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Jerry Berndt
Gebundenes Buch
Jerry Berndt, Insight
Katalog zur Ausstellung im Museum für Photographie, Braunschweig und C/O Berlin, 2008. Dtsch.-Engl.
Hrsg. v. Felix Hoffmann u. Maik Schlüter
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Produktdetails
- Verlag: Steidl
- Seitenzahl: 245
- Erscheinungstermin: 23. Dezember 2008
- Deutsch, Englisch
- Abmessung: 245mm x 285mm
- Gewicht: 1692g
- ISBN-13: 9783865217257
- ISBN-10: 3865217257
- Artikelnr.: 23899981
Herstellerkennzeichnung
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Irgendwo in Amerika
Jerry Berndt und Stephen Shore wollen die Welt anders sehen. Jetzt entdeckt man ihre Fotos neu
Es war eine schlechte Gegend, in die Jerry Berndt hineingeboren wurde, und es war eine schlechte Zeit. 1943 kam er in Milwaukee zur Welt, sein Vater betrieb eine Kneipe in der South Side, dem Arbeiter- und Einwandererbezirk. Berndt schloss sich früh der Antivietnamkriegsbewegung an, arbeitete mit dem Pazifisten Paul Goodman zusammen und wurde, anfangs eher als fotografierender Soziologe, zu einem der wenigen Fotografen, die die Studentenproteste von Anfang an aus der Innensicht zeigten - was ihm größeren Ärger mit dem FBI einhandelte, das Chefredakteure davor warnte, ihn als Fotografen zu
Jerry Berndt und Stephen Shore wollen die Welt anders sehen. Jetzt entdeckt man ihre Fotos neu
Es war eine schlechte Gegend, in die Jerry Berndt hineingeboren wurde, und es war eine schlechte Zeit. 1943 kam er in Milwaukee zur Welt, sein Vater betrieb eine Kneipe in der South Side, dem Arbeiter- und Einwandererbezirk. Berndt schloss sich früh der Antivietnamkriegsbewegung an, arbeitete mit dem Pazifisten Paul Goodman zusammen und wurde, anfangs eher als fotografierender Soziologe, zu einem der wenigen Fotografen, die die Studentenproteste von Anfang an aus der Innensicht zeigten - was ihm größeren Ärger mit dem FBI einhandelte, das Chefredakteure davor warnte, ihn als Fotografen zu
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beschäftigen, und an einem Ruf arbeitete, der sogar Museumsleute verschreckte.
Jerry Berndt, Stephen Shore: Die beiden Fotografen, die gerade in zwei Büchern und einer Ausstellung wiederentdeckt werden, sind fast gleich alt, aber ihre Biographien und die Gründe dafür, warum sie immer noch weniger bekannt sind als andere fotografierende Generationsgenossen, sind so unterschiedlich, wie sie nur sein können. Denn während sich Berndt mit dem FBI und verängstigten Chefredakteuren herumschlug, war der vier Jahre jüngere Shore schon ein berühmter Mann - und das mit Mitte zwanzig. Shore ist das Wunderkind der Farbfotografie, mit vierzehn Jahren hatte er dem Museum of Modern Art seine ersten drei Fotos verkauft, mit siebzehn trieb er sich in Andy Warhols Factory herum, mit dreiundzwanzig bekam er als erster lebender Fotograf überhaupt eine Einzelausstellung im New Yorker Metropolitan Museum of Art - und das mit Fotografien, die wenig mit dem zu tun hatten, was sonst ausgestellt wurde. Shore, das erkennt man vor allem in der konzeptuellen Fotoserie "American Surfaces", zoomte sich in die Oberflächen der Dinge, bis man sie mehr fühlte als sah: Der weiche, kalte Hamburger, ein verschmutzter Kühlschrank, ein verschwitztes, wie auch immer eingesautes Bett, die genoppte Bluse einer Frau, die geriffelten Pommes frites im Diner, eine mit Fettfingerabdrücken überzogene Holzwand . . . all das fügt sich zu einer Bildgeschichte des Tastens und Riechens zusammen - und zu einer Fotografie, der es um eine größere Nähe und Unmittelbarkeit geht, als es die distanzierende, den Moment historisierende Fotografie eigentlich erlaubt. Shores Fotos der Alltagsdinge sind eher der Versuch, zu zeigen, wie sich das Amerika der frühen siebziger Jahre anfühlte, wie es roch, weniger, wie es aussah.
