George Sand
Broschiertes Buch
Gabriel
Ein Dialogroman Reclams Klassikerinnen
Mitarbeit: Hülk, Walburga;Übersetzung: Ranke, Elsbeth
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Die radikale Kritik an einer diskriminierenden GesellschaftEin fulminanter Dialogroman über den Versuch, jenseits der binären Geschlechtergrenzen zu leben: Gabriel, Alleinerbe des Fürsten von Bramante, erfährt erst als Jugendlicher, dass er eine Frau ist - fernab von der Welt wuchs er als Junge auf, damit Titel und Vermögen nicht Gabriels Cousin zufallen. In keinem ihrer Werke hat sich George Sand so persönlich und unkonventionell mit Geschlechterrollen auseinandergesetzt wie hier: Lassen sich Liebe und Emanzipation miteinander vereinbaren? Schließen Freiheit und Treue einander aus? Ein...
Die radikale Kritik an einer diskriminierenden Gesellschaft
Ein fulminanter Dialogroman über den Versuch, jenseits der binären Geschlechtergrenzen zu leben: Gabriel, Alleinerbe des Fürsten von Bramante, erfährt erst als Jugendlicher, dass er eine Frau ist - fernab von der Welt wuchs er als Junge auf, damit Titel und Vermögen nicht Gabriels Cousin zufallen. In keinem ihrer Werke hat sich George Sand so persönlich und unkonventionell mit Geschlechterrollen auseinandergesetzt wie hier: Lassen sich Liebe und Emanzipation miteinander vereinbaren? Schließen Freiheit und Treue einander aus? Eine Lektüre von aktueller wie zeitloser Relevanz.
George Sand gilt als eine der wichtigsten Schriftstellerinnen der Romantik und lebte mit Verve gegen die Konventionen ihrer Zeit an: Sie trug oft Männerkleidung, ließ sich früh scheiden und hatte Liebesbeziehungen mit Männern und Frauen. - Mit einer kompakten Biographie der Autorin.
Ein fulminanter Dialogroman über den Versuch, jenseits der binären Geschlechtergrenzen zu leben: Gabriel, Alleinerbe des Fürsten von Bramante, erfährt erst als Jugendlicher, dass er eine Frau ist - fernab von der Welt wuchs er als Junge auf, damit Titel und Vermögen nicht Gabriels Cousin zufallen. In keinem ihrer Werke hat sich George Sand so persönlich und unkonventionell mit Geschlechterrollen auseinandergesetzt wie hier: Lassen sich Liebe und Emanzipation miteinander vereinbaren? Schließen Freiheit und Treue einander aus? Eine Lektüre von aktueller wie zeitloser Relevanz.
George Sand gilt als eine der wichtigsten Schriftstellerinnen der Romantik und lebte mit Verve gegen die Konventionen ihrer Zeit an: Sie trug oft Männerkleidung, ließ sich früh scheiden und hatte Liebesbeziehungen mit Männern und Frauen. - Mit einer kompakten Biographie der Autorin.
George Sand (1804-1876) gilt als eine der wichtigsten Schriftstellerinnen der Romantik. Die Französin beteiligte sich an der 1848-Revolution, schrieb mehr als 70 Romane und Theaterstücke und war bereits als junge Frau in ganz Europa berühmt. Elsbeth Ranke, geb. 1972, übersetzt aus dem Englischen und Französischen. 2004 erhielt sie den André-Gide-Preis für deutsch-französische Literaturübersetzungen. Walburga Hülk, geb. 1953, war Professorin für Romanische Literaturwissenschaften an der Universität Siegen.
Produktdetails
- Reclam Taschenbuch 20750
- Verlag: Reclam, Ditzingen
- Seitenzahl: 169
- Erscheinungstermin: 19. Juli 2024
- Deutsch
- Abmessung: 190mm x 123mm x 19mm
- Gewicht: 174g
- ISBN-13: 9783150207505
- ISBN-10: 3150207509
- Artikelnr.: 70518849
Herstellerkennzeichnung
Reclam Philipp Jun.
