großen Drei, deren Filme praktisch nur noch in Kinematheken oder auf DVD zu sehen sind.
Fritz Lang, über den der Mainzer Filmwissenschaftler Norbert Grob nun eine Biographie geschrieben hat, war bei dem Gipfel in Montreal der älteste, nämlich 80, und auch damals schon die widersprüchlichste, am schwersten zu fassende Gestalt unter den Dreien. Seine Stummfilme waren monumental, innovativ, exzentrisch und düster, wie das Sagen-Blutbad der "Nibelungen" (1924), wie die Dystopie in "Metropolis" (1927). In "M. Mörder unter uns" (1931) demonstrierte nicht allein die vom Mörder (Peter Lorre) gepfiffene Melodie, was der Tonfilm kann. Und im amerikanischen Exil drehte Lang so selbstverständlich Western, darunter den unvergesslichen "Rancho Notorious" (1952) mit Marlene Dietrich, wie er in "Fury" (1936) oder "The Woman in the Window" (1944) die expressionistischen Schattenspiele des Weimarer Kinos in die Bildsprache des Film noir übersetzte.
Dass es über Lang mehr als ein Dutzend Monographien gibt, muss Norbert Grob nicht stören. Er hat seinen differenzierten Blick auf Lang, und er hat im Berliner Filmmuseum zuvor unausgewertete Materialien nutzen können, vor allem Langs penible Einträge, was er wann wo getan, auch welche Filme er gesehen hat. Das war, einerseits, die Angewohnheit eines Perfektionisten, aber es war auch eine Vorsichtsmaßnahme, mit der Lang 1920 begann, nachdem seine erste Frau sich mit seiner Browning im Badezimmer erschossen hatte, während er sich nebenan mit Thea von Harbou vergnügte. Restlos aufgeklärt ist bis heute nicht, was da genau geschah.
Grob, der lange Jahre auch Filmkritiker war, braucht kein akademisches Imponiergehabe, und anekdotischer Plauderton ist auch nicht seine Sache. Deswegen entgeht er auch den Fallen eines Biographismus, dem die Parallelführung von Leben und Werk meist unbewusst zur Kausalbeziehung wird. Der Buchumschlag zitiert zwar Lang: "Kino ist kein zweites Leben - es ist mein eigentliches", doch Grob ist viel zu sehr Analytiker, um das unbefragt zu übernehmen. Er interessiert sich für die Spannungen zwischen Leben und Werk, und vor allem für das, was in jedem Werk über die Summe der Intentionen des Künstlers hinausgeht.
Zum anderen muss er als Historiker natürlich eingreifen, wenn, frei nach John Ford, die Legende Tatsache zu werden droht. Bekannt ist ja, dass Lang im Frühjahr 1933 zu Goebbels bestellt wurde, der ihn zu einer Art Führer des deutschen Films machen wollte. Lang war das sehr unangenehm, er hat behauptet, gleich nach dem Treffen die Koffer gepackt zu haben. Belegt ist allerdings, dass er sich mit dem Packen bis zum Sommer Zeit gelassen hat und untergetaucht ist, um den auch finanziell geordneten Rückzug erst nach Paris, dann in die Vereinigten Staaten zu organisieren.
Ob nun Langs Stummfilmepen nazikompatible Filme waren, ob Thea von Harbou, seine zweite Ehefrau, langjährige Co-Autorin und Nazi-Sympathisantin, braune Spuren im Werk hinterließ, ist keine Diskussion, die sich noch lohnte. Die Linie von "Caligari" zu Hitler war nicht so geradlinig, wie Siegfried Kracauers Buch sie gezogen hat. Lang war keiner, der sich im Berlin der wilden zwanziger und nicht mehr so wilden frühen dreißiger Jahre für Politik interessiert hätte. Das änderte sich in Amerika, wo er andere Exilanten wie den überwiegend übellaunigen Brecht unterstützte, sich vehement gegen den Faschismus wandte und die politischen Verhältnisse in seiner neuen Heimat aufmerksam verfolgte.
Die internationale Reputation, die Lang sich in der Weimarer Republik erworben hatte, war allerdings keine Garantie für kontinuierliche Beschäftigung in Amerika. Lang hat sich zwar, neben Billy Wilder, vielleicht von allen Exilanten am vorbehaltlosesten eingelassen auf das neue Land, doch das Hollywood-System mit seiner Studio- und Produzentendominanz war für Langs Hang zum Autokratischen nicht immer ideal. Er drehte zwar in zwanzig Jahren mehr als zwanzig Filme, doch viele Projekte versandeten, und nach "Jenseits allen Zweifels" (1956) war seine Hollywood-Zeit vorbei. Es blieb noch eine Art deutscher Epilog, mit dem "Tiger von Eschnapur", dem "Indischen Grabmal" (beide 1959) und der Version eines alten Stoffs: "Die 1000 Augen des Dr. Mabuse" (1960).
Allen Versuchen, noch einmal ein großes Projekt zu entwickeln, stand entgegen, dass Langs Sehkraft seit den vierziger Jahren immer mehr nachließ. Das Monokel, sein Markenzeichen, war kein Herrenreiter-Accessoire, sondern seit dem Ersten Weltkrieg notwendige Sehhilfe. Der "Augenmensch" erblindete. Er erlebte noch, dass man ihn in Deutschland auf einmal zu würdigen begann - um den Preis der Musealisierung. So ließen sich Tatsache und Gründe der Emigration in wolkige Ferne rücken. Und Lang, der gebürtige Wiener, der in Berlin und Los Angeles reüssiert hatte, söhnte sich bis zu seinem Tod im Jahr 1976 nur zögerlich mit Deutschland aus.
Grobs Buch verschränkt nun nicht einfach Werk, Leben und Zeitgeschichte auf eine kluge und anschauliche Weise. Man kann auch die meisten Filme Langs kennen und hier trotzdem noch Neues erfahren, zum Beispiel über die Freundschaft mit Theodor W. Adorno, dem großen Verächter jener Kulturindustrie, für die Lang arbeitete. Und vor allem lässt dieses Buch einen erneut oder auch zum ersten Mal neugierig werden, diesen Regisseur durch seine Arbeiten kennenzulernen.
PETER KÖRTE
Norbert Grob: "Fritz Lang. ,Ich bin ein Augenmensch'. Die Biografie". Propyläen, 448 Seiten, 26 Euro
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