einzige Buch, das unter seinem Namen veröffentlicht wurde und sein Bild prägte, stammt von einem Ghostwriter, dem von Hermann Rauschning vermittelten amerikanischen Journalisten Emery Reves. Jenes Buch, 1941 ohne Thyssens Korrekturen unter dem reißerischen Titel "I paid Hitler" in den Vereinigten Staaten publiziert, sollte ihm in doppelter Weise zum Verhängnis werden. Er wurde damit endgültig zum Spielball im Propagandakrieg zwischen Berlin und Washington. Für Hitler, Göring, Himmler wurde er zum verfemten Verräter, der zweieinhalb Jahre in einer Nervenheilanstalt in Neubabelsberg, danach als Sonderhäftling in den Konzentrationslagern Sachsenhausen, Dachau und Reichenau als Geisel für mögliche Austauschgeschäfte mit den Alliierten festzuhalten war. Für die Amerikaner bis hin zu Lucius D. Clay wurde er zum Mann, dessen Finanzmittel Hitler zur Macht verholfen hatten, der daher als gefährlicher Förderer des Nazismus auch nach 1945 in Haft bleiben sollte. Über seinen Tod hinaus wurde Thyssen zudem für alle diejenigen zum unfreiwilligen Kronzeugen, die sich den Aufstieg des Nationalsozialismus nur als gelungene Kauf- und Manipulationsaktion des Großkapitals erklären konnten.
Heute wissen wir: Hitler ließ sich nicht kaufen. Wir wissen auch, daß die chronisch finanzschwache NSDAP sich vor allem über Mitgliedsbeiträge, Kleinspenden und Eintrittsgelder finanziert hat - Hitler-Reden waren so attraktiv, daß die Leute selbstverständlich Eintritt zu zahlen bereit waren. Üppige Spenden aus Kreisen der Industrie begannen erst zu fließen, nachdem die NSDAP zur Massenpartei, Hitler selbst Reichskanzler geworden war - und die Märzwahlen 1933 vor der Tür standen.
Thyssen hat der Partei allerdings schon vor 1930 nennenswerte Zuwendungen gemacht. Ob sie sich insgesamt auf jene Million Mark summieren, die in "I paid Hitler" genannt wird - eine Summe, die Thyssen später dementieren sollte -, kann auch Hans Otto Eglau in seiner lesenswerten Studie nicht mit letzter Sicherheit klären. Sicher ist, Thyssens erste stattliche Spende in Höhe von inflationssicheren 100000 Goldmark floß im Herbst 1923 - nicht an Hitler, sondern an Erich Ludendorff, der damals von manchen als der kommende "Führer" angesehen wurde. In der Phase der Neuformierung der NSDAP nach Putschversuch und Hitlers Haft war es Hermann Göring, der Kontakt zu Thyssen herstellte, von diesem finanziell unterstützt wurde, wiederholt Kuverts mit 50000 Mark zugesteckt bekam.
Göring war es wohl auch, der Thyssen eine Bürgschaft für das "Braune Haus" in München entlockte, die diesen 200000 Mark kosten sollte. Anfang 1931 arrangierte er ein Abendessen für seinen Gönner mit Hitler, Joseph Goebbels und Hjalmar Schacht, bei dem nicht allein die gefürchteten Monologe des "Führers" ertragen werden mußten, wie Goebbels notiert: "Thyssen von ganz altem Schlage. Knorke. Ein Kapitalist, aber solche Wirtschaftsführer läßt man sich schon gefallen . . . Er geigt hier auf, daß es nur so raucht . . . Todfeind des Marxismus. Sturer Patriot. Muß für später auf Eis gelegt werden."
Sturer Patriot? Eglau liefert interessante Indizien, indem er die Schlüssel- und Wendepunkte im bizarren Lebensweg dieses deutschen Industriellen skizziert, die Formung eines politischen Weltbildes nachzeichnet, das eine merkwürdige Mischung von Naivität und Hellsicht bestimmt. Die katholische Grundprägung der Familie aus dem Aachener Raum, Vater August Thyssen eine der genialen Figuren der industriellen Revolution, Pionier des integrierten Hütten- und Hochofenwerkes, über Jahre nicht Gönner, sondern Geißel seines ältesten Sohnes, mit diesem in einen erbitterten Erbfolgekleinkrieg verwickelt. Dabei waren beide in Grundentscheidungen einig - bis hin zur Einbringung der Thyssen-Werke in die Vereinigten Stahlwerke 1926, deren Generaldirektor Albert Vögler werden sollte, während sich Großaktionär Fritz Thyssen mit dem Aufsichtsratsvorsitz begnügte.
