bestimmtes Machtgerangel umgeschlagen. Beider vorläufiges Scheitern, eine Regierungskoalition nach ihren Vorstellungen zustande zu bringen, ist zwar auch dem Sozialisten Aleksandr Moros zuzuschreiben, der sich um das Amt des Parlamentspräsidenten willen auf die Seite der stärker nach Rußland ausgerichteten Kräfte schlug. Doch es waren zumindest ebenso die gegenseitigen Aversionen des einstigen Führungspaars, die dem offenkundigen Bedürfnis der Ukraine nach politischer Stabilität zuwiderliefen.
Julia Timoschenko, die zunächst auf dem besten Wege zu sein schien, zum zweiten Mal zur Regierungschefin zu avancieren, war bislang nicht nur von geradezu unbezähmbarem Kampfgeist beseelt. Sie ist zugleich mit Finessen ausgestattet, die verführerische, aber auch destruktive Züge anzunehmen pflegen. Die Frau mit dem frommen Haarkranz hat, da ist den Autoren Dmitri Popov und Ilia Milstein zuzustimmen, stets den "Überlebensinstinkt einer Katze" bewiesen. Ihr unfreiwilliger Mitstreiter Juschtschenko nimmt sich dagegen führungsschwach, zumindest aber entscheidungsscheu aus, auch wenn er sich seinen reformerischen Schneid nicht einmal von der lebensbedrohlichen Heimtücke der politischen Feinde abtrotzen ließ.
Was das vormalige Duo politisch nach wie vor verbindet, ist ihr Bemühen, die Unabhängigkeit der Ukraine vom ehemaligen Kernland des östlichen Imperiums zu festigen. Daß es dazu noch erheblicher Anstrengungen bedarf, hat das Verhalten des Kremlherrn Putin gegenüber dem Nachbarland unter erpresserischem Einsatz der russischen "Gaswaffe" bis in die jüngste Zeit hinein deutlich gemacht. Juschtschenko mußte bei aller Eigenständigkeit erkennen, daß sich sein Land einen Konfrontationskurs in Richtung Moskau kaum leisten kann. Bei Julia Timoschenko mochte sich diese Einsicht hingegen nicht so recht einstellen. Daher reibt man sich jetzt nach ihrem mißglückten Versuch, wieder Ministerpräsidentin zu werden, in Moskau die Hände.
Durch Geradlinigkeit hat sich die umtriebige Politikerin bisher vornehmlich dann hervorgetan, wenn es um persönliche Machtentfaltung im weitesten Sinne ging. Ansonsten zeichnete sich die im Verlauf ihrer kurvenreichen Karriere zur reichsten Frau des Landes gediehene Timoschenko bislang nicht eben durch politische Skrupel oder loyales Verhalten aus. Anschaulich stellen die beiden Autoren den Werdegang der alles in allem beeindruckenden Frau nach, die vor 45 Jahren im ostukrainischen Dnipropetrowsk geboren wurde - in einer Stadt, die sich einst als sowjetische Rüstungsschmiede einen Namen gemacht hatte. Aus ihr gingen einflußreiche regionale Clans hervor, zu deren Leitfiguren ein Leonid Breschnew ebenso gehörte wie später Leonid Kutschma, der Vorgänger Juschtschenkos im Amt des Präsidenten.
Julia wuchs in recht ärmlichen Verhältnissen auf: im "Haus des Taxifahrers", wo Beschäftigte des örtlichen Transportunternehmens eingewiesen wurden und ihre Mutter als Einsatzleiterin wirkte. Sie heiratete in jungen Jahren den Sohn eines in Dnipropetrowsk zu einem der Clans zählenden höheren Verwaltungsbeamten, der in Lemberg Geschichte studiert hatte - Geschichte, die sich dort, in der Westukraine, von jener in der russisch geprägten Ostukraine in mancher Hinsicht gravierend unterschied. Ob der Eintritt in die Familie Timoschenko ihr politisches und nationales Denken beeinflußte, sei dahingestellt. Sie befaßte sich zunächst mehr mit Wirtschaftsfragen und schloß ihr Studium als Ingenieurökonomin ab.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurde die Abhängigkeit der Ukraine von russischem Öl und Gas einerseits zum Symbol nationaler Demütigung durch die Machthaber in Moskau, andererseits aber auch - wie die Autoren detailliert darlegen - "zu einem Spender von Geschäftsideen mit oft märchenhaften Gewinnen". Gefördert von dem ehemaligen ukrainischen Ministerpräsidenten Pawel Lasarenko, der sich wegen allzu profitabler Beteiligung an diesen "Geschäftsideen" bald darauf nach Amerika absetzen sollte, brachte es Julia Timoschenko zur "Gasprinzessin" - genauer: zur Chefin der Vereinigten Energiesysteme der Ukraine. Doch kaum war Lasarenko daheim in Schwierigkeiten geraten, ging sie zu ihm auf Distanz und setzte sich statt dessen für die Wiederwahl des Präsidenten Kutschma ein, der von ihr zuvor als Tyrann bezeichnet worden war. Zur Belohnung wurde sie von diesem mit dem Posten einer Vizeministerin für Energiefragen bedacht, die fortan ungerührt gegen ihre früheren Partner, die Oligarchen, zu Felde ziehen sollte. Aber auch mit Kutschma hatte sie bald wieder ihre Probleme. Nach der Berufung des damaligen Zentralbankchefs Juschtschenko zum Regierungschef drängte Frau Timoschenko diesen energisch zur Opposition gegen Präsident Kutschma. "Diesen Mann mit der trüben herabhängenden Nase, den verschlagenen, eng beieinanderstehenden Augen und den dünnen rötlichen Haarsträhnen haßt sie wirklich", wollen Popov und Milstein über Frau Timoschenkos Verhältnis zu Kutschma herausgefunden haben.
Mit solchen und ähnlichen Beschreibungen sowie waghalsigen Psychogrammen schlägt das Buch gelegentlich ins Fragwürdige um. Hinzu kommen gewisse Zweifel am Umgang mit Fakten. So heißt es, Julia Timoschenko sei erst nach ihrer kurzen ersten Amtszeit als Regierungschefin (zu der sie nach der Wahl Juschtschenkos zum Präsidenten berufen worden war) in Moskau "aufgetaucht", wo sie Putin "getroffen" haben will. Tatsächlich suchte sie ihn noch als Ministerpräsidentin im Kreml auf - die Autoren sollten sich die Fotos in ihrem Buch genauer anschauen, denn hier ist die Begegnung eigens festgehalten.
Über alle Zweifel erhaben aber ist die Schlußfolgerung, die Popov und Milstein aus ihrer intensiven Beschäftigung mit dem bisherigen Tun und Lassen dieser ungewöhnlichen Frau ziehen: daß es in der Ukraine von heute keine politische Kämpfernatur gibt, die sich mit ihr messen kann, und daß sie als gleichsam geborene Führungsfigur in höchstem Maße unberechenbar ist.
WERNER ADAM
Dimitri Popov/Ilia Milstein: Julia Timoschenko. Die Zukunft der Ukraine nach der Orangenen Revolution. DuMont Literatur und Kunst Verlag, Köln 2006. 375 S., 18,90 [Euro].
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