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Gebundenes Buch
Hofmannsthal. Orte
20 biographische Erkundungen
Herausgegeben: Hemecker, Wilhelm; Heumann, Konrad
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Dieses Buch ist der erste Versuch, Hugo von Hofmannsthals (1874-1929) Leben und Werk in einer Gesamtdarstellung zu fassen. Ausgegangen wird von den Orten, an denen Hofmannsthal gelebt, gearbeitet und Inspiration gesucht hat. Angefangen vom Geburtshaus in der Salesianergasse und dem Akademischen Gymnasium in Wien über künstlerisch bedeutende Orte wie das Café Griensteidl und das Burgtheater bis hin zu den für Hofmannsthal wichtigen Städten Berlin, München, Venedig und Paris beschreiben die Autoren prägende Konstellationen, die mit bestimmten Örtlichkeiten verbunden sind. Um es mit Hofma...
Dieses Buch ist der erste Versuch, Hugo von Hofmannsthals (1874-1929) Leben und Werk in einer Gesamtdarstellung zu fassen. Ausgegangen wird von den Orten, an denen Hofmannsthal gelebt, gearbeitet und Inspiration gesucht hat. Angefangen vom Geburtshaus in der Salesianergasse und dem Akademischen Gymnasium in Wien über künstlerisch bedeutende Orte wie das Café Griensteidl und das Burgtheater bis hin zu den für Hofmannsthal wichtigen Städten Berlin, München, Venedig und Paris beschreiben die Autoren prägende Konstellationen, die mit bestimmten Örtlichkeiten verbunden sind. Um es mit Hofmannsthals eigenen Worten zu sagen: "Stunde, Luft und Ort machen alles."
Wilhelm Hemecker ist Universitätsprofessor und Direktor des Ludwig Boltzmann Instituts für Geschichte und Theorie der Biographie in Wien; Mitherausgeber von "Mythos Bachmann" (2011).
Konrad Heumann ist Leiter der Handschriften-Abteilung im Frankfurter Goethe-Haus (Freies Deutsches Hochstift) und Bandherausgeber der Hofmannsthal-Gesamtausgabe.
Konrad Heumann ist Leiter der Handschriften-Abteilung im Frankfurter Goethe-Haus (Freies Deutsches Hochstift) und Bandherausgeber der Hofmannsthal-Gesamtausgabe.
Produktdetails
- Verlag: Paul Zsolnay Verlag
- Artikelnr. des Verlages: 551/05699
- Seitenzahl: 512
- Erscheinungstermin: 29. September 2014
- Deutsch
- Abmessung: 218mm x 143mm x 35mm
- Gewicht: 730g
- ISBN-13: 9783552056992
- ISBN-10: 3552056998
- Artikelnr.: 40864380
Herstellerkennzeichnung
Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Höchst erfreulich und ergiebig findet Hans-Albrecht Koch diesen Band mit Essays zu Orten, die für den Dichter Hugo von Hofmannsthal bedeutsam waren. Dass die Autoren und Herausgeber darunter sowohl Institutionen wie das Akademische Gymnasium Wien oder das Burgtheater, als auch Cafés, Städte und ganze Regionen verstehen, scheint Koch Sinn zu machen. Die Topologie des Dichters steht Koch schließlich genau vor Augen: die elterliche Wohnung mit ihren einzelnen Räumen, die Sommerfrische Bad Fusch und Sizilien, das Hofmannsthal zweimal bereiste. Bislang unveröffentlichtes Quellenmaterial sorgt laut Rezensent in sämtlichen Beiträgen für den Aha-Effekt. Für Koch ein mit Gewinn lesbarer und anschaulicher Band, der jüngere und ältere Hofmannsthal-Forscher vereint.
