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Birmingham, Silvesternacht. Noch immer trauert Benjamin seiner Jugendliebe Cicely nach, die vor über zwanzig Jahren spurlos verschwand. Als sich sein verheirateter Bruder Paul, ehrgeiziges Mitglied des englischen Parlaments, in die junge Malvina verliebt, müssen sich beide Brüder den Fragen stellen, vor denen sie so lange davongelaufen sind.
Jonathan Coe wurde 1961 in Birmingham geboren. Er ist einer der Stars der Londoner Literaturszene; sein preisgekrönter Roman "Allein mit Shirley" wurde in fünfzehn Sprachen übersetzt. Jonathan Coe lebt mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern in London.
Produktdetails
- Verlag: Piper
- Originaltitel: The Closed Circle
- Seitenzahl: 522
- Erscheinungstermin: 22. März 2006
- Deutsch
- Abmessung: 40mm x 136mm x 210mm
- Gewicht: 696g
- ISBN-13: 9783492047494
- ISBN-10: 3492047491
- Artikelnr.: 20755662
Herstellerkennzeichnung
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Die perverse Lust des Zeugen, ein Zeuge zu sein
Da macht man was mit: Jonathan Coe lädt Englands neue Mittelschicht zum "Klassentreffen"
Es gibt Männer, die haben Beziehungen, aber keine Ahnung, was Liebe ist. Kerle, die Kinder in die Welt setzen, aber nicht wissen, was es heißt, Vater zu sein. Politiker, die sich dem Volkswohl verschreiben, aber nur das eigene Ego weiterbringen wollen. Daß man Charakter nicht in erster Linie anderen, sondern sich selber schuldet, begreifen sie frühestens, wenn es zu spät ist.
Es sind solche ganz gewöhnlichen Typen, die der englische Schriftsteller Jonathan Coe besonders gern und besonders gut porträtiert. Seine Helden entstammen der unteren Mittelschicht, sind weder
Da macht man was mit: Jonathan Coe lädt Englands neue Mittelschicht zum "Klassentreffen"
Es gibt Männer, die haben Beziehungen, aber keine Ahnung, was Liebe ist. Kerle, die Kinder in die Welt setzen, aber nicht wissen, was es heißt, Vater zu sein. Politiker, die sich dem Volkswohl verschreiben, aber nur das eigene Ego weiterbringen wollen. Daß man Charakter nicht in erster Linie anderen, sondern sich selber schuldet, begreifen sie frühestens, wenn es zu spät ist.
Es sind solche ganz gewöhnlichen Typen, die der englische Schriftsteller Jonathan Coe besonders gern und besonders gut porträtiert. Seine Helden entstammen der unteren Mittelschicht, sind weder
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besonders klug noch attraktiv, noch charmant. Sie sehen zu, wie sie klarkommen, und schwadronieren dabei über die politische Lage, trauern heftig einer seit Jugendtagen verflossenen Liebe nach oder schreiben an einem Endlosroman. Man nehme nur Benjamin Trotter, die zentrale Figur in Coes Roman "Klassentreffen". Als wir Benjamin das erste Mal begegneten, in "Erste Riten" (2002), war er ein vielversprechender Teenager im Birmingham der siebziger Jahre, idealistisch, musisch, begabt, verliebt. Gut zwanzig Jahre später ist er, nun ja, ein sympatischer Versager, der am Silvesterabend des Jahres 1999 nur einen resignierten Gedanken fassen kann: "Im Grunde hatte sich sein Leben in den letzten drei Jahrzehnten kaum verändert."
