die Probleme gar nicht mit den Jungen, meint Winter, sondern mit der Annahme, Jungen und so auch ihre Erziehung seien besonders schwierig. Das Bild von Männern und Jungen in der Gesellschaft ist unklar geworden, betont der Autor, die Rollenmodelle reichen vom lustigen Loser Bart Simpson bis zu den Gangsterhelden der Egoshooter. Den Eltern fehlt es an Orientierung und, wen wundert es, den Jungen auch. Männlichkeitsideale wie Mut und Durchsetzungskraft werden gefeiert, doch Machtmissbrauch und Gewalt stehen als Schattenseiten des Männlichen ebenso im Rampenlicht. Das ist eine für den Jungen undurchschaubare Mischung, so Winter. Doch genug gejammert. Cowboys, Ritter und Geheimagenten haben zwar nie ihre Eltern dabei, aber Jungen brauchen die elterliche Unterstützung ebenso wie Mädchen.
Zuerst erklärt Winter auf der Basis der leider chronisch schlecht nachvollziehbaren Psychoanalyse, was es mit den Jungen auf sich hat, ihrer Beziehung zu den Eltern und dem vielen Blödsinn, der über Testosteron erzählt wird. Es tut den Jungen gut, wenn die Rollenverteilung in der Familie klar ist, so Winter: ich Tarzan, du Jane. Es tut ihnen gut, wenn sie Aufgaben haben, die sie fordern und die Eltern ihnen etwas zutrauen. Sie brauchen strukturierte Möglichkeiten, ihre körperlichen Grenzen zu erproben. Und vor allem tut es ihnen gut, wenn ihre Eltern ihre Stärken und nicht nur ihre vermeintlichen Defizite sehen.
Die Schule, oft eine der Hauptreibungsflächen in der Erziehung, ist für Jungen eine extreme soziale Situation, erklärt Winter, denn dort stecken sie in der Vergleichsfalle: Ihre hingeschlunzten Hausaufgaben werden stets mit den sorgfältig ausgemalten Heften der ohnehin in ihrer Entwicklung weiter fortgeschrittenen Mädchen verglichen, ihr höherer Bewegungsdrang, ihre Aggressivität, ihr starkes Interesse an Statusfragen finden kein Ventil. Zugleich sind viele Jungen durch große Gruppen überfordert, Abwertung und Unterdrückung von Mitschülern erscheint ihnen als Notlösung in zu offenen Konstellationen. Und außer diesem sozialen Stress passiert an der Schule zu wenig, als dass Jungen sie als den Ernstfall betrachten könnten, die sie als Verteilerin von Lebenschancen nun mal ist.
Während sich der Autor im ersten Teil immer wieder zu ganz konkreten Fragen äußert - Bis zu welchem Alter darf die Mutter ihren Sohn küssen? Soll ich meinem Sohn helfen, wenn er gemobbt wird? Wie ist das mit dem Medienkonsum? Wie schaffe ich es, mit einem Jungen zu reden? -, sind die zehn "Tipps zum Umgang mit Jungen" im zweiten Teil nicht mal eben umzusetzen: Nehmen Sie Ihren Jungen wahr! Reflektieren Sie Ihr Männerbild! Interessieren Sie sich für das, was Ihren Jungen interessiert! Erziehung ist immer auch eine Entwicklungsaufgabe für die Eltern. Ähnliches könnte natürlich in einer Gebrauchsanweisung für Mädchen, ja für Mitmenschen im Allgemeinen stehen. Doch scheinbare Selbstverständlichkeiten auch einmal für Jungs auszubuchstabieren ermöglicht vielleicht den Ausweg aus der Vergleichsfalle: Jungen dürfen anders sein als Mädchen.
Leider endet das Buch, wenn es für die Eltern richtig hart wird: mit der Pubertät. Dafür gibt der Autor schließlich doch so etwas wie eine Garantie auf seine Gebrauchsanweisung: Wenn Sie die zehn Tipps befolgen, wird aus Ihrem Jungen schon etwas werden, versichert Winter. Mehr noch: Eltern eines Sohnes zu sein macht glücklich!
MANUELA LENZEN
Reinhard Winter: "Jungen". Eine Gebrauchsanweisung. Jungen verstehen und unterstützen.
Beltz Verlag, Weinheim und Basel 2011. 278 S., br., 16,95 [Euro].
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