dienten Staatsbürger jüdischen Glaubens völlig unbehelligt. Finnland führte nach dem 22. Juni 1941 einen eigenständigen Krieg gegen die Sowjetunion, um sich die von Stalin besetzten Gebiete zurückzuholen - mehr nicht.
In dem Grauen des nationalsozialistischen Vernichtungskrieges bildete die finnische Front scheinbar einen Lichtblick. Staat, Gesellschaft und Armee konnten daher den Zusammenbruch der deutschen Kriegführung unbeschadet überstehen, während alle anderen deutschen Verbündeten zerbrachen. Das jetzt in Übersetzung vorliegende Buch von Oula Silvennoinen entstand im Rahmen eines Forschungsprojekts des Finnischen Nationalarchivs. Nach einem Anstoß durch das Simon-Wiesenthal Center richtete sich das Interesse zunächst auf die Auslieferung ausländischer jüdischer Flüchtlinge an deutsche Behörden. In der Geschichte des Holocaust galt es, eine Lücke zu schließen.
Der Autor hat seine Untersuchung sehr viel breiter angelegt. Sie zielt auf jene "geheime Waffenbrüderschaft", die zwischen der finnischen Staatspolizei und dem deutschen Sicherheitsdienst seit den dreißiger Jahren bestanden hat. Sie richtete sich auf die Bekämpfung kommunistischer Sabotage, Spionage und Infiltration. Im ersten Teil des spannend und sehr detailliert geschriebenen Werkes bekommt der Leser einen Eindruck von dieser "Alltagsroutine" vor Beginn des Zweiten Weltkriegs. Im Winterkrieg gegen die sowjetischen Aggressoren von den Deutschen im Stich gelassen, blieben die Finnen bemüht, an die positive Zusammenarbeit wieder anzuknüpfen.
Es folgt der problematische Abschnitt des deutschen Vernichtungskriegs gegen die Sowjetunion. Im nördlichen Teil Finnlands scheiterte die Wehrmacht, mit schwachen Kräften Murmansk einzunehmen. Die deutschen verbrecherischen Befehle galten selbstverständlich nicht für die finnische Armee, die unter Führung Mannerheims erfolgreich Karelien befreite. Bislang tatsächlich eher wenig beachtet, aber keine wirklich überraschende Erkenntnis ist der Umstand, dass die Deutschen ein Sonderkommando ihrer Sicherheitspolizei mitbrachten. An der übrigen Ostfront organisierten diese Verbände flächendeckend den Massenmord. Bei den deutschen Truppen in Finnland war ihre Tätigkeit darauf beschränkt, kommunistische Agenten und Sympathisanten, Juden und Kommissare unter den sowjetischen Kriegsgefangenen in den beiden deutschen Lagern ausfindig zu machen. Dazu brauchten sie die Unterstützung ihrer finnischen Kollegen.
Hier liegt der aus finnischer Sicht schwierigste Teil einer Geschichte, die nach 1945 verdrängt oder verharmlost worden ist. Dieses "Komplott des Schweigens" bildet das letzte Kapitel. Dass der Antikommunismus unter den Finnen stark verbreitet war, kann nicht überraschen. Der Antisemitismus hingegen hatte kein großes Gewicht, obwohl unter den Männern der Staatspolizei extrem rechte Anschauungen häufig anzutreffen waren. Er hatte allerdings bei ihnen nicht jene mörderische Konsequenz wie bei den deutschen Kollegen. Der Autor bekennt, dass es ihm nicht möglich war, eine erschöpfende Antwort auf die Frage nach dem Ausmaß der Beteiligung finnischer Behörden am Holocaust zu geben. Auch die Gesamtzahl der Opfer lasse sich nicht beziffern. Sowohl in den beiden deutschen Kriegsgefangenenlagern als auch bei der Überstellung politisch verdächtiger sowjetischer Kriegsgefangener an die Deutschen handelte es sich um einige Hundert - ein Verbrechen, das mit den Dimensionen im deutschen Machtbereich nicht zu vergleichen ist.
Für die finnische Geschichtspolitik bleibt gleichwohl das Erschrecken darüber, dass Nordfinnland im Zweiten Weltkrieg für die eigene Sicherheitspolizei zu einem Ausnahmegebiet geworden ist, wo ungesetzliche Maßnahmen gegen sowjetische Staatsbürger praktiziert worden sind. Während des gesamten Krieges handelte die Staatspolizei im südlichen Teil hingegen strikt innerhalb der Grenzen eines Rechtsstaates, der sich mit einem totalitären Unrechtsregime verbündet hatte. Dass auch eine Demokratie nicht davor gefeit ist, durch den vermeintlichen Zwang des Krieges und ein teilweises Eigenleben des Sicherheitsapparates eine Ausnahmesituation zu akzeptieren, die "eines Rechtsstaates unwürdig war", ist vermutlich eine zeitlose Erkenntnis.
ROLF-DIETER MÜLLER
Oula Silvennoinen: Geheime Waffenbrüderschaft. Die sicherheitspolizeiliche Zusammenarbeit zwischen Finnland und Deutschland 1933-1944. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2010. 384 S., 49,90 [Euro].
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