"Erste Riten" verwob die Geschichten der vier Schulfreunde Philip, Sean, Doug und Benjamin mit einem satirischen Porträt der finsteren englischen Siebziger. Der Roman verkaufte sich in Großbritannien mehr als hunderttausendmal und wurde von der BBC verfilmt. Man muß ihn jedoch nicht kennen, um den Nachfolger zu verstehen, der zudem mit einer knappen Zusammenfassung des Vorläufers aufwartet. "Klassentreffen" setzt gut zwanzig Jahre später ein. Die jugendlichen Stürmer und Drängler von einst sind inzwischen mittleren Alters und haben mit einigen Idealen gebrochen, um windschnittiger in der politischen Brise zu stehen, auch wenn sie gegen New Labour wettern. Sie verdienen, arbeiten und lieben mittelmäßig. Benjamin ist mit Emily verheiratet, träumt aber unvermindert von seiner Jugendliebe Cicely, schreibt noch immer an dem Roman, den er zu Schulzeiten begonnen hat, und komponiert nach Büroschluß vor sich hin. Sein Bruder, der gerissene Paul, der die Familie schon als Jugendlicher mit seiner Thatcher-Begeisterung schockierte, ist als Labour-Abgeordneter inzwischen nur mehr auf gute Presse statt auf gute Politik versessen, bis die hübsche Malvina als seine PR-Beraterin nicht nur sein Image, sondern auch seine Gefühle aufpoliert, weshalb sie bald aus dem Kulissenleben des Opportunisten verschwinden muß. Doug ist politischer Kolumnist bei einer Sonntagszeitung, wird jedoch wegen eines unliebsamen, Blair-kritischen Kommentars ins Literaturressort versetzt. Claire hatte zunächst Schulfreund Philip geheiratet, trauert aber inzwischen um ihre große Liebe, einen Italiener, sowie um ihre Schwester Miriam, die vor vielen Jahren spurlos verschwunden ist. Mit anderen Worten: Für alle ist es anders gekommen als gedacht. Doch die Entrüstung darüber bleibt aus. Mit stummer Billigung sieht Coes Clübchen zu, wie sich das Leben abspult, wie die Ehe zerbröckelt, wie Blair vollendet, was Thatcher begann.
Vorbild für diesen gewaltigen "Roman-fleuve", in den zahlreiche Nebenerzählungen münden, war Anthony Powells Jahrhundertwerk "A Dance to the Music of Time". Doch zwölf Bände wird Coes Generationenporträt am Ende wohl nicht umfassen, zumal der Autor, der von der englischen Kritik gern als linker Waugh gepriesen wird und der mit seinen Figuren mehr als die Jugend in den West-Midlands der Siebziger gemein zu haben scheint, nun zunächst selbst an Erfahrungen und Jahren zulegen müßte, bevor er seine im Jahr 2003 angekommene Clique erneut auf Zeitreise schicken könnte.
In seinen besten Momenten erfaßt Jonathan Coe die vielsagenden Augenblicke, in denen unsere Welt versagt, auf beklemmend lakonische Weise, was der Schriftsteller Henning Ahrens in ein passend uneitles Deutsch gebracht hat. Da lungert etwa Doug Anderton, der Journalist, auf einer Party herum und beobachtet, wie sich eine Horde Fotografen auf ein Pärchen stürzt, das seine Bekanntheit einer Reality-Show verdankt. "Keiner der beiden hatte Talent, Lebenserfahrung oder Bildung, ja nicht einmal eine nennenswerte Ausstrahlung. Aber sie waren jung, sie sahen gut aus, und sie waren im Fernsehen gewesen, und das reichte. Doug kam nicht umhin zu bemerken, daß unmittelbar neben ihnen Professor John Copland stand, der auf die Rückkehr seiner Frau aus der Damentoilette wartete: Englands führender Genforscher, einer der erfolgreichsten Verfasser wissenschaftlicher Bücher in diesem Land und regelmäßig als Kandidat für den Nobelpreis gehandelt. Doch niemand machte ein Foto von ihm. In den Augen aller anderen hätte er ebensogut ein Taxifahrer sein können, der einen der Gäste nach Hause fahren wollte."
Ein nicht ganz unerhebliches Problem des Romans indes besteht darin, daß solche starken Szenen, in denen nicht nur Cool Britannia der Spiegel vorgehalten wird, sich vor allem auf den letzten 120 Seiten finden, man sich also zuvor durch knapp vierhundert kämpfen muß, in denen die Erzählung mitunter arg zerfasert. Doch hat man es einmal aufgegeben, die einzelnen Handlungsstränge zu entwirren, und konzentriert sich auf die Charaktere, zeigt sich, wie glänzend Coe deren Zustände, Gefühle und Meinungen zu modellieren versteht. "In zehn Seiten dieses Buches", schrieb denn auch der "Independent", "stecken mehr Herzschmerz, Humor, Brillanz und Witz als in Nick Hornbys ganzem faden ,How to be Good'."
Wenn die Mittelmäßigkeit schon nicht der Inspiration, so doch der Wahrheit dient, so ist es vor allem die Gleichzeitigkeit, die an "Klassentreffen" frappiert. Hier hängt alles mit allem zusammen, ohne daß man vom Gewicht dieser allgegenwärtigen Erkenntnis erzählerisch erdrückt würde. Am Ende laufen die höchst unterschiedlichen und oft auch fragwürdigen Wege, die die Figuren einschlagen, allesamt auf ein zumindest vorübergehendes Happy Ending zu. Pauls Liebe zu Malvina ist stärker als sein Karrierismus, Benjamin findet Cecily und eine Tochter, Claire entlarvt den Mörder ihrer Schwester und wird von ihrem Liebsten nach Italien zurückgeholt. Alle bekommen das, was sie kaum zu wünschen gewagt haben: Schon das legt einen endgültigen Abschied des Autors von seinem Personal nahe.