Siemensstr. 32
71254 Ditzingen
auslieferung@reclam.de
»Gender Trouble im 19. Jahrhundert.«
Der Tagesspiegel
»Das Gender-Buch der Stunde, eine literarische Sensation wie aus dem Nichts. (...) Das Buch liest sich überraschend spannend und vollkommen gegenwärtig. (...) 'Gabriel' ist ein furioser Ritt der Freiheit (...) Ein Buch wie ein Update - aus der Vergangenheit.«
Neue Osnabrücker Zeitung
»Ein besonders gelungener Roman: Nicht zuletzt macht die eigenwillige Form den Text für die Heutigen attraktiv. Rankes Fassung trifft den idealisch-virilen Ton Sands wunderbar.«
Niklas Bender, FAZ
»George Sand hat mit 'Gabriel' eine Diagnose geliefert, die nach wie vor gültig ist: Liebe ist unvereinbar mit Besitzanspruch und
Der Tagesspiegel
»Das Gender-Buch der Stunde, eine literarische Sensation wie aus dem Nichts. (...) Das Buch liest sich überraschend spannend und vollkommen gegenwärtig. (...) 'Gabriel' ist ein furioser Ritt der Freiheit (...) Ein Buch wie ein Update - aus der Vergangenheit.«
Neue Osnabrücker Zeitung
»Ein besonders gelungener Roman: Nicht zuletzt macht die eigenwillige Form den Text für die Heutigen attraktiv. Rankes Fassung trifft den idealisch-virilen Ton Sands wunderbar.«
Niklas Bender, FAZ
»George Sand hat mit 'Gabriel' eine Diagnose geliefert, die nach wie vor gültig ist: Liebe ist unvereinbar mit Besitzanspruch und
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Machtausübung, mit Unterdrückung aufgrund von willkürlichen Zuschreibungen. Freiheit bedeutet, das eigene Sein leben zu können. Als Mann, als Frau, je nachdem.«
Gudrun Braunsperger, Ö1 »Ex libris«
»Einer ihrer interessantesten Texte, erstmals und sehr schön ins Deutsche übertragen. (...) Das Verwirrspiel mit geschlechtlichen Identitäten geht George Sand grundsätzlich, ja, existentiell an. Für sie sind es weniger Spiel und Erotik, auf die es ankommt, sondern vielmehr die radikale Kritik an einer diskriminierenden, frauenfeindlichen Gesellschaft, in der jeglicher Widerstand utopisch anmutet. Dass sich daran gerade etwas rasant verändert, schmälert nicht die Relevanz dieses außergewöhnlichen Romans. Im Gegenteil.«
Tobias Schwartz, Der Tagesspiegel
»Eine erfreulich lebendige und leichtgängige Übersetzung (...) scheint auf beinahe wundersame Weise ins Zentrum von gegenwärtigen Debatten über soziales und biologisches Geschlecht zu treffen.«
Hanna Engelmeier, Süddeutsche Zeitung
Gudrun Braunsperger, Ö1 »Ex libris«
»Einer ihrer interessantesten Texte, erstmals und sehr schön ins Deutsche übertragen. (...) Das Verwirrspiel mit geschlechtlichen Identitäten geht George Sand grundsätzlich, ja, existentiell an. Für sie sind es weniger Spiel und Erotik, auf die es ankommt, sondern vielmehr die radikale Kritik an einer diskriminierenden, frauenfeindlichen Gesellschaft, in der jeglicher Widerstand utopisch anmutet. Dass sich daran gerade etwas rasant verändert, schmälert nicht die Relevanz dieses außergewöhnlichen Romans. Im Gegenteil.«
Tobias Schwartz, Der Tagesspiegel
»Eine erfreulich lebendige und leichtgängige Übersetzung (...) scheint auf beinahe wundersame Weise ins Zentrum von gegenwärtigen Debatten über soziales und biologisches Geschlecht zu treffen.«
Hanna Engelmeier, Süddeutsche Zeitung