© Perlentaucher Medien GmbH
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In der Zauberluft löst sich so manche Quälerei
Topographische Literaturgeschichte: Eine exzellente Arbeit erforscht die besondere Bedeutung von Orten für Hofmannsthals Stimmung und Produktivität
In Walter Kappachers Hofmannsthal-Roman "Der Fliegenpalast" (2009) fährt der alternde Dichter noch einmal nach Bad Fusch, dem Dorf an der Großglocknerstraße, das ihm seit Kindertagen vertraut ist. Der Kurort ist inzwischen heruntergekommen, doch wird er im Roman noch einmal zu einem magischen Ort, an dem sich die melancholischen Erinnerungen des Dichters entzünden. Obwohl Hofmannsthal im Sommer 1924 tatsächlich allein nach Fusch reiste, ist die Geschichte weitgehend Fiktion, was aber Kappacher kunstvoll als
Topographische Literaturgeschichte: Eine exzellente Arbeit erforscht die besondere Bedeutung von Orten für Hofmannsthals Stimmung und Produktivität
In Walter Kappachers Hofmannsthal-Roman "Der Fliegenpalast" (2009) fährt der alternde Dichter noch einmal nach Bad Fusch, dem Dorf an der Großglocknerstraße, das ihm seit Kindertagen vertraut ist. Der Kurort ist inzwischen heruntergekommen, doch wird er im Roman noch einmal zu einem magischen Ort, an dem sich die melancholischen Erinnerungen des Dichters entzünden. Obwohl Hofmannsthal im Sommer 1924 tatsächlich allein nach Fusch reiste, ist die Geschichte weitgehend Fiktion, was aber Kappacher kunstvoll als
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Gestaltungsprinzip einsetzt, ist die vielfach dokumentierte Abhängigkeit der Befindlichkeit Hofmannsthals von Orten und ihren Atmosphären.
Hofmannsthals Sensibilität für die Örtlichkeit trat schon in seiner Jugend zutage, sie verstärkte sich mit zunehmendem Alter durch eine extreme Wetterfühligkeit. So erfuhr er sich immer wieder als "ein Spiel von jedem Druck der Luft", dem er sich bei Unwohlsein regelmäßig durch Verreisen, also Luftveränderung, zu entziehen suchte. Das gelang nicht immer. Seine Sensibilität war heikel, konnte zu einem traumhaften Erfülltsein von der Örtlichkeit führen oder zu einem Gefühl der Bedrückung, der Härte oder der Leere. Jederzeit den Ort wechseln zu können war für ihn eine Bedingung seiner Autonomie als freier Schriftsteller.
Der besonderen Bedeutung von Orten für Hofmannsthals Stimmung und Produktivität widmet sich ein erstaunliches Gemeinschaftswerk, das in der Zusammenarbeit des Ludwig Boltzmann Instituts für Geschichte und Theorie der Biographie, Wien, und des Freien Deutschen Hochstifts, Frankfurt am Main, entstanden ist. Den Herausgebern ist es gelungen, die Autoren der zwanzig Erkundungen auf ein relativ einheitliches Verfahren der dichten Beschreibung zu verpflichten, das die Struktur und Beschaffenheit der Orte wie der Vorstellungsinhalte mit den Auswirkungen auf Hofmannsthals Werk und seine unglaublich vielfältigen sozialen Beziehungen darstellt.
Das Muster des Verfahrens gibt der Herausgeber Konrad Heumann in seiner Ethnographie der Salesianergasse vor. Sie spielt schon in "Theater", dem "Wiener Roman" von Hofmannsthals Freund Hermann Bahr, eine bedeutende Rolle. "Da wohnen Beamte aus dem Ministerium, pensionierte Offiziere, Privatiers, ruhige Leute, die nicht neugierig sind." Im Haus Nummer 12 hatte Bahr für eine Weile mit dem jungen Hofmannsthal und seinen Eltern unter einem Dach gelebt. In Bahrs Erinnerung wurde es zu einen Sehnsuchtsort, die Straße aber zu einem Raum der Produktivität, bei deren Durchschreiten seinem Protagonisten "alle möglichen Einfälle begegnen". Der Beitrag rekonstruiert die Wohnung bis in die Details der Einrichtung, bis hin zum nicht bespielten Schweighofer-Flügel und den "Hausgöttern" der vierzigbändigen Goethe-Ausgabe. Für den jungen Dichter aber war die Wohnung nicht nur eine Sphäre der Geborgenheit, sondern auch ein Ort der Enge, da die Mutter in ihrer fürsorglichen Zudringlichkeit seine Intimsphäre nicht respektierte. Bereits hier kultivierte Hofmannsthal seine "Eigenart, die Dinge nicht so hinzunehmen, wie sie zunächst erscheinen." Sein altklug wirkendes Bestehen auf dem Eigenrecht des Poetischen erscheint so auch als Maßnahme der Selbstbehauptung.