Am Ende der Party sinnt Doug darüber nach, daß sie für ihn "in vollkommener Weise illustrierte, was er über Großbritannien im Jahr 2002 zu sagen hatte - die fast obszöne Gewichtlosigkeit des kulturellen Lebens, der groteske Triumph von Schein über Sein, all die Klischees, die im Grunde nur deshalb Klischees waren, weil sie der Wahrheit entsprachen - und perverserweise war er froh, ein Zeuge all dessen zu sein". So geht es auch dem Leser von Jonathan Coes Roman.
Jonathan Coe: "Klassentreffen". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Henning Ahrens. Piper Verlag, München 2006. 523 S., geb., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Erste Riten" verwob die Geschichten der vier Schulfreunde Philip, Sean, Doug und Benjamin mit einem satirischen Porträt der finsteren englischen Siebziger. Der Roman verkaufte sich in Großbritannien mehr als hunderttausendmal und wurde von der BBC verfilmt. Man muß ihn jedoch nicht kennen, um den Nachfolger zu verstehen, der zudem mit einer knappen Zusammenfassung des Vorläufers aufwartet. "Klassentreffen" setzt gut zwanzig Jahre später ein. Die jugendlichen Stürmer und Drängler von einst sind inzwischen mittleren Alters und haben mit einigen Idealen gebrochen, um windschnittiger in der politischen Brise zu stehen, auch wenn sie gegen New Labour wettern. Sie verdienen, arbeiten und lieben mittelmäßig. Benjamin ist mit Emily verheiratet, träumt aber unvermindert von seiner Jugendliebe Cicely, schreibt noch immer an dem Roman, den er zu Schulzeiten begonnen hat, und komponiert nach Büroschluß vor sich hin. Sein Bruder, der gerissene Paul, der die Familie schon als Jugendlicher mit seiner Thatcher-Begeisterung schockierte, ist als Labour-Abgeordneter inzwischen nur mehr auf gute Presse statt auf gute Politik versessen, bis die hübsche Malvina als seine PR-Beraterin nicht nur sein Image, sondern auch seine Gefühle aufpoliert, weshalb sie bald aus dem Kulissenleben des Opportunisten verschwinden muß. Doug ist politischer Kolumnist bei einer Sonntagszeitung, wird jedoch wegen eines unliebsamen, Blair-kritischen Kommentars ins Literaturressort versetzt. Claire hatte zunächst Schulfreund Philip geheiratet, trauert aber inzwischen um ihre große Liebe, einen Italiener, sowie um ihre Schwester Miriam, die vor vielen Jahren spurlos verschwunden ist. Mit anderen Worten: Für alle ist es anders gekommen als gedacht. Doch die Entrüstung darüber bleibt aus. Mit stummer Billigung sieht Coes Clübchen zu, wie sich das Leben abspult, wie die Ehe zerbröckelt, wie Blair vollendet, was Thatcher begann.
Vorbild für diesen gewaltigen "Roman-fleuve", in den zahlreiche Nebenerzählungen münden, war Anthony Powells Jahrhundertwerk "A Dance to the Music of Time". Doch zwölf Bände wird Coes Generationenporträt am Ende wohl nicht umfassen, zumal der Autor, der von der englischen Kritik gern als linker Waugh gepriesen wird und der mit seinen Figuren mehr als die Jugend in den West-Midlands der Siebziger gemein zu haben scheint, nun zunächst selbst an Erfahrungen und Jahren zulegen müßte, bevor er seine im Jahr 2003 angekommene Clique erneut auf Zeitreise schicken könnte.
In seinen besten Momenten erfaßt Jonathan Coe die vielsagenden Augenblicke, in denen unsere Welt versagt, auf beklemmend lakonische Weise, was der Schriftsteller Henning Ahrens in ein passend uneitles Deutsch gebracht hat. Da lungert etwa Doug Anderton, der Journalist, auf einer Party herum und beobachtet, wie sich eine Horde Fotografen auf ein Pärchen stürzt, das seine Bekanntheit einer Reality-Show verdankt. "Keiner der beiden hatte Talent, Lebenserfahrung oder Bildung, ja nicht einmal eine nennenswerte Ausstrahlung. Aber sie waren jung, sie sahen gut aus, und sie waren im Fernsehen gewesen, und das reichte. Doug kam nicht umhin zu bemerken, daß unmittelbar neben ihnen Professor John Copland stand, der auf die Rückkehr seiner Frau aus der Damentoilette wartete: Englands führender Genforscher, einer der erfolgreichsten Verfasser wissenschaftlicher Bücher in diesem Land und regelmäßig als Kandidat für den Nobelpreis gehandelt. Doch niemand machte ein Foto von ihm. In den Augen aller anderen hätte er ebensogut ein Taxifahrer sein können, der einen der Gäste nach Hause fahren wollte."
