Anekdoten über Behans Alkoholmissbrauch und sein rowdyhaftes Verhalten sind zahlreich - zu den kurioseren gehört ein Brief des Leuchtturmwärters am nordirischen St. John's Point aus dem Jahr 1950 an die zuständige Behörde in Dublin. Behan, der den betreffenden Leuchtturm anstreichen sollte, wird darin als nachlässig, schmutzig und respektlos geschmäht, er habe unter anderem eine Wand ruiniert und sei "das schlimmste Exemplar" eines Menschen, das dem Wärter in dreißig Jahren Dienst begegnet sei.
Das Lotterleben schmälerte nicht Behans literarische Ambition: In Paris 1948, wo er unter anderem als Journalist arbeitete, wollte er unbedingt Samuel Beckett kennenlernen, was auch gelang. Ein Behan-Biograph berichtet, dass Beckett später mehrmals Kaution für Behan gestellt habe. In den verbleibenden Jahren bis zu seinem frühen Tod schaffte Behan dennoch den Sprung vom Knast- und Kneipen-Faktotum zum weltweit gefeierten Autor.
Was deutsche Ausgaben seiner Werke angeht, ist es in den vergangenen Jahrzehnten um Behan allerdings still geworden. 2019 wurde Curt Meyer-Clasons Übersetzung von "Borstal Boy" bei KiWi wiederaufgelegt. Der in erster Linie als Dramatiker Bekannte (in den Sechzigerjahren auch in Deutschland) ist in Vergessenheit geraten, erst recht als Prosa-Autor. Das kann empören angesichts der vorliegenden Sammlung: Sie zeigt, in bestechender Übersetzung von Hans-Christian Oeser, Behans nicht nur von Sprengstoff handelnde, sondern oft wie Sprengstoff wirkende Mischung aus Drastik und Lyrismen, aus Humor und Hardboiled-Sound: "Die Briten hatten zwei Iren, allerdings nicht die Richtigen, verhaftet und aufgehängt."
Einmal springt Behan in die Perspektive eines kleinen Jungen ("An meinem fünften Geburtstag sagte Mrs. Murphy, wir müssten zu Sportler-Jimmy und einen heben"), und obwohl die besagte alte Frau, in deren "Vestibül" es in den Worten einer karikierten Krankenschwester "eindeutig nach Whiskey" riecht, eine böse Zunge hat, geht es zu Herzen, wenn man begreift, dass sie gerade ihren wohl letzten Umzug antritt, den ins Hospiz. Ein anderes Mal beschreibt Behan die Totenwache bei einer Krebspatientin, und in der Titelgeschichte sagt ein Priester: "Nicht wann man stirbt, sondern wie man stirbt, ist wichtig."
Inspiriert von der Ansicht Norman Mailers, Behan habe gewusst, "dass er den Tod in sich trug", vermutet Hans-Christian Oeser in seinem Nachwort: "Vielleicht war das unablässige Reden und Singen, für das Behan bekannt und berühmt war, immer auch ein Anreden und Ansingen gegen den Tod." Besonders drastisch setzt Behan sich mit diesem in der, wie auch Oeser anmerkt, an Brechts "Maßnahme" erinnernden Erzählung "Die Hinrichtung" auseinander. In äußerster Lakonie und mit einem erschütternden Schluss beschreibt sie, wie IRA-Mitglieder einen Kameraden ermorden, der sie verraten hat. So meisterlich die Kurzprosa ist, es bleibt bedauerlich, dass Behan einen Roman mit dem Titel "Die Katakomben", hier im Fragment abgedruckt, nicht mehr abschließen konnte. JAN WIELE
Brendan Behan: "Frau ohne Rang und Namen".
Aus dem Englischen
und Irischen, mit einem Nachwort von Hans-Christian Oeser. Wagenbach Verlag, Berlin 2023. 144 S., geb., 22,- Euro.
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