Das Universum, Bruchteile einer Sekunde alt, expandierte rasch und kühlte schnell ab. Jetzt formten sich die ersten Strukturen. Jeweils drei Quarks vereinigten sich zu einem Neutron und einem Proton. Die Temperatur - etwa eine Billion Grad - war aber noch viel zu hoch, als daß sich Elektronen an die Protonen hätten binden können, um Wasserstoffatome zu bilden.
Als die erste Minute verstrichen war - die Temperatur betrug "nur" noch eine Milliarde Grad -, verschmolzen Protonen und Neutronen zu Helium- und Lithiumkernen sowie zu schweren Formen des Wasserstoffs.. Dreihunderttausend Jahre nach dem Urknall war der Kosmos nur noch 3000 Grad heiß. Die Voraussetzung war günstig, daß sich die ersten Atome bilden konnten, hauptsächlich Wasserstoff und Helium. Die Gase verteilten sich allerdings nicht gleichmäßig über den sich weiter expandierenden Raum, sondern bildeten Bereiche größerer und kleinerer Dichte. Aus diesen größeren Zusammenballungen der Materie formten sich eine Milliarde Jahre nach dem Urknall die Galaxien und schließlich die Sterne. Aber es sollte noch viel länger dauern, bis unser Sonnensystem mit seinen Planeten entstand und die Voraussetzung geschaffen war, daß sich Leben auf der Erde bilden konnte.
Die Zeitreise vom Urknall bis hin zur Entwicklung des Lebens auf unserem Heimatplaneten bietet eigentlich Stoff für ein ganzes Buch. Daß Richard Morris die fünfzehn Milliarden Jahre kosmische Evolution auf neunzig Seiten seines Buches "Gott würfelt nicht" zu erzählen vermag, ist erstaunlich. Der Autor berichtet in kompakter Weise ausschließlich darüber, was heute als sicher gilt. Spekulativen Theorien räumt er wenig Platz ein. So erzählt er im ersten Teil seines Buchs eine spannende Geschichte vom Ursprung der Welt.
Im zweiten Teil begibt sich Morris in die Welt der Atome und Elementarteilchen. Der Leser erfährt wenig über die Eigenschaften der Quarks, der Bausteine von Protonen und Neutronen, und anderen Elementarteilchen wie Elektronen oder Neutrinos. Der Autor berichtet vielmehr darüber, wie es zu den modernen Theorien über den Aufbau der Materie kam. Er beginnt im neunzehnten Jahrhundert mit James Clerk Maxwell und seiner Theorie vom Elektromagnetismus, in der er die damals bekannten Naturkräfte, die Elektrizitätslehre und den Magnetismus, zusammenfaßte. Die beiden Kräfte waren zusammen mit der Gravitation damals die drei bekannten Naturkräfte. Das änderte sich im zwanzigsten Jahrhundert mit dem Aufkommen der Quantentheorie. Mit ihr konnte man das Verhalten der Atome, ihrer Atomkerne, der Moleküle und des Lichts erklären. Man wies immer mehr subatomare Teilchen nach und entdeckte die Kräfte, die zwischen ihnen wirken. Zu der Schwerkraft, dem Elektromagnetismus traten die starke Kraft, die die Protonen und Neutronen eines Atomkerns zusammenhält, und die schwache Kraft, die für den radioaktiven Beta-Zerfall verantwortlich ist.
Heute, da man ein umfassendes Bild vom Aufbau der Materie und den wirkenden vier Naturkräften hat, stehen die Forscher vor dem gleichen Problem wie einst Maxwell. Sie suchen nach einem besseren Verständnis der Natur und einer Theorie, mit der sich alle vier Naturkräfte durch eine Wechselwirkung beschreiben lassen. Allerdings bereitet dies allergrößte Schwierigkeiten, weil es unter anderem eine Quantentheorie der Gravitation verlangt. Einer der aussichtsreichsten Kandidaten ist die Stringtheorie. Mit ihr ließe sich möglicherweise einmal das Universum von den kleinsten bis zu den größten Dingen beschreiben.
An dieser Stelle muß Richard Morris seinem Grundsatz untreu werden, nur gesicherte Erkenntnisse dazustellen. Die Stringtheorie macht nämlich einige seltsame Aussagen. Danach sind die Elementarteilchen nicht punktförmig, sondern haben die Form kleiner Schlaufen, die wie winzige Saiten schwingen. Zudem bewegen sich die Strings in elf statt in den vertrauten vier Dimensionen von Raum und Zeit. Annahmen, die man wahrscheinlich niemals beweisen kann. Diese teilweise spekulative Theorie rückt dadurch aber nicht in die Nähe von sogenannten Pseudowissenschaften wie Astrologie und Parapsychologie. Warum dies so ist, diskutiert Richard Morris in dem letzten Teil "Wissenschaftliche Vorstellungskraft".
Die Themen, die Richard Morris behandelt, sind komplex und deshalb nicht leicht faßbar, auch wenn man vieles schon einmal gehört hat. Alle drei Teile seines Buchs sind in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden. Insgesamt bietet Morris eine gelungene Einführung in den derzeitigen Wissensstand der Kosmologie und der Teilchenphysik, die für blutige Laien ebenso geeignet ist wie für Leser mit Vorkenntnissen.
MANFRED LINDINGER
Richard Morris: "Gott würfelt nicht". Universum, Materie und kreative Intelligenz. Aus dem Amerikanischen von Dirk Oetzmann. Europa Verlag, Hamburg, Wien 2001. 240 S., geb., 32,50 DM.
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