Ein nicht ganz unerhebliches Problem des Romans indes besteht darin, daß solche starken Szenen, in denen nicht nur Cool Britannia der Spiegel vorgehalten wird, sich vor allem auf den letzten 120 Seiten finden, man sich also zuvor durch knapp vierhundert kämpfen muß, in denen die Erzählung mitunter arg zerfasert. Doch hat man es einmal aufgegeben, die einzelnen Handlungsstränge zu entwirren, und konzentriert sich auf die Charaktere, zeigt sich, wie glänzend Coe deren Zustände, Gefühle und Meinungen zu modellieren versteht. "In zehn Seiten dieses Buches", schrieb denn auch der "Independent", "stecken mehr Herzschmerz, Humor, Brillanz und Witz als in Nick Hornbys ganzem faden ,How to be Good'."
Wenn die Mittelmäßigkeit schon nicht der Inspiration, so doch der Wahrheit dient, so ist es vor allem die Gleichzeitigkeit, die an "Klassentreffen" frappiert. Hier hängt alles mit allem zusammen, ohne daß man vom Gewicht dieser allgegenwärtigen Erkenntnis erzählerisch erdrückt würde. Am Ende laufen die höchst unterschiedlichen und oft auch fragwürdigen Wege, die die Figuren einschlagen, allesamt auf ein zumindest vorübergehendes Happy Ending zu. Pauls Liebe zu Malvina ist stärker als sein Karrierismus, Benjamin findet Cecily und eine Tochter, Claire entlarvt den Mörder ihrer Schwester und wird von ihrem Liebsten nach Italien zurückgeholt. Alle bekommen das, was sie kaum zu wünschen gewagt haben: Schon das legt einen endgültigen Abschied des Autors von seinem Personal nahe.
Am Ende der Party sinnt Doug darüber nach, daß sie für ihn "in vollkommener Weise illustrierte, was er über Großbritannien im Jahr 2002 zu sagen hatte - die fast obszöne Gewichtlosigkeit des kulturellen Lebens, der groteske Triumph von Schein über Sein, all die Klischees, die im Grunde nur deshalb Klischees waren, weil sie der Wahrheit entsprachen - und perverserweise war er froh, ein Zeuge all dessen zu sein". So geht es auch dem Leser von Jonathan Coes Roman.
Jonathan Coe: "Klassentreffen". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Henning Ahrens. Piper Verlag, München 2006. 523 S., geb., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Jonathan Coes Spezialität, so die Rezensentin Felicitas von Lovenberg, sind mit mittelmäßiger Klugheit, mittelmäßiger Attraktivität und mittelmäßigem Charme ausgestattete Mittelschichtler. Dieses Talent hat er schon in "Erste Riten", das eine Gruppe von Freunden in den Midlands der Siebziger Jahre porträtiert, unter Beweis gestellt und es kommt auch im Folgeroman "Klassentreffen", der dieselben (aber um einige Illusionen ärmere) Charaktere zwanzig Jahre später einfängt, zum Tragen. Vor einer gewissen Zähigkeit kann dieses Talent jedoch nicht bewahren, eine Zähigkeit, die vermutlich mit Zahl und Vernetzung der Handlungsstränge zusammenhängt, über die sich die Rezensentin aber kaum auslässt und sich im Folgenden lieber den guten Seiten des Romans zuwendet. Beeindruckend findet sie etwa, wie es Coe gelingt, eine Gleichzeitigkeit der verschiedenen Werdegänge zu konstruieren, ohne den Leser mit dieser Dichte zu erschlagen. Am besten gefallen haben der Rezensentin jedoch Coes "beklemmend lakonische" Beschreibung jener "vielsagenden Augenblicke, in denen unsere Welt versagt", etwa wenn einer der Freunde, inzwischen Journalist, auf einer Party dem hysterischen Trubel um ein unterbelichtetes Reality-Show-Pärchen beiwohnen muss und doch eine perverse Freude daran findet, diese Misere zu bezeugen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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