Bisher hieß es immer, der junge Hofmannsthal habe sich das Pseudonym "Loris Melikow" zugelegt, weil den Schülern des Akademischen Gymnasiums in Wien das Publizieren verboten war. So streng wurde es aber gar nicht genommen. Gegen Ende seiner Schulzeit war Hofmannsthal als Schriftsteller schon weithin bekannt und hat das in der Schule auch nicht verheimlicht. So lässt sich das Pseudonym als Erfindung einer Kunstfigur deuten, "durch die er die Grenzüberschreitung des Schülers in ein literarisches Spiel mit Identität transformiert". Jedenfalls drängten Hofmannsthals Interessen früh in andere Richtungen, als es Schule und Elternhaus vorgesehen hatten. Zwischenzeitlich war er auch keineswegs ein Musterschüler. Im vorletzten Schuljahr 1890/91 erhielt er in Deutsch und Griechisch nur "befriedigend", in Philosophie gar nur "genügend".
In der Wiener Universität war der Jurastudent nicht häufig anzutreffen. "Nicht eine Stunde lang habe ich zu diesem Fach eine lebendige Beziehung gewinnen können." Besser erging es ihm im Zweitstudium der Romanischen Philologie. Er promovierte mit "ausgezeichnet". Seine Habilitationsschrift über Victor Hugo wurde aber von den Professoren kontrovers diskutiert. Trotzdem wäre sie vermutlich angenommen worden, Hofmannsthal aber hatte sich 1901 als einer der Ersten in Österreich für den Weg des freien Schriftstellers entschieden und zog seinen Antrag zurück. Die Jahre an der Universität gehören zu den literarisch produktivsten seines Lebens, die Alma Mater aber war von vornherein keine Lebensform für ihn. Der sonst so kontaktfreudige Besucher des Café Griensteidl schloss in der Universität keinerlei neue Freundschaften.
In Wien fühlte sich Hofmannsthal zunehmend bedrückt und unfrei, vor allem im Winter. Die Distanz zu Wien war einer der Gründe, das Haus in Rodaun zu mieten, in dem die Familie bis zu Hofmannsthals Tod wohnte. Das Haus mit seiner phantasievoll zusammengewürfelten Einrichtung, nicht einmal luxuriös, aber doch mit "einer aristokratischen Anmutung", beeindruckte auch Besucher wie Harry Graf Kessler. Hofmannsthal aber hielt es dort oft nicht aus, die Freunde wunderten sich, dass er trotz seiner Wertschätzung der Ehe Frau und Kinder oft für viele Wochen allein ließ.
Mit der Luft in Bad Fusch, wo seine Eltern ihre Sommerfrische verbrachten, hat Hofmannsthal "die Vorstellung des magisch Belebenden" verbunden. Überhaupt stellte sich bei ihm die "Poesie des Lebens" bevorzugt in Alpendörfern ein, so auch in Neubeuern in Oberbayern und in Aussee im steirischen Salzkammergut. Noch als arrivierter Schriftsteller, der bei seinen Reisen in den ersten Häusern abzusteigen pflegte, nahm er in Bad Fusch und Aussee mit einfachen Kammern bei den Bauern vorlieb. Einsam lebte er dort aber selten. Nach Aussee kamen Leopold von Andrian, Arthur Schnitzler, Richard Beer-Hofmann, Jakob Wassermann und viele andere Künstler. Mit Elsie Gräfin von Platen Hallermund spielte er Tennis, und er verliebte sich in Romana Gasperl und Hermine Benedict, ehe er sich 1899 nach heimlichen nächtlichen Zusammentreffen für seine spätere Ehefrau Gerty Schlesinger entschied.
Auch Neubeuern war für Hofmannsthal ein Ort, "bei dem das Verhältnis zwischen Behausung, Landschaft und Bewohnern eine derartige gleichbleibende wohltuende Wechselwirkung hatte". Im Schloss von Julie und Jan von Wendelstadt residierte es sich freilich vornehmer als im Ausseer Holzhäuschen. Besonders entzückt war Hofmannsthal von Ottonie Gräfin von Degenfeld-Schonburg, "eine Art Engel, man möchte sofort sehr krank werden, um sich von ihr pflegen zu lassen". In der "Zauberluft" abgeschiedener Orte konnten sich Querelen und Missverständnisse auflösen. 1913 reist Hofmannsthal gedrängt von Rudolf Alexander Schröder, etwas beklommen nach Monsagrati bei Lucca zu Rudolf Borchardt, über den er sich verschiedentlich geärgert hatte. In dieser Umgebung, schreibt Hofmannsthal später, "hab ich gelernt ihn erkennen, nun bin ich der Dankbare, nun ist mir auch das Sonderbare, Unheimliche in ihm ehrwürdig geworden". Eine solche magisch-versöhnliche Wirkung hätte sich auch Stefan George nach der katastrophalen Begegnung 1891 in Wien gewünscht. Nachdem er 1902 eine Annäherung versucht hatte, die jedoch wieder einmal abgewiesen wurde, formuliert er das von Bingen aus im Konjunktiv der Enttäuschung. "In diesen tagen zwischen sommer und herbst hätten Sie hier leben müssen. Die landschaft als haus . . . das hätte Ihnen mit vieler Aufklärung über mich ein dauernd schönes bild gegeben."
