Kunst heißt: Lego. Mit Legosteinen kann man alles nachbauen, Häuser, Menschen, Pferde, obwohl zum Beispiel Menschen und Pferde gar nicht eckig sind: vier kleine Steine und ein langer, und ein Dachziegel drauf - schon erkennt jeder: Dies hier stellt einen Hund dar. Kinder haben diese Fähigkeit zum Denken in Abstraktionen; sie können die ganze Welt mit wenigen Steinen nachbauen, die Erwachsenen mussten das im Lauf der Kulturgeschichte erst wieder lernen. Genau genommen sind Legofiguren ja Zeichen - sie verweisen auf etwas, das nicht so aussieht, aber jeder weiß, was gemeint ist. Größere Kinder machen gerne Spiele mit Lego, einer baut drauflos, die anderen müssen raten, was er baut - und der schönste Moment ist der, wenn man die Abstraktion entziffert, das Bedeutete erkennt.
Dass die ganze Welt mitsamt ihren abstrusen und komplizierten Phänomenen durch Lego darstellbar ist; dass das rasend komisch sein kann und nebenbei sehr kluge und hintersinnige ästhetische Rückkopplungen produziert und manchmal sogar in eine kleine Bildphilosophie münden kann: das beweist, wie gesagt, der Künstler und Grafiker Christoph Niemann, der lange in Amerika lebte, dort unter anderem für den "New Yorker" arbeitete und etliche hinreißende Kinderbücher (eins dient dazu, chinesisch zu lernen - und es klappt!) und Blogs mit seiner sehr speziellen grafischen Hermeneutik füllte. Er hat dieses Buch herausgegeben, das die Essenz der Stadt New York, die Zeichen und Formen von Manhattan, als Legowelt komprimiert: Ein grüner Legostein stellt ein Bündel 20-Dollar-Scheine dar, drei gelbe Steine die gelbliche Toupetfrisur von Donald Trump, ein roter Stein hinter einem blauen und einem grauen einen "Sonnenuntergang über dem Hudson River", dreißig bunte Steine, die sich in ein Nadelöhr drängen, den Morgenstau vor dem Holland Tunnel, ein oranger Stein unter einem schmalen grauen ein "200-Dollar-Strafzettel unter dem Scheibenwischer": ein oranger Einserstein ist ein "Bourbon", ein roter ein "Scotch" - und ein schwarzer Einserstein auf einem kleinen weißen Turm ist: King Kong! Irrer, lustiger und charmanter war noch kein Symbolsystem, das uns New York erklärte. Auch so kann abstrakte Kunst aussehen.
nma
Christoph Niemann: "I LEGO New York", Knesebeck-Verlag 2010, 9,95 Euro
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