zu sehen. Er gab dafür eine autobiographische Begründung: "Ich erlebte unmittelbar, zwei Jahre auf der Seite der Roten Armee, die verbrannte Ukraine, das zerstörte Kiew, zwei Tage nach der Befreiung von Majdanek, dann das brennende Warschau, das Inferno in Berlin, schließlich das KZ Sachsenhausen und das Zuchthaus Brandenburg." Von einem Staat, der im Krieg gegen den Nationalsozialismus solche Verdienste erworben hatte, wollte und konnte Wolf sich keine kriegsauslösenden Akte vorstellen.
Konrad Wolf sprach damals als Kunstschaffender, er war aber auch Präsident der Akademie und damit einer der höchsten Kulturfunktionäre des sozialistischen deutschen Staates. Die zitierte Passage kann man getrost als ein Manifest nehmen: sowohl mit seinen Filmen wie auch mit seinem Engagement bezog Konrad Wolf sich Zeit seines Lebens auf die prägende Erfahrung, die er als junger Mann machte, als er von Moskau nach Berlin zurückkehrte, ein Befreiungskämpfer auf dem Weg nach Hause, in ein Deutschland, das er schon als Kind hatte verlassen müssen.
Auch in der neuen Biographie von Antje Vollmer und Hans-Eckardt Wenzel haben die Erlebnisse dieser Jahre zwischen 1943 und 1945 einen hohen Stellenwert, bilden die Mitte des Buches, obwohl sie in der Lebenszeit von Konrad Wolf in die Jugendjahre fallen. Es gilt hier, die Familiengeschichte und die zeithistorischen Umstände zu berücksichtigen. Und das bedeutet, dass fast die Hälfte der Darstellung von Vollmer und Wenzel dem Vater von Konrad Wolf gewidmet ist: dem Schriftsteller, Arzt und prominenten Kommunisten Friedrich Wolf, mit dessen Engagement es überhaupt zu tun hatte, dass die Familie den Zweiten Weltkrieg in der Sowjetunion erlebte - bis der Sohn Konrad dann als Soldat auch direkter Beteiligter dieses Krieges wurde.
"Chronist im Jahrhundert der Extreme" lautet der Untertitel des Buches. Das Autorenduo greift damit einen Topos des Historikers Eric Hobsbawm auf, und mit gutem Recht, wie sie immer wieder zeigen. Friedrich Wolf schuf im Lauf seines Lebens eine verschlungene Familie. Der heute geläufige Begriff "Patchwork" wäre lächerlich angesichts des Aufeinandertreffens von politischen und persönlichen Leidenschaften. Schon ein zwischendurch eingeflochtener Lebenslauf wie der von Lotte Rayss, einer späten Geliebten und Gefährtin des Vaters, öffnet den Horizont dieses Buches in viele Richtungen. Und so geht es die ganze Zeit in extremen Sprüngen und Kontrasten dahin: Spanischer Bürgerkrieg, Exil in Kasachstan, Eigenheim in Stuttgart, deutsche Barbarei bei Melitopol.
Und schließlich das Datum, das alles wendet und mit dem Konrad Wolf endgültig die Bühne der Geschichte betritt: der Befreiungsfrühling von 1945, auf den er mit seinem grundlegenden Film "Ich war neunzehn" verwies, und von dem er sich dann eben auch noch 1981, ein Jahr vor seinem Tod, bestimmt sah. Moskau blieb für Konrad Wolf zeitlebens der relevante Orientierungspunkt, in politischer, kultureller, sogar in kulinarischer Hinsicht, wenn man das Detail wertschätzen mag, dass Pelmeni (russische Teigtaschen) das Gericht waren, das Konrad Wolf für Freunde am liebsten auftischte.
Mit privaten Dingen beschäftigen sich Vollmer und Wenzel allerdings nur im Rahmen des Unerlässlichen. Der Mensch Konrad Wolf ist von seiner Arbeit ohnehin nicht zu trennen, und ob es tatsächlich eine tiefe Liebesenttäuschung war, die schließlich zu einem recht frühen Tod führte, muss über die diskreten Andeutungen hinaus nicht interessieren. Biographen sind keine Anatomen, und wie sich Weltgeschichte, Politik und Beziehungen in einen Körper eintragen, ist auch dann unentschlüsselbar, wenn ein Totenschein eine konkrete Todesursache (in diesem Fall: Lungenkrebs) nennt.
Konrad Wolf wurde in dieser Zeitung einmal als "der im Politbüro bestgelittene Regisseur" der DDR bezeichnet. Damit ist eine Spannung benannt, die von Vollmer und Wenzel deutlich zugunsten ihres "Helden" aufgelöst wird. Konrad Wolf war Kommunist aus tiefer Überzeugung. Als 1961 die Mauer gebaut wurde, schloss er sich mit einer Kampfgruppe an: "Wir müssen Künstler und Kämpfer zugleich sein." Je stärker sich die Herrschaft in der DDR aber verhärtete, desto schwieriger wurden die Vermittlungen, zu denen Wolf sich als Künstler wie als Funktionär genötigt sah. Es zählt zu den Eigentümlichkeiten vieler diktatorischer Systeme, dass die Herrscher sehr persönlichen Anteil an der Kunstproduktion nehmen. So gab es auch im Leben von Konrad Wolf immer wieder Begegnungen mit Ulbricht und später Honecker. Man diskutierte Drehbuchdetails ("Warum muss das Mädchen so viele Männer haben?", wollte Ulbricht über eine Frauenfigur in "Sonnensucher" wissen) und meinte Ideologie.
Bei Konrad Wolf war die Ideologie aber immer zurückbezogen auf seine Erfahrungen. Am ehesten wurde ihm vielleicht der zwanzig Jahre jüngere Thomas Brasch gerecht, den Vollmer und Wetzel zu Wort kommen lassen: Konrad Wolf wurde vor allem von vielen Oppositionellen in der DDR als ein "Mann der Macht" gesehen. "Sie verstanden einfach nicht, dass seine Haltung weder mit Anpassung noch mit Kalkül zu tun hatte, sondern mit der Sehnsucht und der Trauer eines Fremden, für den das Wort Kommunismus mit seiner Jugend, mit dem Krieg, mit dem Tod, mit der russischen Musik und mit dem Haß auf die Besitzergesellschaft zu tun hatte, aus deren Schoß die Konzentrationslager geboren waren."
In dem vielleicht besten Kapitel des Buchs wird diese Ambivalenz mit Blick auf Musikstücke in den Filmen von Konrad Wolf akzentuiert. Ein spätes Projekt über Ernst Busch sollte eine lebenslange Zuneigung zu diesem Sänger bezeugen, der "sang, als sei er für die Geschicke auf diesem Planeten verantwortlich". Vor allem aber legen Vollmer und Wenzel überzeugend dar, dass ein russisches Volkslied vom "Schwarzen Raben", innig verbunden mit dem populären Filmhelden Tschapajew aus einem Epos über den russischen Bürgerkrieg, für Konrad Wolf so etwas wie ein Herzstück seines Denkens und Arbeitens war. Es verkapselte die Überfülle an Erfahrungen in eine Melodie. Und das gelingt im Wesentlichen auch dieser Biographie.
BERT REBHANDL
Antje Vollmer und
Hans-Eckardt Wenzel: "Konrad Wolf". Chronist im Jahrhundert der Extreme.
Die Andere Bibliothek, Berlin 2019. 468 S., geb., 42,- [Euro].
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