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Geschlechteridentitäten: Dass dieses Thema nicht wie Kai aus der Kiste kam, sondern schon im 19. Jahrhundert in französischen Romanen seinen Platz hatte, leitet die Rezension des Romanisten Niklas Bender ein. Er hat "Gabriel" gelesen, geschrieben 1839 von Amantine Aurore Lucile Dupin de Francueil, bekannt unter dem männlichen Pseudonym George Sand. Die Geschichte kreist um eine junge Frau, die ihr intriganter Großvater als Junge erzieht. Als sie sich ihrer selbst bewusst wird, zieht sie mit ihrem Cousin zusammen, um in der Öffentlichkeit ein Mann zu sein, aber in den eigenen vier Wänden Gabrielle zu leben. Zwei Dinge sind für den Rezensenten besonders interessant: Zum einen, die Attraktivität, die dieser "Dialogroman" bis heute hat. Zum anderen, dass "Gabriel" von einer Frau geschrieben wurde, die im 19. Jahrhundert ihren Mann gut allein stehen konnte. Last but not least: Die Neuübersetzung von Elsbeth Ranke trifft den Ton von George Sand superb, lobt der Kritiker.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Fließende Geschlechteridentitäten? Alter Hut!
In Frankreich blühte das Genre schon vor zweihundert Jahren: Ein besonders gelungener Roman daraus ist George Sands "Gabriel"
Fließende Geschlechteridentitäten waren einst ein reizvolles literarisches Spiel, und die französische Literatur der Dreißigerjahre des neunzehnten Jahrhunderts hat es darin zur Meisterschaft gebracht. Am bekanntesten ist Honoré de Balzacs Novelle "Sarrasine" (1830), die von der leidenschaftlichen Liebe zu einem Kastraten erzählt; Roland Barthes hat ihr seine Studie "S/Z" gewidmet. Théophile Gautiers Roman "Mademoiselle de Maupin" (1835) ist nicht nur wegen des Vorworts, das die "L'art pour l'art"-These verteidigt, bekannt; er entwickelt ein
In Frankreich blühte das Genre schon vor zweihundert Jahren: Ein besonders gelungener Roman daraus ist George Sands "Gabriel"
Fließende Geschlechteridentitäten waren einst ein reizvolles literarisches Spiel, und die französische Literatur der Dreißigerjahre des neunzehnten Jahrhunderts hat es darin zur Meisterschaft gebracht. Am bekanntesten ist Honoré de Balzacs Novelle "Sarrasine" (1830), die von der leidenschaftlichen Liebe zu einem Kastraten erzählt; Roland Barthes hat ihr seine Studie "S/Z" gewidmet. Théophile Gautiers Roman "Mademoiselle de Maupin" (1835) ist nicht nur wegen des Vorworts, das die "L'art pour l'art"-These verteidigt, bekannt; er entwickelt ein
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reizvolles Spiel um die Identität einer jungen Frau, die sich als Mann ausgibt. In der Reihe fehlt noch ein weiblicher Beitrag, und den hat George Sand 1839 mit "Gabriel", einem "Dialogroman", geleistet.
"Gabriel" erzählt von einer jungen Frau, die als adeliger Erbe herangezogen wird. Setting ist Italien, vermutlich in der Renaissance. Strippenzieher ist Gabriels Großvater, Fürst von Bramante: Ziel seines Manövers ist es, Astolphe, den zweiten Enkel und nichtsnutzigen Sohn eines ungeliebten Nachkommen, um sein Erbe zu bringen. Als Gabriel siebzehn Jahre alt ist, informiert der Fürst ihn über sein Geschlecht und stellt "dieses merkwürdige Geschöpf" vor die Wahl, ein herrschaftliches Leben als Mann oder eine Klosterexistenz als Frau zu führen. Verwirrt flieht Gabriel und trifft in einer Spelunke den Cousin Astolphe; sie rettet ihn vor Halsabschneidern - und verliebt sich. Als Gabriel sich bei einem Kostümball als Frau "verkleidet", gerät auch Astolphe durcheinander; schließlich entdeckt er, dass Gabriel in Wahrheit Gabrielle ist. Cousin und Cousine werden ein Paar, verbringen eine Hälfte des Jahres auf dem Land, die andere in der Stadt; in der Öffentlichkeit ist Gabriel Mann, privat Frau. Astolphe schwankt zwischen der Faszination für die Geliebte in männlicher Verkleidung und der eifersüchtigen Furcht, man könne sie ihm streitig machen. Gabriel lehnt Besitzdenken und Ehewünsche als "Tyrannei" ab, die Liebe schwindet. Währenddessen hat der Großvater seine Schergen auf sie angesetzt. Im römischen Karneval kommen die Ereignisse zu ihrem tragischen Ende.
