bedaure!" Sollen wir das glauben? Dass ihr das leid tut? "Ach, glauben Sie mir nicht, glauben Sie mir alles." Na gut. Jedenfalls geht es um Hanna, die, landläufig ausgedrückt, Symptome einer Depression aufweist. Sie spricht kaum, verbringt Stunden auf dem Sofa und will nicht aus dem Haus. Ihre Gedanken kreisen um die Vergangenheit, um ein vergangenes Glück. Die Dinge, die sie umgeben, scheinen sich zu zersetzen, die Wörter, mit denen sie sie bezeichnen könnte, auch - eine weibliche Malte-Laurids-Brigge-Figur.
Ihr steht ein Ich gegenüber, das sie, obgleich selbst angekränkelt, retten will, nach dem Muster des Kinderspiels Versteinern-Erlösen. In den kursiv gesetzten Kapiteln konzentriert sich das Ich ganz auf das Hanna-Problem, redet sie auch direkt an, blendet die anderen aus. Vielleicht aber ist dieses Ich nicht dasselbe wie das der anderen Passagen, vielleicht spricht hier Rio, der Hanna liebt? "Ich werde Hanna an der Hand nehmen müssen." Dabei könnte doch auch der Leser eine helfende Hand gebrauchen.
Man trifft sich in einem "Laden", vielleicht eine Buchhandlung, trinkt Tee, wickelt Locken um Finger. Die übrigen Personen muten maskenhaft an: Herr Emm ist älter und hat einen Stock, er kramt in Schachteln nach seinem Leben, und Lea, die lacht, ob es passt oder nicht. Womöglich sind sie ja nur Hannas Projektionen - oder die der Erzählstimme: "Du hast einen Namen, und ich erfinde fünf weitere für dich, damit du dich in ihnen ausprobieren kannst." Wo die Figuren leer sind, in ihrem Zentrum, lassen sie Platz für die Schrift: Herr Emm, "ein Häufchen Linien, ins Eis geritzt", Rio, in dessen gezeichnete Umrisse Hanna sich am Schluss einträgt.
Als Germanistin hat Andrea Winkler sich Friederike Mayröcker verschrieben, die sie auch zitiert (wie Kafka, Robert Walser und andere), ohne sich epigonal an sie anzulehnen. Gegen Winklers pastellfarbene Als-ob-Welt strotzt die der Mayröcker vor Leben und Erzähllust. Winkler spendet Trost: "Die Geschichte: ist im Suchen begriffen. Immerhin!" Meint sie auch: Sie wird im Suchen begriffen? Gute alte österreichische Sprachskepsis.
"Hanna und ich" ist ein Buch, über das man, je nach Erwartung, Geschmack und Temperament, ein begeistertes oder ein entnervtes Urteil fällen könnte, und beide wären richtig oder zumindest gerecht. Man steht vor dieser Prosa wie vor den Vitrinen eines Schmetterlingssammlers. Man sieht prächtige Muster und feine Variationen, man ahnt dahinter ein unerschöpfliches Ordnungsprinzip, man ist fest entschlossen zur Bewunderung, und man ermüdet rasch. Im Kleinen, im Ausschnitt spielt Winklers Literatur all ihre Stärken aus: ihre ungekünstelte Poesie, ihre Musikalität, ihre turnerische Grazie: "Was vom Schönsten und Unsichersten, warum denn nicht." Der Text ist bis in seine Mikrobewegungen durchkomponiert: Wenn vorne eine Frage gestellt wird, dann wird sie hinten auch beantwortet; wenn auf der ersten Seite die Zugräder rollen, dann rollen sie auch auf der letzten. Und der Zweck des Ganzen? "Erfahren, wer Du bist, schöner hinfälliger Wunsch."
Aber entsteht bei diesem Suchen der Geschichte und des Glücks nicht stellenweise auch ein lästiges Pathos? Ist die sich selbst erfahrende, verträumte Hanna (nicht ihre Rede!) kein Klischee? Und begründen die Wittgensteinschen Fragen nach den Grenzen von Sprache und Ich schon die Notwendigkeit der ganzen Unternehmung? Für Leser mit ketzerischen Zweifeln hält Winkler als Ventil den Selbstkommentar bereit, der die Melodie des Textes als eine zweite Stimme begleitet: "hält das Spiel, was es verspricht, was glauben Sie, und vor allem, wie lange noch?" Ja, wer sehnt sich nicht nach dem zupackenden Griff der Erzählerin?! "Geduld rettet", weiß Herr Emm. Am Ende entspannt sich die Lage, die Falte auf Hannas Stirn scheint fast ausgebügelt.
Mit leeren Händen steht der strapazierte Leser nicht da. "Welches Bild unter den Kopfpolster legen, welchen Satz an die Wand malen?" Wohl den Ginster im Zugfenster und den auch in der Kunst beherzigenswerten Rat: "Wer nicht in der Lokalbahn zu weit fahren möchte, sollte gar keine Reise antreten!"
- Andrea Winkler: "Hanna und ich". Literaturverlag Droschl. Graz/Wien 2008. 136 S., geb., 16,- [Euro].
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