konnten auf ihm identifiziert werden - Arthur Salz, Edgar Salin, Carl Brinkmann, um nur einige zu nennen. Dennoch zeigt das Foto, womit man es zu tun hat: mit einer der bedeutendsten sozialwissenschaftlichen Einrichtungen der Zwischenkriegszeit, die das geistige Leben der Weimarer Republik stark beeinflusst hat.
Reinhard Blomert hat die Geschichte dieses Instituts mit großem Forschungsaufwand und viel Sympathie nachgezeichnet. Er hat Zeitzeugen befragt, Archive und Nachlässe ausgewertet und dabei manchen Fund gemacht wie die - im Anfang erstmals abgedruckte - Disposition von Norbert Elias zur geplanten Habilitation bei Alfred Weber, die sich mit der Entstehung der modernen Naturwissenschaften in der italienischen Renaissance befassen sollte. Hauptwerke der Leitfiguren werden vorgestellt, aber auch Dissertationen und kleinere Beiträge finden Beachtung, so dass ein lebendiges Bild der in dieser Zeit betriebenen Forschung entsteht.
Zu den Themen, mit denen man sich am InSoSta befasste, gehörte natürlich das Thema der Weber-Brüder, die Bürokratie. Daneben aber gab es rege Debatten über den "neuen Mittelstand", die Angestellten und deren politische Präferenzen, die, wie man damals fälschlich meinte, vor allem dem Nationalsozialismus zugute kämen; über Refeudalisierungstendenzen in der Wirtschaft (Carl Brinkmann); über den Konservatismus (Karl Mannheim); und nicht zuletzt: über die Soziologie der Kultur, des Wissens und der Intellektuellen (Alfred Weber, Karl Mannheim). Blomert behandelt dies alles sachkundig und mit klarem Blick für die Differenzen, die etwa zwischen Alfred Webers (,Neoplatonismus') und Mannheims Funktionalismus bestanden. Darüber hinaus vermag er deutlich zu machen, wie stark das erst nach den Heidelberger Jahren entstandene Werk von Norbert Elias durch seine Zeit bei Weber und Mannheim geprägt ist.
In einem weiteren Kapitel wird die Verflechtung des Instituts in die großen politischen Auseinandersetzungen betrachtet. Hier geht es zum einen um den Fall Gumbel, der allerdings schon mehrfach Gegenstand von Darstellungen war; zum anderen um die Beziehungen zum rechtsradikalen "Tatkreis", die dadurch gegeben waren, dass zwei Redakteure dieser Zeitschrift - Ernst Wilhelm Eschmann und Giselher Wirsing - als Assistenten bei Alfred Weber und Carl Brinkmann arbeiteten. Sehr aufschlussreich ist dabei ein Briefwechsel zwischen Alfred Weber und Hans Zehrer, in dem der Erstere dem Letzteren unmissverständlich vorbuchstabiert, welche Folgen die von der "Tat" angestrebte Vernichtung des Liberalismus auch und gerade für ihn selbst haben würde (und dann tatsächlich hatte). Dass sich dabei die politische Lage von Heidelberg aus etwas einfacher darstellte als von Berlin aus, wird von Blomert ebenfalls nicht verschwiegen.
Ein weiterer Abschnitt ist dem "Fall" Bergstraesser gewidmet, bei dem es um die politische Haltung des späteren Freiburger Politikprofessors gegenüber dem aufkommenden Nationalsozialismus geht. Blomert legt hier in einer subtilen Rekonstruktion das Gespinst von Verdächtigungen bloß, das die political correctness von damals um Bergstraesser knüpfte, und tritt vorschnellen Verurteilungen entgegen, indem er plausibel macht, dass dessen politische Sympathien keineswegs Hitler galten, sondern der - ebenfalls von der "Tat" favorisierten - "Querfront"-Strategie, die den General von Schleicher, die Gewerkschaften und den Strasser-Flügel der NSDAP zusammenspannen wollte. Ein besonders trauriges Kapitel deutscher Universitätsgeschichte ist die 1936 erfolgte, vor allem durch Intrigen des Historikers Günther Franz beschleunigte Entfernung Bergstraessers aus seinem Amt als Inhaber der Goethe-Gedächtnis-Professur.
Am Ende des materialreichen Buches wirft Blomert die Frage auf, warum aus dem InSoSta,im Gegensatz etwa zum Frankfurter Institut für Sozialforschung, keine "Schule" im akademischen Sinne geworden ist. Er nennt sachliche und persönliche Gründe. Alfred Weber, leitender Geist des Instituts, habe sich in manchen Punkten vom Werk des Bruders Max abgesetzt, dessen Wirkung aber nicht auslöschen können, so dass es in Heidelberg zwei Weber-Traditionen gab. Der wichtigste Schüler, Edgar Salin, habe seine Loyalität zwischen ihm und Stefan George aufgeteilt, während Bergstraesser kein Schüler geworden sei, sich vielmehr wegen politischer Ambitionen von Alfred Webers kultursoziologischen Fragen entfernt habe. Insgesamt hätten sich die Heidelberger Sozialwissenschaften nicht für synthetische Systembildungen geeignet, ihr Charakteristikum sei die offene Diskussion kontroverser Standpunkte gewesen.
Das sind gewichtige Gründe. Und doch reichen sie nicht aus. Für eine Schulbildung war das, was Alfred Weber an Eigenem zu bieten hatte, einfach nicht hinreichend. Nicht der Neoplatonismus, wohl aber seine aus Jugendbewegung, Lebensphilosophie und Konkurrenz gegen den Bruder gespeiste Abneigung gegen Definitionen, Typen, ja gegen exaktes Denken überhaupt hinderte ihn, ein OEuvre mit unverwechselbaren Konturen zu schaffen. Die bildungsbürgerliche Goethereligion, die Blomert ihm bescheinigt, war eher die Holzwolle, mit der er die klaffenden Lücken seiner Arbeiten zu stopfen versuchte, als die Barriere, die ihn von erfolgreicher Forschung abgehalten hätte. Starkes, langsames Bohren von harten Brettern war seine Sache nicht: fast alles, was er wissenschaftlich zustande gebracht hat, liest sich, als wäre es im Café zwischen etlichen Aperitifs geschrieben und nicht in der Bibliothek zwischen Bücherregalen. Grandseigneur und Plaudertasche zugleich, hätte Alfred Weber einen guten Bundespräsidenten abgegeben. Als Schulgründer aber war er eine Fehlbesetzung. Noch immer gilt, was Talcott Parsons (nach Gottfried Eisermann) 1954 bei einem Kolloquium Alfred Weber antwortete, als dieser ihn unter Tränen fragte, ob er denn alles verurteilen wolle, was er geschaffen habe: "Durrrchaus nücht, nur würrrde ich es nücht Soziologie nennen."
Reinhard Blomert: "Intellektuelle im Aufbruch". Karl Mannheim, Alfred Weber, Norbert Elias und die Heidelberger Sozialwissenschaften der Zwischenkriegszeit. Carl Hanser Verlag, München 1999. 472 S., geb., 49,80 DM.
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