Hofmannsthals Verhältnis zu Städten war schwankend. Berlin gegenüber hatte er zunächst Vorurteile, groß und hart sei die Stadt, Menschen "mit viel Geld und wenig Geist" vermutete er in den Häusern. Je mehr aber seine von Max Reinhardt inszenierten Stücke dort Anklang fanden und je mehr Kontakte er hatte (1911 siebenunddreißig Verabredungen in siebzehn Tagen), gewann Berlin vor allem im Vergleich zu Wien. Dresden war für ihn von vornherein "die weitaus schönste Stadt die ich kenne, unvergleichlich mit dem lächerlichen München". Und hier feierten er und Richard Strauss mit dem "Rosenkavalier" am 26. Januar 1911 in der Dresdner Hofoper den größten Erfolg ihrer Karriere. Das Werk würde sich "vielleicht durch Jahrzehnte" auf dem Spielplan halten, vermutete der Dichter.
"Hofmannsthal. Orte" ist das seltene Beispiel einer rundum geglückten literaturwissenschaftlichen Zusammenarbeit. Alle Beiträge sind aus zum Teil unveröffentlichtem Archivmaterial sorgfältig recherchiert und durchweg gut geschrieben. Obwohl kritische Töne nicht fehlen, zeugen sie von einer Liebe zu dem Dichter wie der Person. Das gibt so viel Aufschluss über Hofmannsthal, dass es nun die Frage ist, ob es sich bei dem Werk unversehens um die lang erwartete ausführliche Biographie handelt, an der schon mancher kluge Einzelkopf gescheitert ist. Das wohl nicht. Zu viel im vielgestaltigen Werk des Dichters und im unglaublichen Briefwechsel dieses merkwürdigen Menschen, der sich nicht selten einsam und depressiv fühlte und doch ein Netzwerker sondergleichen, ein "Genie der Freundschaft" war, ist noch unaufgeklärt. Wer aber diese originelle Gemeinschaftsarbeit übertreffen will, wird sich sehr anstrengen müssen.
FRIEDMAR APEL
Wilhelm Hemecker, Konrad Heumann (Hrsg.): "Hofmannsthal. Orte. 20 biographische Erkundungen." Paul Zsolnay Verlag, Wien 2014, 510 S., geb., 29,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Hofmannsthals Sensibilität für die Örtlichkeit trat schon in seiner Jugend zutage, sie verstärkte sich mit zunehmendem Alter durch eine extreme Wetterfühligkeit. So erfuhr er sich immer wieder als "ein Spiel von jedem Druck der Luft", dem er sich bei Unwohlsein regelmäßig durch Verreisen, also Luftveränderung, zu entziehen suchte. Das gelang nicht immer. Seine Sensibilität war heikel, konnte zu einem traumhaften Erfülltsein von der Örtlichkeit führen oder zu einem Gefühl der Bedrückung, der Härte oder der Leere. Jederzeit den Ort wechseln zu können war für ihn eine Bedingung seiner Autonomie als freier Schriftsteller.
Der besonderen Bedeutung von Orten für Hofmannsthals Stimmung und Produktivität widmet sich ein erstaunliches Gemeinschaftswerk, das in der Zusammenarbeit des Ludwig Boltzmann Instituts für Geschichte und Theorie der Biographie, Wien, und des Freien Deutschen Hochstifts, Frankfurt am Main, entstanden ist. Den Herausgebern ist es gelungen, die Autoren der zwanzig Erkundungen auf ein relativ einheitliches Verfahren der dichten Beschreibung zu verpflichten, das die Struktur und Beschaffenheit der Orte wie der Vorstellungsinhalte mit den Auswirkungen auf Hofmannsthals Werk und seine unglaublich vielfältigen sozialen Beziehungen darstellt.
