hätten auf jene heruntergetreten, die wie seine Eltern nicht zur Führungselite gehört hätten. Die "großen Nummern" des Nationalsozialismus seien rechtzeitig zur ÖVP und zur SPÖ gegangen und hätten die Leute wie seine Eltern, die sich der FPÖ angeschlossen hätten, unterdrückt. Haider hat die Erfahrungen seiner Eltern zu den seinigen gemacht. Er rührt an der österreichischen Seele.
Christa Zöchling erwähnt den Aspekt des Opfers in Haiders Karriere. Klar herausgearbeitet hat sie ihn allerdings nicht. Das ist bedauerlich, weil die Rolle des Opfer-Ideals - wie die Autorin schreibt - Haiders Erfolg erst erschließt. Haider ist jedoch nicht nur das perfekte Opfer, er ist nach Ansicht seiner Gegner zugleich der perfekte Täter. Frau Zöchling schreibt, er sei "uneinsichtig, frech, immer zur Provokation bereit und mit der Erbschaft einer Partei belastet, die historisch aus der Interessenvertretung der Täterschaft entstanden ist". Die Autorin hat es sich nicht leicht gemacht, hat sich eben nicht eines der bekannten Haider-Klischees zu Eigen gemacht: Für sie ist Haider nicht in erster Linie ein hemmungsloser Populist bar jeder Idee oder ein verkappter Neonazi, der eine klar umrissene Ideologie verfolgt.
Die Autorin beschreibt Haiders Elternhaus als "Versuchsstation", in der die "Sensibilität für Stimmungen und Klassenunterschiede, für oben und unten, Täter und Opfer, den einzelnen und den Staat, erlaubte und verbotene Worte bis zur Perfektionierung erlernt werden". Hier habe er ein Gespür dafür bekommen, was gerade noch erlaubt ist, aber aus dem Rahmen fällt und damit Aufmerksamkeit weckt. Tatsächlich ist diese Technik eines der zentralen Instrumente Haiders. Frau Zöchling spricht von einer Taktik des kontrollierten Skandals: Haider beherrsche diese beinahe perfekt.
Nur einmal drohte ihm diese Art das Genick zu brechen. Das war 1991, als er im Kärntner Landtag die "Beschäftigungspolitik im Dritten Reich" lobte. Diese Aussage hat Haider zwar das Amt des Landeshauptmanns gekostet, ihn aber schließlich nicht auf Dauer geschwächt. Sogar Landeshauptmann ist er nach dem Wahlsieg der FPÖ im Frühjahr 1999 wieder. Ein für den Politiker willkommener Nebeneffekt der Taktik des kontrollierten Skandals ist, dass sie sich auf den ersten Blick als Ersatz für politische Inhalte eignet. Den Mangel an Inhalten hat Frau Zöchling herausgearbeitet: Haider kämpfe zwar gegen das Establishment der Zweiten Republik, seine Kritik sei jedoch diffus. Er prangere Verbände und Institutionen, Proporz und Privilegien, die Nutznießer und deren Gehälter an. Es sei jedoch völlig offen, wie er verfahren würde, wenn er an die Macht käme. Letztlich sei unklar, welche Mission er empfinde.
Die Frage ist, warum die FPÖ trotzdem so erfolgreich ist. Frau Zöchling weiß darauf keinen Rat, obwohl sie mit ihrem Buch einer Antwort ganz nah ist. Sie hätte lediglich das weiter zu denken, was sie über die Bedeutung der Opfer-Idee in Österreich äußert. Denn Haider geht bei seiner Stilisierung zum Opfer so weit, sich allen Ernstes mit Palästinensern, Kurden, sogar mit Juden zu vergleichen.
Unzufriedene jeglicher Couleur identifizieren sich in steigender Zahl mit ihm. Denn immer mehr Österreichern wird die seit Jahrzehnten währende Politik der großen Koalition fad. Würde Haider eines Tages zum Bundeskanzler gewählt, würde er sich zum Realpolitiker wandeln? Hätte er überhaupt ein Interesse daran, die österreichische Gesellschaft zu reformieren? Die Autorin beantwortet solche Fragen nicht. Sie gibt aber Hinweise: Haider habe sich noch nie in seinem schon recht lange währenden politischen Leben gewandelt. Daraus lässt sich schlussfolgern, Haider sei zum Regieren untauglich, weil er seiner Oppositions-Taktik treu bliebe.
REINER BURGER
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