Diese Bilder der "American Surfaces" sind dabei nur ein Teil seines Werks - obwohl einer, der eine ganze Fotokultur auslöste; ihre Ausläufer sind noch in der digitalen Amateurfotografie zu spüren, in den Momentaufnahmen, die aussehen, als seien sie halb unbewusst aus dem, wie Wolfgang Tillmans das einmal nannte, "Rauschen des Lebens" herausgerissen: das Kotelett in der Pfanne, eine blonde Frau im Hotel, das Gesicht des Tankwarts - jeder Moment des eigenen Lebens kann ein Fotokunstwerk werden.
Und dann gibt es die ganz anderen Bilder von Shore, die eher an die Gemälde von Edward Hopper erinnern. Eins zeigt einen verregneten Sommertag in Philadelphia (es ist, wie die Beschriftung verrät, der 21. Juni 1974). Warum wurde dieses Bild gemacht? Es ist kein Mensch darauf zu sehen, auch kein besonderes Gebäude; das Bild hat keinen lexikalischen Sinn, es dokumentiert kein erkennbares Ereignis. Und je länger man auf das Foto schaut (so, wie man aus einem Fenster starrt, obwohl draußen nichts passiert), desto surrealer beginnen die Dinge auszusehen: Der rote Hydrant wird ein seltsamer Soldat, der blaue Audi ein seltsamer Tiefseefisch, der in den nassen Teer starrt.
Wenn es in diesen Stadtbildern von Shore ein Geheimnis gibt, dann eins, das sie mit den meisten Gemälden von Edward Hopper teilen: Es ist eine gegenläufige Bewegung in ihnen, wie eine Unterströmung, die anderswohin zieht, als die Oberfläche denken lässt.
Über Hopper wurde oft geschrieben, er zeige die Trostlosigkeit des modernen Großstadtmenschen, seine Isolation, den schleichenden Zerfall seiner Welt. Das ist einerseits richtig - aber andererseits (und das unterscheidet Hopper und Shore von den ganzen schlechten Foto- und Pinselmelancholikern) gibt es in diesen Bildern immer ein Außen, das einen Aufbruch verspricht: Der Tankwart schaut in die Ferne, dort wartet eine Großstadt mit ihren Versprechen; die Menschen in der Bar werden sich vielleicht kennenlernen; das Morgenlicht bringt eine größere, leuchtende Welt ins muffige Zimmer. Shore fotografiert eine düstere, trostlose Backsteinfassade, davor steht aber, abreisebereit, wie eine Einladung, ein schnelles Auto. Es könnte anders werden: Das ist das Versprechen dieser Bilder.
Immer wieder nimmt Shore Holzmaserungen auf: Holztische, auf denen Fastfood serviert wird, Holztäfelungen, vor denen futuristische Plastikfernseher thronen. Der Gegensatz erzählt von den zwei Amerikas: dem ländlichen, selbstgezimmerten Siedlerglück der ersten Tage und dem des Mondzeitalters. Manchmal fotografiert Shore Szenen am Stadtrand: Man sieht Brick Buildings, die industrielle Stadt des 19. und des frühen 20. Jahrhunderts - aber dahinter, in einer Lücke, taucht wie eine Fata Morgana das alte, ländliche Amerika der Siedlerzeit auf: der dichte Wald, das weiße Holzhaus im Nebel. Wobei man diese Idylle - was, wie Christy Lange in ihrem brillanten Katalogessay schreibt, Beweis für den sehr speziellen, "erbarmungslosen Humor" von Shore ist - nie allein gezeigt bekommt: Das klassisch Schöne, der alte Traum, ist immer nur im verdorbenen Rahmen einer unromantischen, vollkommen schiefgegangenen Realität zu sehen - mit der es sich zu einer neuen, sehr amerikanischen Schönheit verbindet.
Das gilt auch für Berndts Aufnahmen. Auch er fotografiert Serien, die eher an die Konzeptkunst seiner Zeit als an Vorbilder wie Robert Frank erinnern. In seinen leeren Nachtbildern sieht die Stadt aus wie eine leere Theaterbühne, bei der man nicht weiß, ob sie schon verlassen wurde von den echten Menschen oder noch auf sie wartet. Was er Ende der sechziger Jahre aufnahm, erinnert eigenartig an das, was heute an Bildern aus Amerika kommt: Aufnahmen eines Landes, das sozial und ökonomisch ins Schleudern geraten ist, sich in einem Krieg verrannt hat und auf einen großen Umschwung hofft. Berndt fotografierte den Wahlkampf von Nixon, die Bürgerrechtler und immer wieder die Nacht in Bostons schlechteren Vierteln: die Zusammengeschlagenen, Zusammengebrochenen, Prostituierten. Ein vom Leben zerzaustes Paar tanzt in einer Bar, und es sieht eher aus, als klammerten die beiden sich aneinander, um nicht zu stürzen. Manchmal, wenn er Betrunkene fotografiert, wird seine Kamera so unscharf, als sei sie selbst betrunken oder wolle einen schützenden Nebel über diejenigen legen, die ihm bewusstlos vors Objektiv kippen - und dass die körnigen, wie aus der Hüfte geschossenen Nachtszenen am Ende nicht doch zu einer edel-traurigen Bildkonfektmischung werden, liegt vor allem daran, dass der Grund des gezeigten Desasters immer mit im Bild ist: Das Konterfei des feist lächelnden Präsidenten, der Kunde der Prostituierten.
