mit der Kamera besucht und Werkstattgespräche geführt. Jeder erklärt seine sehr besondere Methode.
Da sind die Morgenmenschen und jene, die erst in der Ruhe der Nacht zu kreativem Leben erwachen. Da gibt es den sorgsam leergefegten Bürotisch Reiner Kunzes und die zauberhaft chaotische Papierhöhle von Friederike Mayröcker. Da sind die scheinbar Unbekümmerten, die ihre Einfälle und Verse notfalls in der Straßenbahn notieren, und die disziplinierten Stubenhocker, die Einsiedler der Literatur. Doch Raum ist in der kleinsten Hütte für den Vogel Phantasie. Ganz unterschiedliche Temperamente geben sich zu Protokoll. Robert Schneider, der als Riesensäugling posiert, liebt's ein bißchen pathetisch: "Ich habe mir ein Zuhause für meinen Schmerz geschaffen." Vorsichtshalber samt Swimming-pool. Hingegen braucht Peter Rühmkorf bloß seine ewige Studentenbude, eine Mansardenkammer mit Aussicht auf die Elbe.
Die Unsteten, die Reiselustigen und Luftwurzelschläger, sie sind nicht so leicht zu fassen. Ihr Ambiente präsentiert sich meist frei von Stilisierung. Kein Wunder, daß die Produktionsinstrumente hier eine Hauptrolle spielen. Mit Hermann Lenz ist der Griff zur altertümlichen Stahlfeder im Kunstbezirk offenbar ausgestorben. Bleistiftanhänger wie Peter Handke halten treuen Liebhabern der Tinte die Waage. Auf dem Weg von Kopf und Herz aufs Papier "muß ein Fluß sein bis durch meinen Füllfederhalter", sagt Sarah Kirsch. Darum besitzt sie "mindestens sieben". Für Artmann und manche seiner Kollegen dürfte indes das Klappern der mechanischen Schreibmaschine unerläßliche Hintergrundmusik sein.
Daß der PC längst Eingang in Dichterklausen jeglichen Formats gefunden hat, überrascht niemanden. Erstaunlich allerdings die Bandbreite der Begründungen. Argumente der Vernunft wechseln mit Hymnen. Ruth Klüger hat ohne Zweifel das persönlichste Verhältnis zu ihrem Notebook. Es heißt Hildegard, der Drucker ist männlich. Schreiben mit Kunstanspruch gehört in der Regel zur Intimsphäre: weil es ein Akt des Enthüllens und Verbergens zugleich ist. Sich dabei abbilden zu lassen und darüber Rede und Antwort zu stehen erfordert fast immer Überwindung oder große Gelassenheit. Besonders eindrucksvoll gelang das Interview mit dem von Todeskrankheit gezeichneten Jurek Becker. Zwei Herren aber verteidigen mit Fug und Recht ihr Revier gegen die Neugier der Öffentlichkeit. Während Sten Nadolny in ein Lokal in der Nähe ausweicht, gestattet Christoph Ransmayr nur einen Blick auf seine Hände am Laptop - auch eine Art Stilleben. Dafür entwirft er nebenbei eine schöne Poetik in eigener Sache.
Am offenherzigsten wirkt der beichtfreudige Johannes Mario Simmel, am mürrischsten Hans Joachim Schädlich, und die spitzesten Repliken stammen naturgemäß von Enzensberger. Kurzum, ein ebenso lehrreicher wie unterhaltsamer, zudem ästhetisch befriedigender Band. Weder die Tricks des Metiers noch die Marotten der Ausübenden werden ausgespart. Herlinde Koelbl hilft uns auf ihre angenehm nüchterne und sachkundige Weise, das Geheimnis des Dichtens - als spracherotischen Prozeß und Technik - besser zu erfassen. Es ist keins und bleibt doch eines.
Herlinde Koelbl: "Im Schreiben zu Haus. Wie Schriftsteller zu Werke gehen. Fotografien und Gespräche". Knesebeck-Verlag, München 1998. 260 S., 248 Abb., geb., 98,- DM.
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