Im Kern steht neben der Identitätsfrage die der großen Liebe. Gabriel - im Gedanken "der ruhmreichen Stellung des Mannes und von der Schmach der weiblichen Rolle in Natur und Gesellschaft" groß geworden - vertritt zugleich eine idealistische Liebesvorstellung, der Astolphe nicht gerecht zu werden vermag: "Ich will dich heilig lieben und dich in meiner Seele neben die Idee Gottes stellen, neben das Streben nach Vollkommenheit." So romantisch, so gut. Spannender ist das "naturphilosophische Experiment" selbst, das eine Frau zum Mann erzieht: "Und, was haben Sie herausgefunden? Dass eine Frau durch Erziehung genauso viel Logik, Erkenntnis und Mut erwerben kann wie ein Mann. Doch Sie konnten nicht verhindern, dass sie ein empfindsameres Herz hat und dass bei ihr die Liebe über die Hirngespinste des Ehrgeizes triumphiert."
Was Astolphe dem Präzeptor vorwirft, scheint das Ideal Sands darzustellen: die Kombination männlicher Freiheit und Willenskraft mit weiblicher Herzensreinheit. George Sand (1804 bis 1876), geborene Amantine Aurore Lucile Dupin de Francueil, eine Nachfahrin von August dem Starken, war selbst so frei, sich ein männliches Pseudonym zuzulegen und während ihrer Parisaufenthalte in Männerkleidung durch die Stadt zu gehen, um ungestört rauchen zu können. Sie verkehrte in Literatenzirkeln als Gleichberechtigte und trotzte dem starken Geschlecht Privilegien ab, etwa das, neben Männern - darunter Alfred de Musset und Frédéric Chopin - auch Frauen zu lieben. Gustave Flaubert nannte sie in seinen Briefen treffend "chère maître", "liebe Meister".
Das größte Privileg freilich war, als Frau des neunzehnten Jahrhunderts gut von ihrer Feder leben zu können. Sand schuf ein riesiges Werk, allein mehr als sechzig Romane, und platzierte es in zentralen Organen: "Gabriel" etwa, von der Vierunddreißigjährigen rasch in einem Gasthof inmitten spielender Kinder verfasst, erschien in der "Revue des Deux Mondes". Diesen biographischen und den Epochenkontext liefert das Nachwort von Walburga Hülk. Interessant wäre ein Wort zur deutschen Rezeption gewesen, schließlich wurde der Text schon 1840 von Ernst Susemihl übertragen (für Kollmann, Leipzig) - anders als vom Verlag behauptet, handelt es sich bei Elsbeth Rankes Übersetzung also nicht um die erste.
Die Infragestellung geschlechtlicher Identitäten gerade unter Rückgriff auf ein romantisches Standardvokabular, das 1839 längst zu erstarren drohte, trägt wesentlich zur Eigenart dieses konzentrierten Textes bei. Ein weiterer Punkt sind die burlesken Szenen, die sich aus den wankenden Rollenbildern ergeben - gern sieht man gestandene Mannsbilder wie Astolphes Rivalen Antonio vom Zweifel zerzaust. Nicht zuletzt macht die eigenwillige Form den Text für die Heutigen attraktiv: Der "Dialogroman" ist von seiner Anlage als Wechselrede her dramatisch; kurze Szenenangaben verstärken die Bühnentauglichkeit. Hinzu kommt eine Struktur in fünf Teilen, denen ein Prolog vorausgeht - die klassische Dramenform klingt an.