Man sieht in diesen Bildern, dass das, was sie zeigen, kein unabwendbares Schicksal, sondern menschengemachtes Elend ist - und wenn es ein Kriterium gibt, das politische Fotografie unterscheidet vom melancholischen schwarzweißen Stimmungszeugs, das die Foto-Plakatshops füllt, dann ist es genau dieses.
NIKLAS MAAK
Stephen Shore. Mit Essays von Christy Lange und Joel Sternfeld. Erschienen im Phaidon-Verlag, 30 Euro. Jerry Berndt: "Insight". Steidl-Verlag, 42 Euro. Berndts Bilder sind noch bis zum 22. März bei c/o Berlin ausgestellt.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Jerry Berndt, Stephen Shore: Die beiden Fotografen, die gerade in zwei Büchern und einer Ausstellung wiederentdeckt werden, sind fast gleich alt, aber ihre Biographien und die Gründe dafür, warum sie immer noch weniger bekannt sind als andere fotografierende Generationsgenossen, sind so unterschiedlich, wie sie nur sein können. Denn während sich Berndt mit dem FBI und verängstigten Chefredakteuren herumschlug, war der vier Jahre jüngere Shore schon ein berühmter Mann - und das mit Mitte zwanzig. Shore ist das Wunderkind der Farbfotografie, mit vierzehn Jahren hatte er dem Museum of Modern Art seine ersten drei Fotos verkauft, mit siebzehn trieb er sich in Andy Warhols Factory herum, mit dreiundzwanzig bekam er als erster lebender Fotograf überhaupt eine Einzelausstellung im New Yorker Metropolitan Museum of Art - und das mit Fotografien, die wenig mit dem zu tun hatten, was sonst ausgestellt wurde. Shore, das erkennt man vor allem in der konzeptuellen Fotoserie "American Surfaces", zoomte sich in die Oberflächen der Dinge, bis man sie mehr fühlte als sah: Der weiche, kalte Hamburger, ein verschmutzter Kühlschrank, ein verschwitztes, wie auch immer eingesautes Bett, die genoppte Bluse einer Frau, die geriffelten Pommes frites im Diner, eine mit Fettfingerabdrücken überzogene Holzwand . . . all das fügt sich zu einer Bildgeschichte des Tastens und Riechens zusammen - und zu einer Fotografie, der es um eine größere Nähe und Unmittelbarkeit geht, als es die distanzierende, den Moment historisierende Fotografie eigentlich erlaubt. Shores Fotos der Alltagsdinge sind eher der Versuch, zu zeigen, wie sich das Amerika der frühen siebziger Jahre anfühlte, wie es roch, weniger, wie es aussah.
Diese Bilder der "American Surfaces" sind dabei nur ein Teil seines Werks - obwohl einer, der eine ganze Fotokultur auslöste; ihre Ausläufer sind noch in der digitalen Amateurfotografie zu spüren, in den Momentaufnahmen, die aussehen, als seien sie halb unbewusst aus dem, wie Wolfgang Tillmans das einmal nannte, "Rauschen des Lebens" herausgerissen: das Kotelett in der Pfanne, eine blonde Frau im Hotel, das Gesicht des Tankwarts - jeder Moment des eigenen Lebens kann ein Fotokunstwerk werden.
Und dann gibt es die ganz anderen Bilder von Shore, die eher an die Gemälde von Edward Hopper erinnern. Eins zeigt einen verregneten Sommertag in Philadelphia (es ist, wie die Beschriftung verrät, der 21. Juni 1974). Warum wurde dieses Bild gemacht? Es ist kein Mensch darauf zu sehen, auch kein besonderes Gebäude; das Bild hat keinen lexikalischen Sinn, es dokumentiert kein erkennbares Ereignis. Und je länger man auf das Foto schaut (so, wie man aus einem Fenster starrt, obwohl draußen nichts passiert), desto surrealer beginnen die Dinge auszusehen: Der rote Hydrant wird ein seltsamer Soldat, der blaue Audi ein seltsamer Tiefseefisch, der in den nassen Teer starrt.