Das Muster des Verfahrens gibt der Herausgeber Konrad Heumann in seiner Ethnographie der Salesianergasse vor. Sie spielt schon in "Theater", dem "Wiener Roman" von Hofmannsthals Freund Hermann Bahr, eine bedeutende Rolle. "Da wohnen Beamte aus dem Ministerium, pensionierte Offiziere, Privatiers, ruhige Leute, die nicht neugierig sind." Im Haus Nummer 12 hatte Bahr für eine Weile mit dem jungen Hofmannsthal und seinen Eltern unter einem Dach gelebt. In Bahrs Erinnerung wurde es zu einen Sehnsuchtsort, die Straße aber zu einem Raum der Produktivität, bei deren Durchschreiten seinem Protagonisten "alle möglichen Einfälle begegnen". Der Beitrag rekonstruiert die Wohnung bis in die Details der Einrichtung, bis hin zum nicht bespielten Schweighofer-Flügel und den "Hausgöttern" der vierzigbändigen Goethe-Ausgabe. Für den jungen Dichter aber war die Wohnung nicht nur eine Sphäre der Geborgenheit, sondern auch ein Ort der Enge, da die Mutter in ihrer fürsorglichen Zudringlichkeit seine Intimsphäre nicht respektierte. Bereits hier kultivierte Hofmannsthal seine "Eigenart, die Dinge nicht so hinzunehmen, wie sie zunächst erscheinen." Sein altklug wirkendes Bestehen auf dem Eigenrecht des Poetischen erscheint so auch als Maßnahme der Selbstbehauptung.
Bisher hieß es immer, der junge Hofmannsthal habe sich das Pseudonym "Loris Melikow" zugelegt, weil den Schülern des Akademischen Gymnasiums in Wien das Publizieren verboten war. So streng wurde es aber gar nicht genommen. Gegen Ende seiner Schulzeit war Hofmannsthal als Schriftsteller schon weithin bekannt und hat das in der Schule auch nicht verheimlicht. So lässt sich das Pseudonym als Erfindung einer Kunstfigur deuten, "durch die er die Grenzüberschreitung des Schülers in ein literarisches Spiel mit Identität transformiert". Jedenfalls drängten Hofmannsthals Interessen früh in andere Richtungen, als es Schule und Elternhaus vorgesehen hatten. Zwischenzeitlich war er auch keineswegs ein Musterschüler. Im vorletzten Schuljahr 1890/91 erhielt er in Deutsch und Griechisch nur "befriedigend", in Philosophie gar nur "genügend".
In der Wiener Universität war der Jurastudent nicht häufig anzutreffen. "Nicht eine Stunde lang habe ich zu diesem Fach eine lebendige Beziehung gewinnen können." Besser erging es ihm im Zweitstudium der Romanischen Philologie. Er promovierte mit "ausgezeichnet". Seine Habilitationsschrift über Victor Hugo wurde aber von den Professoren kontrovers diskutiert. Trotzdem wäre sie vermutlich angenommen worden, Hofmannsthal aber hatte sich 1901 als einer der Ersten in Österreich für den Weg des freien Schriftstellers entschieden und zog seinen Antrag zurück. Die Jahre an der Universität gehören zu den literarisch produktivsten seines Lebens, die Alma Mater aber war von vornherein keine Lebensform für ihn. Der sonst so kontaktfreudige Besucher des Café Griensteidl schloss in der Universität keinerlei neue Freundschaften.
In Wien fühlte sich Hofmannsthal zunehmend bedrückt und unfrei, vor allem im Winter. Die Distanz zu Wien war einer der Gründe, das Haus in Rodaun zu mieten, in dem die Familie bis zu Hofmannsthals Tod wohnte. Das Haus mit seiner phantasievoll zusammengewürfelten Einrichtung, nicht einmal luxuriös, aber doch mit "einer aristokratischen Anmutung", beeindruckte auch Besucher wie Harry Graf Kessler. Hofmannsthal aber hielt es dort oft nicht aus, die Freunde wunderten sich, dass er trotz seiner Wertschätzung der Ehe Frau und Kinder oft für viele Wochen allein ließ.
Mit der Luft in Bad Fusch, wo seine Eltern ihre Sommerfrische verbrachten, hat Hofmannsthal "die Vorstellung des magisch Belebenden" verbunden. Überhaupt stellte sich bei ihm die "Poesie des Lebens" bevorzugt in Alpendörfern ein, so auch in Neubeuern in Oberbayern und in Aussee im steirischen Salzkammergut. Noch als arrivierter Schriftsteller, der bei seinen Reisen in den ersten Häusern abzusteigen pflegte, nahm er in Bad Fusch und Aussee mit einfachen Kammern bei den Bauern vorlieb. Einsam lebte er dort aber selten. Nach Aussee kamen Leopold von Andrian, Arthur Schnitzler, Richard Beer-Hofmann, Jakob Wassermann und viele andere Künstler. Mit Elsie Gräfin von Platen Hallermund spielte er Tennis, und er verliebte sich in Romana Gasperl und Hermine Benedict, ehe er sich 1899 nach heimlichen nächtlichen Zusammentreffen für seine spätere Ehefrau Gerty Schlesinger entschied.
