mehr als verrückt nach Nirvana und Co. sind". Das passe zum Glück gut zu den Protagonisten des Buchs. Diese haben außerdem gemeinsam, dass sie allesamt siebzehn Jahre alt sind. Und die Erzählungen umfassen je siebzehn Seiten zu siebzehn Zeilen, deren Anordnung variiert.
Die Schwelle zum Erwachsenwerden, die unordentlichste und unsicherste Phase des Lebens, bekommt also einen strengen formalen Rahmen. Halt finden die jugendlichen Hauptfiguren, die von Geschichte zu Geschichte wiederauftauchen, darin keinen. Sie schlagen sich mit Liebeskummer herum, mit einem abstrusen Kriminalfall, einer Bandgründung und zahlreichen Kellern, die sich untereinander befinden. Oft lässt sie ein Einbruch des Phantastischen in die ohnehin schon spröde Realität, etwa das Auftauchen einer Schar Meerjungfrauen, den Boden unter den Füßen verlieren. Dieses Verfahren kennt man aus den Kurzgeschichten eines Steven Millhauser, Andreas Unterweger jedoch führt es ad absurdum.
Der Autor, 1978 in Graz geboren und seit 2016 Mitherausgeber der renommierten Literaturzeitschrift "manuskripte", macht es sich, der Sprache und seinen Figuren nicht leicht. Ob er die Lyrics eines Nirvana-Songs durch die Übersetzungsmaschine Google Translate jagt oder selbst alle Hebel der Nonsensproduktion in Gang setzt, stets ist er darum bemüht, einfache Vorgänge und Vorhaben möglichst kompliziert und verschachtelt darzustellen. Selbst wenn gar nichts geschehen ist, wie es die Geschichte "Diving Deep" behauptet: "Es war keinmal." Unterweger exerziert dieses vermeintliche Nichtereignis durch, das niemand beobachtet, geschweige denn offiziell protokolliert hat, um der Logik ein Schnippchen zu schlagen: "Niemand, der dort war, kann sich an nichts, was dort passiert sein könnte (und nichts war passiert!) erinnern. Nie und nimmer."
Das Sprachspiel führt in die Groteske, und die Groteske mündet in das Sprachspiel oder in die verknotete Satzgirlande. So steht auch die Bandgründung, um die es in der Titelgeschichte von "Grungy Nuts" geht, unter keinem guten Stern. Allein die geplante Besetzung und Instrumentierung verdeutlicht, dass dieser Amateurtruppe kein langfristiger Erfolg beschieden sein wird: "Hans war der Frontmann (Vocals, Flaschen), Gomo saß rechts von ihm (Bongs, Wasserpfeife), Long Dong dahinter (Chips, Dips, Burger), und ich: war der Roadie."
Man probt eifrig und wohnt zusammen, wobei zwischen Proben und Pausen kaum ein Unterschied auszumachen ist. Was zählt, ist die Idee, die Aufbruchsstimmung, die Romantik des Daseins im Untergrund. Eine Erinnerung an das, was hätte sein können. Denn wer wäre als Heranwachsender in den neunziger Jahren nicht gern Teil einer Jugendbewegung gewesen? Auch wenn er zu spät dran ist: "Als wir 17 waren, war die Musik schon tot." John Lennon und Jim Morrison sowieso, aber selbst Nirvana hörten Unterwegers Figuren erst, als Kurt Cobain sich bereits das Leben genommen hatte. Paul McCartney, Keith Richards und Axl Rose dagegen gelten ihnen als Untote. Musik ist für sie demnach etwas, was nur Tote machen. Und nach Nirvana sei laut Hans, Adornos berühmtes Diktum durch den Wolf drehend, kein Song mehr möglich.
Wer in den Erzählungen von "Grungy Nuts" auf eine geradlinige, nachvollziehbare Handlung hofft, wird ratlos zurückbleiben. So nämlich, "ratlos", heißt übrigens die Rockkapelle, in der Unterweger als Sänger und Gitarrist zu Werke geht. Sie befindet sich derzeit "auf Papapause", wie es auf ihrer Homepage heißt. Nicht alles, was man sich nur vornimmt, bequatscht und ausschmückt, versandet also im Nichts. Und wenn jemand behauptet, es sei nichts passiert, ist das meist nur die halbe Wahrheit. In "Grungy Nuts" passiert eine Menge; es ist allerdings schwierig, den Überblick zu behalten. Könnte sein, dass auch die Verwirrung eine Strategie ist, um zur Erkenntnis zu gelangen.
ALEXANDER MÜLLER
Andreas Unterweger: "Grungy Nuts".
Erzählungen.
Literaturverlag Droschl, Graz/Wien 2018. 158 S., geb., 19,- [Euro].
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