Die Behandlung von Ort und Zeit ist zwar großzügig, die Handlung erstreckt sich über Jahre, und es wird großzügig von Ort zu Ort gesprungen; aber all das war seit der Schlacht von "Hernani" (1830) und dem Sieg des romantischen Theaters gang und gäbe. Tatsächlich hat Sand von "Gabriel" später, nämlich 1852, eine illustrierte Bühnenfassung erstellt - die jedoch von den Theatern abgelehnt wurde. Das mag Sand geschmerzt haben, waren doch im Jahrhundert des Romans nach wie vor aller Augen auf die Bühne gerichtet. Vieles spricht dafür, dieses Versäumnis heute nachzuholen. Gern auch in Deutschland: Rankes Fassung trifft den idealisch-virilen Ton Sands wunderbar. NIKLAS BENDER
George Sand: "Gabriel". Ein Dialogroman.
Aus dem Französischen von Elsbeth Ranke. Nachwort von Walburga Hülk. Reclam, Ditzingen 2022. 176 S., geb., 18,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Gabriel" erzählt von einer jungen Frau, die als adeliger Erbe herangezogen wird. Setting ist Italien, vermutlich in der Renaissance. Strippenzieher ist Gabriels Großvater, Fürst von Bramante: Ziel seines Manövers ist es, Astolphe, den zweiten Enkel und nichtsnutzigen Sohn eines ungeliebten Nachkommen, um sein Erbe zu bringen. Als Gabriel siebzehn Jahre alt ist, informiert der Fürst ihn über sein Geschlecht und stellt "dieses merkwürdige Geschöpf" vor die Wahl, ein herrschaftliches Leben als Mann oder eine Klosterexistenz als Frau zu führen. Verwirrt flieht Gabriel und trifft in einer Spelunke den Cousin Astolphe; sie rettet ihn vor Halsabschneidern - und verliebt sich. Als Gabriel sich bei einem Kostümball als Frau "verkleidet", gerät auch Astolphe durcheinander; schließlich entdeckt er, dass Gabriel in Wahrheit Gabrielle ist. Cousin und Cousine werden ein Paar, verbringen eine Hälfte des Jahres auf dem Land, die andere in der Stadt; in der Öffentlichkeit ist Gabriel Mann, privat Frau. Astolphe schwankt zwischen der Faszination für die Geliebte in männlicher Verkleidung und der eifersüchtigen Furcht, man könne sie ihm streitig machen. Gabriel lehnt Besitzdenken und Ehewünsche als "Tyrannei" ab, die Liebe schwindet. Währenddessen hat der Großvater seine Schergen auf sie angesetzt. Im römischen Karneval kommen die Ereignisse zu ihrem tragischen Ende.
Im Kern steht neben der Identitätsfrage die der großen Liebe. Gabriel - im Gedanken "der ruhmreichen Stellung des Mannes und von der Schmach der weiblichen Rolle in Natur und Gesellschaft" groß geworden - vertritt zugleich eine idealistische Liebesvorstellung, der Astolphe nicht gerecht zu werden vermag: "Ich will dich heilig lieben und dich in meiner Seele neben die Idee Gottes stellen, neben das Streben nach Vollkommenheit." So romantisch, so gut. Spannender ist das "naturphilosophische Experiment" selbst, das eine Frau zum Mann erzieht: "Und, was haben Sie herausgefunden? Dass eine Frau durch Erziehung genauso viel Logik, Erkenntnis und Mut erwerben kann wie ein Mann. Doch Sie konnten nicht verhindern, dass sie ein empfindsameres Herz hat und dass bei ihr die Liebe über die Hirngespinste des Ehrgeizes triumphiert."