Wenn es in diesen Stadtbildern von Shore ein Geheimnis gibt, dann eins, das sie mit den meisten Gemälden von Edward Hopper teilen: Es ist eine gegenläufige Bewegung in ihnen, wie eine Unterströmung, die anderswohin zieht, als die Oberfläche denken lässt.
Über Hopper wurde oft geschrieben, er zeige die Trostlosigkeit des modernen Großstadtmenschen, seine Isolation, den schleichenden Zerfall seiner Welt. Das ist einerseits richtig - aber andererseits (und das unterscheidet Hopper und Shore von den ganzen schlechten Foto- und Pinselmelancholikern) gibt es in diesen Bildern immer ein Außen, das einen Aufbruch verspricht: Der Tankwart schaut in die Ferne, dort wartet eine Großstadt mit ihren Versprechen; die Menschen in der Bar werden sich vielleicht kennenlernen; das Morgenlicht bringt eine größere, leuchtende Welt ins muffige Zimmer. Shore fotografiert eine düstere, trostlose Backsteinfassade, davor steht aber, abreisebereit, wie eine Einladung, ein schnelles Auto. Es könnte anders werden: Das ist das Versprechen dieser Bilder.
Immer wieder nimmt Shore Holzmaserungen auf: Holztische, auf denen Fastfood serviert wird, Holztäfelungen, vor denen futuristische Plastikfernseher thronen. Der Gegensatz erzählt von den zwei Amerikas: dem ländlichen, selbstgezimmerten Siedlerglück der ersten Tage und dem des Mondzeitalters. Manchmal fotografiert Shore Szenen am Stadtrand: Man sieht Brick Buildings, die industrielle Stadt des 19. und des frühen 20. Jahrhunderts - aber dahinter, in einer Lücke, taucht wie eine Fata Morgana das alte, ländliche Amerika der Siedlerzeit auf: der dichte Wald, das weiße Holzhaus im Nebel. Wobei man diese Idylle - was, wie Christy Lange in ihrem brillanten Katalogessay schreibt, Beweis für den sehr speziellen, "erbarmungslosen Humor" von Shore ist - nie allein gezeigt bekommt: Das klassisch Schöne, der alte Traum, ist immer nur im verdorbenen Rahmen einer unromantischen, vollkommen schiefgegangenen Realität zu sehen - mit der es sich zu einer neuen, sehr amerikanischen Schönheit verbindet.
Das gilt auch für Berndts Aufnahmen. Auch er fotografiert Serien, die eher an die Konzeptkunst seiner Zeit als an Vorbilder wie Robert Frank erinnern. In seinen leeren Nachtbildern sieht die Stadt aus wie eine leere Theaterbühne, bei der man nicht weiß, ob sie schon verlassen wurde von den echten Menschen oder noch auf sie wartet. Was er Ende der sechziger Jahre aufnahm, erinnert eigenartig an das, was heute an Bildern aus Amerika kommt: Aufnahmen eines Landes, das sozial und ökonomisch ins Schleudern geraten ist, sich in einem Krieg verrannt hat und auf einen großen Umschwung hofft. Berndt fotografierte den Wahlkampf von Nixon, die Bürgerrechtler und immer wieder die Nacht in Bostons schlechteren Vierteln: die Zusammengeschlagenen, Zusammengebrochenen, Prostituierten. Ein vom Leben zerzaustes Paar tanzt in einer Bar, und es sieht eher aus, als klammerten die beiden sich aneinander, um nicht zu stürzen. Manchmal, wenn er Betrunkene fotografiert, wird seine Kamera so unscharf, als sei sie selbst betrunken oder wolle einen schützenden Nebel über diejenigen legen, die ihm bewusstlos vors Objektiv kippen - und dass die körnigen, wie aus der Hüfte geschossenen Nachtszenen am Ende nicht doch zu einer edel-traurigen Bildkonfektmischung werden, liegt vor allem daran, dass der Grund des gezeigten Desasters immer mit im Bild ist: Das Konterfei des feist lächelnden Präsidenten, der Kunde der Prostituierten.
Man sieht in diesen Bildern, dass das, was sie zeigen, kein unabwendbares Schicksal, sondern menschengemachtes Elend ist - und wenn es ein Kriterium gibt, das politische Fotografie unterscheidet vom melancholischen schwarzweißen Stimmungszeugs, das die Foto-Plakatshops füllt, dann ist es genau dieses.
NIKLAS MAAK
Stephen Shore. Mit Essays von Christy Lange und Joel Sternfeld. Erschienen im Phaidon-Verlag, 30 Euro. Jerry Berndt: "Insight". Steidl-Verlag, 42 Euro. Berndts Bilder sind noch bis zum 22. März bei c/o Berlin ausgestellt.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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