Es will der Rezensentin Susanne Ostwald partout nicht einleuchten, warum man sich eigentlich die Mühe macht, D. H. Lawrences ehemals skandalumwitterten Roman neu zu übersetzen. Dabei steht für sie jedoch weniger die Qualität vorangegangener Übersetzungen zur Debatte als die, wie sie meint, sehr "zweifelhaften" literarischen Qualitäten der Vorlage. "Uneinheitlichkeit und Formlosigkeit" zeichnen den Roman aus, behauptet Ostwald, davon zeugten beispielsweise das ständige Pendeln zwischen Haltungen und Genres, "zwischen Sozialrealismus und Gesellschaftskritik, Fabel und Predigt". Auch der Stil sei "mitunter unerträglich pathetisch, dann wieder monoton,
mechanisch-repetitiv". Nicht einmal die berüchtigten, schamlosen "Stellen", so Ostwald gelangweilt, vermögen heute noch irgendeine Röte ins Lesergesicht zu treiben. Das Interessanteste an diesem Roman bleibt für die Rezensentin allein seine Rezeptionsgeschichte. Gerade deshalb hätte sie es gern gesehen, wenn der Verlag dieser Ausgabe auch den postum veröffentlichten Text "A Propos of 'Lady Chatterley's Lover' " hinzugefügt hätte - obwohl dieser den Leser nicht gerade für Lawrence einnimmt, wie sie findet. Dieser Text entlarvt nämlich laut Ostwald das dahergebrachte Lawrence-Bild (Verfechter des Modernismus und Revolutionär des Geschlechterverhältnisse) als schlichte Verklärung: Lawrence erweise sich hier als Fortschrittsfeind, der sich gegen die sexuelle Permissivität des Jazz Age richte. Lawrence greife hier auch noch Jane Austen an und nenne sie durch und durch "englisch", gemeint sei das "im schlechten, kleinmütigen und snobistischen Sinne". Die Rezensentin kleidet ihr abschließendes Urteil in eine Frage: "Hat, wer solches schreibt, einen Platz unter den wahren Klassikern verdient, oder gehört er in die Kuriositätenecke?"
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