Was Astolphe dem Präzeptor vorwirft, scheint das Ideal Sands darzustellen: die Kombination männlicher Freiheit und Willenskraft mit weiblicher Herzensreinheit. George Sand (1804 bis 1876), geborene Amantine Aurore Lucile Dupin de Francueil, eine Nachfahrin von August dem Starken, war selbst so frei, sich ein männliches Pseudonym zuzulegen und während ihrer Parisaufenthalte in Männerkleidung durch die Stadt zu gehen, um ungestört rauchen zu können. Sie verkehrte in Literatenzirkeln als Gleichberechtigte und trotzte dem starken Geschlecht Privilegien ab, etwa das, neben Männern - darunter Alfred de Musset und Frédéric Chopin - auch Frauen zu lieben. Gustave Flaubert nannte sie in seinen Briefen treffend "chère maître", "liebe Meister".
Das größte Privileg freilich war, als Frau des neunzehnten Jahrhunderts gut von ihrer Feder leben zu können. Sand schuf ein riesiges Werk, allein mehr als sechzig Romane, und platzierte es in zentralen Organen: "Gabriel" etwa, von der Vierunddreißigjährigen rasch in einem Gasthof inmitten spielender Kinder verfasst, erschien in der "Revue des Deux Mondes". Diesen biographischen und den Epochenkontext liefert das Nachwort von Walburga Hülk. Interessant wäre ein Wort zur deutschen Rezeption gewesen, schließlich wurde der Text schon 1840 von Ernst Susemihl übertragen (für Kollmann, Leipzig) - anders als vom Verlag behauptet, handelt es sich bei Elsbeth Rankes Übersetzung also nicht um die erste.
Die Infragestellung geschlechtlicher Identitäten gerade unter Rückgriff auf ein romantisches Standardvokabular, das 1839 längst zu erstarren drohte, trägt wesentlich zur Eigenart dieses konzentrierten Textes bei. Ein weiterer Punkt sind die burlesken Szenen, die sich aus den wankenden Rollenbildern ergeben - gern sieht man gestandene Mannsbilder wie Astolphes Rivalen Antonio vom Zweifel zerzaust. Nicht zuletzt macht die eigenwillige Form den Text für die Heutigen attraktiv: Der "Dialogroman" ist von seiner Anlage als Wechselrede her dramatisch; kurze Szenenangaben verstärken die Bühnentauglichkeit. Hinzu kommt eine Struktur in fünf Teilen, denen ein Prolog vorausgeht - die klassische Dramenform klingt an.
Die Behandlung von Ort und Zeit ist zwar großzügig, die Handlung erstreckt sich über Jahre, und es wird großzügig von Ort zu Ort gesprungen; aber all das war seit der Schlacht von "Hernani" (1830) und dem Sieg des romantischen Theaters gang und gäbe. Tatsächlich hat Sand von "Gabriel" später, nämlich 1852, eine illustrierte Bühnenfassung erstellt - die jedoch von den Theatern abgelehnt wurde. Das mag Sand geschmerzt haben, waren doch im Jahrhundert des Romans nach wie vor aller Augen auf die Bühne gerichtet. Vieles spricht dafür, dieses Versäumnis heute nachzuholen. Gern auch in Deutschland: Rankes Fassung trifft den idealisch-virilen Ton Sands wunderbar. NIKLAS BENDER
George Sand: "Gabriel". Ein Dialogroman.
Aus dem Französischen von Elsbeth Ranke. Nachwort von Walburga Hülk. Reclam, Ditzingen 2022. 176 S., geb., 18,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Gebundenes Buch
Im September 2019 stellte die Frankfurter Allgemeine Zeitung in ihrer "Theaterserie" George Sands "Gabriel" als "phantastisches Stück über die Freiheit" vor und zeigte sich empört: "Bisher ist es nicht ins Deutsche übersetzt. Das muss sich …
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Im September 2019 stellte die Frankfurter Allgemeine Zeitung in ihrer "Theaterserie" George Sands "Gabriel" als "phantastisches Stück über die Freiheit" vor und zeigte sich empört: "Bisher ist es nicht ins Deutsche übersetzt. Das muss sich ändern!" Gut zwei Jahre danach kommt der Reclam Verlag diesem Wunsch nach und veröffentlicht eines der persönlichsten Werke der großen Schriftstellerin aus der Zeit der Romantik erstmals als deutsche Übersetzung. Eine kluge und nachvollziehbare Entscheidung.
