden ohne massive politische Regulierung Katastrophen drohen in den Bereichen Kinderzahl, Rente und Ruhestand und wohl auch Freizeit. Ob das individuelle Lebensglück durch generell mehr verfügbare Jahre steigt, darf bezweifelt werden. Vor allem aber drohen neue Dimensionen der sozialen Ungleichheit: Lebensverlängerungsbehandlungen werden teuer sein. Darüber sind sich alle Autoren des Bandes einig. Unsterblichkeit für alle wird es nicht geben. Sie ist nicht finanzierbar.
Schon die Forschung nach den Ursachen der Seneszenz setzt möglicherweise dringlichere medizinische Forschungsfragen zurück, sie hat Züge einer Investition in Luxusmedizin. Lebensverlängerungsbehandlungen aber werden ein Privileg sein und bleiben. Damit droht das, was im Beitrag von John Harris "parallele Bevölkerungen" genannt wird: Sterbliche und Unsterbliche leben zusammen, wobei Letztere diejenigen sind, die es sich leisten können. Wie viel Ungleichheit im Zugang zu Anti-Aging-Techniken können demokratische Gesellschaften tolerieren? Dies fragt auch der Beitrag der Gesundheitsökonomen Hans-Jörg Ehni und Georg Marckmann. Und welche der anfallenden Kosten werden den überlasteten Solidarsystemen zusätzlich aufgebürdet werden?
Der Tonfall des Bandes ist sachlich, aber warnend. Für wen die Debatte über das biologische Altern gut ist, scheint nicht ausgemacht. Wollen wir sie überhaupt? Das Bild dessen, wonach man sich zu sehnen glaubte, als man das Wort "Unsterblichkeit" aussprach, wird unangenehmer, je genauer man es betrachtet.
PETRA GEHRING
Sebastian Knell, Marcel Weber (Hrsg.): "Länger leben?". Philosophische und biowissenschaftliche Perspektiven. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009. 290 S., br., 12,- [Euro].
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