Erziehungsberechtigten, zu Berge stehen zu lassen.
"Jedenfalls kann man sagen, daß mein Leben in dem Sommer interessant wurde, als ich vierzehn war und total auf Gras abfuhr, aber keine Kohle hatte, um welches zu kaufen, und mich deshalb im Haus nach irgend was zum Verticken umsah, doch da war nicht viel." Dieser Ton (wie immer er im Original klingen mag), angeschlagen und über vierhundert Seiten ausgehalten bis hin zur schließlichen Errettung und Läuterung des jungen Tunichtguts, wäre allein schon dazu angetan, nicht nur Lektüre-, sondern auch gleich noch allfällige Kinderwünsche im durchschnittlich sensiblen Leser spontan abzutöten. Doch auch die Geschichte selber, die Ich-Erzähler "Bone" (so nennt sich der kleine Chappie nach seiner Armtätowierung) zu erzählen hat, überbietet sich selber ununterbrochen.
Nicht nur hat sich sein Vater schon früh aus dem Staub gemacht, nein: der Stiefvater Ken, der das Herz der Mutter erobert hat, mißbraucht den Kleinen sexuell, woraus, wie man leicht denken kann, auch alles weitere Unheil entsteht, nämlich eine nicht abreißende Kette von typischen Delikten der Jugendkriminalität, die man aus Reportagen kennt, wo einem die Schlechtigkeit der Welt, in der unsere Kinder aufwachsen müssen, mit gleichsam schreckgeweiteten Augen dargeboten werden.
Schon auf Seite 163 allerdings trifft Bone auf seinen väterlichen Freund, den jamaikanischen Dealer I-Man (" . . . und noch ehe die Nacht vorbei war, wußte ich, ich war dem Menschen begegnet, der mein bester Freund werden würde."). Mit I-Man, der nicht an Lebensregeln geizt ("Deine erste Natur, zu der mußte finden, Mon"), geht es ab nach Jamaika, wo sich die Ereignisse überstürzen: Bone wird zum echten Rastafari geweiht, trifft seinen Vater wieder ("Daddy! Daddy!"), beobachtet I-Man beim Geschlechtsverkehr mit Daddys Freundin, verpetzt ihn bei Daddy, ohne zu wissen, warum er das tut, I-Man wird von anderen Dealern hingemetzelt, Bone verliert seine Unschuld - mit Daddys Freundin ("Und ich drang sofort in sie ein, als wäre das genau mein Ding, trotz allem, was in grauer Vorzeit mal sexmäßig mit mir passiert war") - und macht sich schließlich aus dem Staub. Da er willens und fähig ist, uns seine Geschichte ("die Wahrheit") in Romanlänge zu erzählen, können wir also beruhigt sein: Er hat es geschafft, aus all dem rauszukommen. ("Ich hatte auf Jamaika zu mir gefunden.")
In der Art eines Horrorfilms jagt Russell Banks sein Publikum durch alle Sorgen und Ängste, die ihm nur ausdenkbar sind, doch garantiert die Form der Ich-Erzählung den guten Ausgang, das fiktionale Aufatmen am Ende. Das Buch dürfte als Lektüre für Angehörige der jetzigen mittelständischen Elterngeneration geeignet sein, die im Schnitt mit etwa zwei Kindern gesegnet ist, was den jeweiligen Thronfolger zu einer so seltenen Kostbarkeit macht, daß hieraus nur mehr ein pathologisches Eltern-Kind-Verhältnis entstehen kann. WALTER KLIER
Russell Banks: "Gangsta Bone". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Hans M. Herzog. Luchterhand Literaturverlag, München 1996. 407 S., geb., 44,- DM.
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