Denn seit der ersten Publikation in der französischen "Revue des Deux Mondes" im Jahre 1839 hat dieser von George Sand so betitelte "Dialogroman" auch fast 200 Jahre später erstaunlicherweise kaum an Aktualität eingebüßt. Wobei schon die Genre-Einteilung deutlich macht, dass Sand die Konventionen ihrer Zeit nicht nur in Sachen Kleidungsstil und gesellschaftlichem Duktus herzlich egal gewesen sein dürften. Doch ob nun "Phantasie", "Dialogroman" oder "Drama" - "Gabriel" dürfte in seiner Mischung aus Feminismus, Genderdebatte und Individualismus durchaus bei einer breiten Leserschaft den Nerv der Zeit treffen.
Kurz vor dessen 16. Geburtstag eröffnet der Fürst von Bramante seinem Enkel Gabriel, dass dieser eigentlich eine Frau ist und aus Gründen der Thronfolge als Junge großgezogen wurde, um der verhassten jüngeren Linie der Familie sämtliche Ansprüche zu verwehren. Doch Gabriel ist ein Freigeist, dem die Frage des Geschlechts nicht von großer Bedeutung scheint: "Ich jedenfalls habe nicht das Gefühl, dass meine Seele ein Geschlecht hat, wie Sie es mir so oft beweisen sollen", entgegnet der Junge. Wichtiger ist ihm die individuelle Freiheit: "Man kann Falken im Käfig erziehen und ihnen die Erinnerung oder den Instinkt der Freiheit abgewöhnen: Ein junger Mann jedoch ist ein Vogel mit besserem Gedächtnis und mehr Verstand", heißt es an anderer Stelle.
Diese erstaunlich klugen Gedanken machen "Gabriel" zu einem sehr persönlichen Werk, denn auch George Sand selbst spielte mit der Geschlechterfrage, wie wir auch im informativen Nachwort von Walburga Hülk erfahren.
Insbesondere die erste Hälfte des Buches ist bewegend, denn die Leser:innen begleiten Gabriel auf dem Weg seiner Selbstfindung und erkennen in seinem Streben nach Freiheit und Bildung und seiner Aufsässigkeit gegenüber dem Fürsten klassische Coming-of-Age-Motive, die sowohl sprachlich als auch inhaltlich überzeugen und dabei auch heute noch aktuelle Themen wie die Gleichberechtigung der Frau in den Vordergrund und klassische Geschlechterrollen infrage stellen.
In der zweiten Hälfte entwickelt sich "Gabriel" stärker hin zu einer Tragödie mit Eifersuchtsmotiven, denn Gabrielle, wie sie sich mittlerweile nennt, spielt mitnichten die Rolle einer fürsorglichen Ehefrau, wie es sich ihr Vetter Astolphe wünschen würde, sondern strebt weiterhin nach individueller Freiheit und Selbstverwirklichung. Trotz ihrer Liebe zu Astolphe, den sie ursprünglich ja nur kennenlernen wollte, um gegen die Erziehung des Fürsten zu rebellieren.
Lässt man sich als Leser:in auf die etwas eigentümliche Prämisse ein, dass Gabriel wirklich nichts davon ahnte, eine Frau zu sein, wird man in der Folge mit einem großen Drama belohnt, einem überraschend frischen Werk. Und wer Gabriel nach der Lektüre in irgendeine Rolle pressen möchte, dem wird er entgegnen: "Ich mag mein Pferd, Wind um die Ohren, Musik, Dichtung, Einsamkeit, Freiheit vor allen Dingen." Ein bemerkenswerter Satz eines unvergesslichen literarischen Helden.
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