Friedrich Wilhelm IV. haßte, war ihm der abtrünnige Julian mit seinem Versuch einer großangelegten Restauration der paganen Kulte "von jeher interessant, ja in seiner Art lieb gewesen". Daß sich ein Freidenker wie Strauß, der sich mit der Amtskirche überworfen hatte, zu dem ansonsten glücklosen und politisch unbedeutenden Kaiser hingezogen fühlte, überrascht nicht: Galt Julian wegen seiner antichristlichen Politik, wie sie in der Schrift "Gegen die Galiläer" begründet wurde, der Kirche des Mittelalters als Apostat par excellence, so avancierte er in der Neuzeit unter religiösen Dissidenten, angefangen vom Marquis d'Argens und Voltaire bis hin zu Gore Vidal, zum Aufklärer avant la lettre und furchtlosen Kämpfer gegen Klerikalismus und christlichen Obskurantismus. Julian wurde zur Identifikationsfigur aller Spötter, Zweifler und Atheisten gleich welcher Couleur.
So verwundert es nicht, daß Julian auch von den Nationalsozialisten instrumentalisiert wurde, wie eine Ausgabe der Fragmente der antichristlichen Schrift durch den ehemaligen protestantischen Pfarrer und NS-Literaten Kurt Eggers beweist, die 1941 im Berliner Nordland-Verlag erschien. Im Vorwort zu diesem Machwerk pries Eggers Julians Kontroversschrift als Manifest der Freiheit und Ehre gegen die Sklavenmentalität des "rücksichtslos einreißenden und nihilistischen Christentums".
Für diese schillernde Rezeptionsgeschichte hat der Frankfurter Emeritus für Alte Geschichte Klaus Bringmann in seiner neuen Julian-Biographie freilich wenig übrig. Ihm geht es allein um die historische Gestalt in ihrer eigenen Zeit. Er sieht den Kern der kurzen Regierung des Kaisers in zweierlei: eben im Versuch einer "Wiederherstellung des Götterglaubens, der eigentlichen raison d'être seines neuplatonischen Kaisertums", und, darüber hinaus, in der "siegreichen Behauptung gegenüber dem Perserreich". Julian sei indessen sowohl mit der Realisierung des einen wie des anderen "letzten Endes auf der ganzen Linie" gescheitert. Das Ziel des Perserfeldzuges, die Einnahme Ktesiphons, sei militärisch wie politisch wenig sinnvoll gewesen. Angesichts der Verhandlungsbereitschaft des persischen Königs hätte dieses Ziel wohl auch auf dem Wege der Diplomatie erreicht werden können.
Der Wunsch nach Rückkehr zu den paganen Göttern, entstanden durch den Kontakt zu neuplatonischen Zirkeln seit der Studienzeit in Pergamon und Ephesus, habe sich bei Julian nicht zuletzt durch seinen anfänglichen Erfolg in Gallien und die geglückte Usurpation verstärkt. Bei seinem endlichen Versuch einer "Regeneration des Heidentums aus dem Geist des Neuplatonismus" habe er jedoch insofern seine Möglichkeiten überschätzt, als er das Heidentum durch einen Glaubensbegriff gewissermaßen zu unterfüttern suchte, der diesem letztlich fremd gewesen sei. Bringmann rechnet ausdrücklich mit der Möglichkeit einer erfolgreichen Restauration des Heidentums bei entsprechender langfristiger Planung; doch hätten dem puritanischen Gesinnungstäter Julian hierzu "Geduld und wohl auch Realitätssinn" gefehlt.
Leider verzichtet der Verfasser auf den reizvollen Versuch, die möglichen Folgen einer längerfristig orientierten Restauration durchzuspielen. Hätte dies bedeutet, daß das Christentum wieder von der triumphierenden Kirche zur Märtyrerkirche degradiert worden wäre? Wäre es gar letztendlich ganz verschwunden? Doch abgesehen vom Fehlen weiterführender Überlegungen, sind an der These insgesamt Zweifel angebracht: Schon aus strukturellen Gründen waren die im einzelnen äußerst divergenten paganen Kulte überhaupt nicht in der Lage, sozusagen eine "Heidenkirche" zu bilden. Bereits bei der gescheiterten Diokletianischen Christenverfolgung zu Beginn des vierten Jahrhunderts, die sich in erster Linie gegen den Klerus gerichtet hatte, erwies sich, daß das Christentum dem Heidentum organisatorisch überlegen war. Nicht zuletzt diese Einsicht hatte zur endlichen Toleranz durch Galerius und zur anschließenden "Konstantinischen Wende" geführt.
Mittlerweile war aber ein halbes Jahrhundert vergangen, und das Christentum hatte - trotz interner dogmatischer Querelen - die Zeit genutzt, seine Position auf allen Stufen der spätantiken Gesellschaft auszubauen. So wird man annehmen dürfen, daß Julians Restaurationsversuch auch bei einer geduldigeren Strategie an der dem Heidentum inhärenten strukturellen Schwäche sowie dem stabilen sozialen Rückhalt des Christentums gescheitert wäre.
Insgesamt bleibt Bringmanns Deutungsversuch der komplexen Persönlichkeit des römischen Kaisers blaß, was hauptsächlich damit zusammenhängen mag, daß er sich zuwenig für das geistige Umfeld interessiert, in dem sein Protagonist agierte, obwohl die neuere Forschung (Polymnia Athanassiadi, Jean Bouffartigue, Rowland Smith) hierzu bemerkenswerte Vorarbeiten bereitgestellt hat. Wir erfahren wenig über die religiösen Zeitläufte, wenig vor allem über die Frage der Verdrängung des Heidentums seit Konstantin dem Großen.
Geschichte, wie Bringmann sie versteht, ist in erster Linie politische und militärische Geschichte, und seine Biographie Julians ist mit allen Stärken und Schwächen dieses Ansatzes behaftet: Über der Beschreibung des Administrators und Feldherrn Julian wird die Gedankenwelt des Kaisers zwar nicht übergangen, aber sie wird eher paraphrasiert als vor ihrem philosophischen und religiösen Hintergrund analysiert, weshalb die Faszination dieses Kaisers für die Nachwelt nicht recht verständlich wird. Seine intellektuelle Redlichkeit und seine moralische Ernsthaftigkeit machten ihn zum formidablen Gegner der Christen, die mit einer Flut von Schmähschriften reagierten. Ob es der Kirche wirklich gelungen ist, des Monarchen religiöses Anliegen zu verstehen und gleichzeitig seine intellektuellen wie geistlichen Schwachpunkte aufzudecken, ist mir angesichts der ungebrochenen Popularität des Apostaten eine offene Frage.
WOLFRAM KINZIG
Klaus Bringmann: "Kaiser Julian". Der letzte heidnische Herrscher. Gestalten der Antike. Primus Verlag, Darmstadt 2004. 250 S., Abb., geb., 29,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main