sie sich ein in ihrer Welt.
Für seine Serie "Burma" reiste Schink in einem Zeitraum von vier Jahren immer wieder für mehrere Wochen in den asiatischen Staat, der gerade einer Militärdiktatur entronnen war, die ein halbes Jahrhundert andauerte. Diese Zeit zwang das Land in einen Stillstand, der nur von außen faszinierend exotisch anmutet. Sicher, überall stehen Tempel mit goldenen Kuppeln, überall laufen Bettelmönche in langen Reihen mit ihren Schalen herum und bitten um ein Häuflein Reis, überall knien Menschen in Wickelröcken und mit Sandelholzpaste im Gesicht nieder zum Gebet und bauen ihre kleinen Schreine an uralte Bäume mit dicken Luftwurzeln. Das freut den Reisenden, das sind schöne Fotomotive. Doch all das ist durch eine gewaltsame Abschottung des Landes erzwungen worden, durch Unterdrückung und keinerlei Investitionen im Inneren. Und was bleibt den Menschen in einer solchen Militärdiktatur noch, wenn nicht die Religion, wenn nicht die Konzentration auf das Private?
Schink fuhr durch das Land und sammelte seine Motive zunächst mit einer kleinen Digitalkamera, die ihm als Notizbuch diente. Und in einem der seltenen Momente, wenn nicht gerade die Sonne vom Himmel brannte und tiefschwarze Schatten warf, baute er schließlich seine Großformatkamera auf und hoffte auf ein weitgehend menschenfreies Bild. Fast immer gelang es ihm. Die wenigen Personen, die doch zu sehen sind, sitzen still wie Statuen im neutralen Licht unter verhangenem Himmel. Doch sie sind nicht mehr als Beiwerk, denn wichtig ist ihm anderes, und das hat wenig mit den bevorzugten Fotomotiven der Touristen zu tun.
Wenn ein Fotograf, der sich für Infrastruktur interessiert, in ein Land kommt, das von einer jahrzehntelangen Gewaltherrschaft so heruntergewirtschaftet wurde, dass von öffentlichem Bauen kaum noch die Rede sein kann, was bleibt ihm dann und was interessiert ihn dort? Es bleibt einerseits das Improvisierte und schnell Hingezimmerte aus billigem Material, die Hauswände und Zäune aus Bambusmatten, die kreuz und quer verlaufenden Stromkabel, die Mauern und Placken aus rohem Beton, der überall da ausgewalzt wird, wo es gerade nicht schlammig sein soll. Es bleiben die Spuren des Lebens, die trocknenden Handtücher, die Wasserkanister, dazwischen Fassaden aus Putz und großen Glasflächen, die sich, wenn schon nicht durch ihre Schönheit, dann zumindest dadurch hervortun, dass man ihnen die Alterung nicht sofort ansieht. All das Unaufgeräumte, all das, nun ja: Gerümpel, hineingesetzt in üppige Vegetation, die erahnen lässt, dass sie den Menschen ihren Siedlungsraum nur vorübergehend überlässt, aber schon auf der Lauer liegt und demnächst alles zu überwuchern gedenkt.
Und dann natürlich der Bereich des Religiösen, die oft überlebensgroßen Buddhastatuen, die das Göttliche verkörpern und gern zwischen Gebüsch und Zivilisation lagern. Sie strahlen nicht das Altehrwürdige westlicher Sakralbauten aus, sondern werden stets frisch geputzt, frisch überpinselt und von allen Spuren der Verwitterung frei gehalten. So glänzen sie alterungslos zwischen der maroden Baustruktur hervor, umgeben von profanen Strukturen des Alltäglichen, und lächeln erratisch.
Ihnen zur Seite stehen Fabeltiere und Mönche, gerahmt in Gold und Ornament, doch gleich daneben Treppen, Masten, Lautsprecher, Stahlträger, egal, im Buddhismus wird nicht auf Überwältigungsästhetik gebaut, hier geht es nicht um Blickführung, hier soll niemand durch Kunst und Architektur von der Allmacht des Göttlichen überzeugt werden. Das Überirdische braucht hier keinen durchgestalteten Raum, es richtet sich in einem mitunter kurios anmutenden Nebeneinander zwischen den Menschen und ihrem Gerümpel ein. Hans-Christian Schink interessiert sich sichtlich für dieses Nebeneinander und die Gegensätze, die dabei entstehen, und fotografiert sie so nüchtern, wie es nur irgend geht. Was dabei herauskommt, ist nicht selten von leiser Komik.
"Burma" von Hans-Christian Schink. Kerber Verlag, Heidelberg 2018. 144 Seiten, zahlreiche Farbfotografien. Gebunden, 58 Euro. Vom 8. September bis 9. November sind großformatige Abzüge der Serie in der Galerie Rothamel in Frankfurt zu sehen.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main