Auch Neubeuern war für Hofmannsthal ein Ort, "bei dem das Verhältnis zwischen Behausung, Landschaft und Bewohnern eine derartige gleichbleibende wohltuende Wechselwirkung hatte". Im Schloss von Julie und Jan von Wendelstadt residierte es sich freilich vornehmer als im Ausseer Holzhäuschen. Besonders entzückt war Hofmannsthal von Ottonie Gräfin von Degenfeld-Schonburg, "eine Art Engel, man möchte sofort sehr krank werden, um sich von ihr pflegen zu lassen". In der "Zauberluft" abgeschiedener Orte konnten sich Querelen und Missverständnisse auflösen. 1913 reist Hofmannsthal gedrängt von Rudolf Alexander Schröder, etwas beklommen nach Monsagrati bei Lucca zu Rudolf Borchardt, über den er sich verschiedentlich geärgert hatte. In dieser Umgebung, schreibt Hofmannsthal später, "hab ich gelernt ihn erkennen, nun bin ich der Dankbare, nun ist mir auch das Sonderbare, Unheimliche in ihm ehrwürdig geworden". Eine solche magisch-versöhnliche Wirkung hätte sich auch Stefan George nach der katastrophalen Begegnung 1891 in Wien gewünscht. Nachdem er 1902 eine Annäherung versucht hatte, die jedoch wieder einmal abgewiesen wurde, formuliert er das von Bingen aus im Konjunktiv der Enttäuschung. "In diesen tagen zwischen sommer und herbst hätten Sie hier leben müssen. Die landschaft als haus . . . das hätte Ihnen mit vieler Aufklärung über mich ein dauernd schönes bild gegeben."
Hofmannsthals Verhältnis zu Städten war schwankend. Berlin gegenüber hatte er zunächst Vorurteile, groß und hart sei die Stadt, Menschen "mit viel Geld und wenig Geist" vermutete er in den Häusern. Je mehr aber seine von Max Reinhardt inszenierten Stücke dort Anklang fanden und je mehr Kontakte er hatte (1911 siebenunddreißig Verabredungen in siebzehn Tagen), gewann Berlin vor allem im Vergleich zu Wien. Dresden war für ihn von vornherein "die weitaus schönste Stadt die ich kenne, unvergleichlich mit dem lächerlichen München". Und hier feierten er und Richard Strauss mit dem "Rosenkavalier" am 26. Januar 1911 in der Dresdner Hofoper den größten Erfolg ihrer Karriere. Das Werk würde sich "vielleicht durch Jahrzehnte" auf dem Spielplan halten, vermutete der Dichter.
"Hofmannsthal. Orte" ist das seltene Beispiel einer rundum geglückten literaturwissenschaftlichen Zusammenarbeit. Alle Beiträge sind aus zum Teil unveröffentlichtem Archivmaterial sorgfältig recherchiert und durchweg gut geschrieben. Obwohl kritische Töne nicht fehlen, zeugen sie von einer Liebe zu dem Dichter wie der Person. Das gibt so viel Aufschluss über Hofmannsthal, dass es nun die Frage ist, ob es sich bei dem Werk unversehens um die lang erwartete ausführliche Biographie handelt, an der schon mancher kluge Einzelkopf gescheitert ist. Das wohl nicht. Zu viel im vielgestaltigen Werk des Dichters und im unglaublichen Briefwechsel dieses merkwürdigen Menschen, der sich nicht selten einsam und depressiv fühlte und doch ein Netzwerker sondergleichen, ein "Genie der Freundschaft" war, ist noch unaufgeklärt. Wer aber diese originelle Gemeinschaftsarbeit übertreffen will, wird sich sehr anstrengen müssen.
FRIEDMAR APEL
Wilhelm Hemecker, Konrad Heumann (Hrsg.): "Hofmannsthal. Orte. 20 biographische Erkundungen." Paul Zsolnay Verlag, Wien 2014, 510 S., geb., 29,90 [Euro].
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