beauftragt ist, hat nach einem Reitunfall Schmerzen in seiner Schulter und wird ständig von seinen Mitarbeitern danach gefragt. Andererseits muss er sich auf etwa jeder siebten Seite eine Zigarette anzünden, so dass der Satz: ". . . sagte McKenna und zündete sich eine Zigarette an" zu einer Floskel wird, die zur vernebelten Atmosphäre des Buchs beiträgt. Denn wie der zwei Jahre zuvor erschienene Roman "Simones Braut" spielt auch der neueste Krimi von Alison Taylor in der nordwalisischen Kleinstadt Bangor und ist natürlich in diesen vorweihnachtlichen Tagen, in denen der Mord an dem vierzehnjährigen Arwel Thomas verübt wird, von schlechtem Wetter geprägt: "Die letzten bräunlichen Blätter vertrockneten an den Zweigen der Esche vor McKennas Bürofenster. Fransige Nebelschwaden hingen zwischen den hohen, schmalen Gebäuden hinter der High Street."
Wie das Wetter, so ist auch die Geschichte: ein äußerst nebulöser Fall. Der hübsche Arwel Thomas war Insasse von Blodwel, einem Heim für vernachlässigte Kinder und Jugendliche, betreut von charakterlosen Sozialarbeitern, abgelehnt und verstoßen von seinen von Sozialhilfe und Arbeitslosengeld lebenden Eltern. Erst nach dem Mord stellt sich heraus, dass Arwel sexuell missbraucht wurde - und nicht nur er. Der erste Verdacht fällt auf den reichen Pferdegutsbesitzer und Beethoven-Verehrer Mr. Elis, da er sich als Wohltäter um den verwahrlosten Arwel gekümmert hat. Aber auch der Leiter des Kinderheims und seine Frau entpuppen sich als undurchsichtige Persönlichkeiten. In mühseliger Puzzlearbeit, behindert durch behördliche Schranken und das verängstigte Schweigen derjenigen, die auch nur im weitesten Sinne zur Aufklärung des Falls beitragen könnten, setzt sich nach und nach für McKenna ein schreckliches Bild zusammen: In dem Kinderheim wurden die Insassen nicht nur geschlagen und misshandelt, sondern in organisierter Weise zur Prostitution gezwungen.
Solche Zustände hat die Autorin schon auf andere Weise öffentlich beklagt, was ihr einen Bürgerrechtspreis einbrachte. Aber auch ihre Darstellung der mühsamen Polizeiarbeit, die Zusammensetzung der unterschiedlichen Charaktere des Teams um Chief Inspector McKenna kann sich sehen lassen. Da ist der ewig überarbeitete Jack Tuttle mit seinen heranwachsenden Zwillingstöchtern. Oder Constable Dewi Prys, der sich mit seiner vorlauten Kollegin Janet Evans ständig streitet - alles Figuren, die man während der Lektüre kennen und schätzen lernt.
Alle Figuren dieses Romans zeigen, wie sehr Alison Taylor darum bemüht ist, sie ernst zu nehmen. Zwar ist das Buch nach dem üblichen Muster eines Polizeikrimis gestrickt und bleibt, bis auf wenige Ausnahmen, konsequent bei der Ermittlungsarbeit. Aber es ist zum Glück viel mehr. "In schuldiger Nacht" gibt auf aufschlussreiche Weise einen kritischen Einblick in die Lebensumstände der sozial Schwachen, und das erzeugt nicht nur ein Schaudern im Sinne des krimitypischen Gruselns, sondern auch ein Erschrecken über die Auswirkungen sozialer Spannungen und Ungerechtigkeiten. McKenna kann den Mord an Arwel Thomas zwar aufklären, aber er weiß auch, dass die abgründigen und mitunter sogar todbringenden Missverhältnisse bestehen bleiben werden. Alison Taylor beschreibt dies kurz und bündig in einem Bild, in dem sie das Leitmotiv in ihrem Roman voll zur Geltung bringt: "Gegen Morgen sah McKenna hinaus in den dichten Nebel, der vom Meer herkam. Es war nicht einmal der Schatten einer Gestalt sichtbar, um zu bestätigen, dass die Welt noch existierte. Er stellte sich den Nebel als ein Wesen vor, das gegen die Fensterscheiben drückte und in sein Haus, in seine Kehle einzudringen versuchte, um ihn zu ersticken."
MARTIN GRZIMEK
Alison Taylor: "In schuldiger Nacht". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Klaus Berr. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1999. 320 S., geb., 39,80 DM.
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