Vater und Sohn sind lange dem Zentrum verbunden. Matthias Erzberger steht im Ersten Weltkrieg auf der Gehaltsliste des Unternehmens, als es um die Ausbeutung der französischen Erzgruben geht. 1918/19 beginnt ihr Weg nach rechts. Beide werden von Arbeiter- und Soldatenräten in Essen verhaftet, nach Berlin-Moabit transportiert, erst durch Eingreifen von Friedrich Ebert nach einwöchiger Haft entlassen. Beide erleben die vom Autor zuwenig berücksichtigten Wirren an der Ruhr, die mit Streiks untermauerten Rufe nach Sozialisierung der Schwerindustrie, die heftigen Kämpfe gegen die "Rote Armee". Derlei weckt Ängste, die später durch den - von Eglau gänzlich vergessenen - massiven Anstieg der KPD-Stimmen ab 1930 gewiß neue Nahrung erhalten haben. Hinzu kommen antiparlamentarische, antidemokratische Ressentiments. Zunächst führen sie Fritz Thyssen zur DNVP.
Während der Ruhrbesetzung 1923 von den Franzosen abermals verhaftet, von einem französischen Militärgericht verurteilt, wird er nach seiner Freilassung als Symbolfigur des passiven Widerstands plötzlich populär. Er beschließt, stärker politisch Einfluß nehmen zu wollen. Das Gespenst eines bolschewistischen Umsturzes treibt ihn um, die Wiederherstellung der Monarchie wird sein erklärtes Ziel. Dabei ist dieser Thyssen kein tumber Nationalist, tritt etwa für eine Kooperation mit den europäischen, besonders den französischen Montanbetrieben ein.
Über die Ablehnung des Young-Plans kommt es 1929 zu einer nachhaltigen Annäherung an Hitler, dessen charismatischen Lockungen er erliegt. Jetzt beginnt Thyssen im Kreise seiner schwerindustriellen Partner in der "Ruhrlade" - einem informellen Gesprächskreis der zwölf wichtigsten Ruhrindustriellen um Paul Reusch, Gustav Krupp, Ernst Poensgen und Fritz Springorum - und im Reichsverband der Industrie für Hitler zu werben. Schon im Juni 1931 erklärt er, "das Vertrauen in eine Art Diktatur" habe im Lande stark zugenommen. Thyssen vermittelt dem "Führer" dann dessen berühmten Redeauftritt vor dem Düsseldorfer Industrieclub im Januar 1932 und beschließt den Auftritt mit einem unbeholfenen "Heil, Herr Hitler".
Er fungiert zusammen mit dem greisen Emil Kirdorf, dem Kölner Bankier Freiherr von Schröder, dem zurückgetretenen Reichsbankpräsidenten Schacht und dem Gelatinefabrikanten Wilhelm Keppler für Hitler als "Türöffner" in Wirtschaftskreisen - mit mäßigem Erfolg. Der Favorit der meisten deutschen Industrieführer heißt: Franz von Papen. Eine bei Hindenburg eingereichte Denkschrift zugunsten von Hitler unterschreiben zusammen mit Thyssen zwanzig Unternehmer. Eine zweite Denkschrift zugunsten von Papen - von Eglau nicht erwähnt - zeichnen im November 1932 immerhin 339 Unternehmer.
Nach Machtantritt und Gleichschaltung wird Thyssen "belohnt" mit einem Sitz im zum Akklamationsorgan degradierten Reichstag, bekommt ein eigenes Institut zur ständischen Neuordnung der Wirtschaft. Allein, mit derlei hat Hitler nichts im Sinn. Thyssen muß erkennen, daß er auf das falsche Pferd gesetzt hat. "Was war ich nur für ein Idiot", soll er nach 1937 wiederholt ausgerufen haben, seine lange Blindheit gegenüber dem wahren Charakter des NS-Regimes kommentierend.
Immer wieder wendet er sich besonders wegen Kirchenverfolgungen in Eingaben an Göring, pflegt Kontakt zu Robert Pferdmenges, auch zu Konrad Adenauer, unterstützt von 1937 an die Familie des inhaftierten Pastors Martin Niemöller. Den Krieg hält er klarsichtig von vornherein für falsch und verloren, verläßt Deutschland 1939, protestiert vom Ausland aus in Artikeln, Briefen öffentlich gegen Hitlers totalitäres, rasseantisemitisches Regime, wird vom "Dritten Reich" dafür enteignet, ausgebürgert, 1940 schließlich wieder eingefangen. Damit beginnt die lange Leidenszeit eines am Ende total Desillusionierten.
DANIEL KOERFER
Hans Otto Eglau: Fritz Thyssen - Hitlers Gönner und Geisel. Siedler Verlag, Berlin 2003. 381 S., 24,- [Euro].
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