Sybille Buske

Gebundenes Buch

Fräulein Mutter und ihr Bastard

Eine Geschichte der Unehelichkeit in Deutschland 1900 bis 1970

Beschreibung

Sie wurden als 'Bastard', 'Bankert' oder 'Hurenkind' beschimpft: Uneheliche Kinder. Sie und ihre Mütter waren in der deutschen Gesellschaft über einen langen Zeitraum hinweg geächtet. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde Unehelichkeit vornehmlich mit Armut, Kriminalität und Verwahrlosung in Verbindung gebracht. Uneheliche Kinder erschienen als eine sittliche Gefährdung der bürgerlichen Familie, ja sogar als existentielle Bedrohung der Gesellschaft. Sybille Buske untersucht die rechtliche und gesellschaftliche Stellung nichtehelicher Kinder und ihrer Eltern vom Kaiserreich bis in die Bundesrepublik. Die sechziger Jahre erfahren dabei besondere Beachtung, denn dieses Jahrzehnt brachte tiefgreifende Um- und Aufbrüche: Nach zähem politischem Ringen wurde die Reform des Unehelichenrechts auf den Weg gebracht. Ziel war es, den Kindern und Eltern mehr Rechte zuzuerkennen und ihre gesellschaftliche Diskriminierung zu beenden. Erstmals in der langen Geschichte der Unehelichkeit konnten ledige Mütter in eigener Sache gesellschaftlich und politisch gestaltend wirken. Der veränderte Umgang mit Unehelichkeit erschließt exemplarisch Dimensionen und Dynamik gesellschaftlicher Wandlungsprozesse in Westdeutschland. Der diachrone Ansatz der Studie ermöglicht, den Wandel der sechziger Jahre im Kontext des Jahrhunderts zu gewichten und seine Ergebnisse kritisch zu reflektieren. Somit erweitert Sybille Buske den historischen Zugang zur Veränderung der politischen Kultur in (West-) deutschland, zum Wandel der Gesellschaft und ihrer normativen Grundlagen.

Autor

Sybille Buske, geb. 1971, studierte Geschichte, Germanistik und Philosophie in Freiburg und London. 1998-2001 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Promotion 2003, Studienreferendarin.

Produktdetails

• Moderne Zeit. Neue Forschungen zur Gesellschafts- und Kulturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts 5
• Verlag: Wallstein
• Seitenzahl: 400
• Deutsch
• Abmessung: 230mm
• Gewicht: 674g
• ISBN-13: 9783892447504
• ISBN-10: 3892447500
• Artikelnr.: 12369715

Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.06.2004

Bahn frei für den Sprößling
Sybille Buske schildert den Gestaltwandel des unehelichen Kindes

Die uneheliche Geburt liegt europaweit im Trend. Allein die deutsche Statistik verzeichnete für das Jahr 2002 rund 25 Prozent Neugeborene, deren Eltern unverheiratet waren - Tendenz steigend. Im gleichen Jahr zeigte sich auch, daß die ledige Mutterschaft ihre Tücken hat.

Katharina Reiche bekam das zu spüren, als sie, ohne Trauschein und schwanger mit dem zweiten Kind, in das Kompetenzteam des Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber einrückte. Sowohl aus der Union wie aus den Kirchen gab es Proteste gegen eine Familienexpertin ohne Ehering. Die Freiburger Historikerin Sybille Buske sieht den Fall Reiche dennoch als Beleg

dafür, wie sehr sich das Bild vom "Fräulein Mutter" in den letzten hundert Jahren gewandelt hat. Denn schließlich hat es Reiche trotz ihres Familienstandes geschafft, im christlich-konservativen Politmilieu zu reüssieren, Einsprüche blieben am Ende folgenlos.

Eine solche Karriere wäre, wie Sybille Buske nachweist, wenige Jahrzehnte zuvor unvorstellbar gewesen. Während Feministinnen und Sozialdemokraten seit Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts für die Gleichstellung unehelicher und ehelicher Abkömmlinge arbeiteten, stemmten sich Kirchen und konservative Kreise dagegen. Aus bürgerlicher Sicht bündelte die außereheliche Schwangerschaft sämtliche Laster der Moderne - unkontrollierte Sexualität, Unsittlichkeit, Verwahrlosung und Kriminalität. Daß sich soziale Diskriminierung und juristische Norm über weite Strecken wechselseitig stabilisierten, zeigt der rechtliche Sonderstatus, den das Bürgerliche Gesetzbuch aus dem Jahr 1900 den "Bastarden" zuwies. Zwar störte man sich unter demographischen Aspekten an der hohen Säuglingssterblichkeit und der Pauperisierung, die unter unehelichen Kindern grassierte. Durchgreifende Reformen kamen jedoch sogar unter den günstigeren Vorzeichen der Weimarer Verfassung nicht zustande.

In den dreißiger Jahren geriet die Debatte um die Illegitimität in den Bann der Rassendoktrin. "Erbbiologisch wertvolle" Kinder wurden, gleichsam ohne Ansehen des Familienstandes, gefördert, die "minderwertigen" entrechtet, wenn nicht vernichtet. Eine Novellierung des Familienrechts scheiterte 1940 an Hitler, der die Rolle "arischer" Mütter nicht ausreichend gewürdigt sah. Dennoch kamen, wie Sybille Buske darlegt, auch illegitime Sprößlinge in den Genuß familienpolitischer Leistungen - sofern ihre Herkunft ins Raster der NS-Ideologen paßte.

Die sechziger Jahre beseitigten den Makel der außerehelichen Geburt fast völlig. Die bis dahin praktizierte "staatliche Gängelung unehelicher Mütter und Kinder" hielt dem Modernisierungsdruck nicht länger stand. Seit 1961 bekamen ledige Mütter auf Antrag das elterliche Sorgerecht zugesprochen. Wenige Jahre später hatte sich das gesellschaftliche Klima derart gewandelt, daß die Fernsehansagerin Petra Schürmann erklären konnte: "Jede Frau - auch wenn sie keinen Ehering trägt - hat das Recht auf ein Kind."

Die herkömmliche Schuldverteilung kehrte sich in den Medien zugunsten alleinerziehender Frauen um: Die vermeintlichen Sittlichkeitstäterinnen von einst traten nun als Opfer vor das Publikum. Auch das konservative Lager verschloß sich den Zeichen der Zeit nicht länger. Die allseits propagierte Chancengleichheit schlug sich im "Gesetz über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder" von 1969 nieder, das ledige Mütter und ihren Nachwuchs als Familien anerkannte.

Sybille Buske zeichnet die Entwicklung von der sozialen Problemlage zur Lebensform im Detail nach. Die Fülle des Materials läßt zwar bisweilen Fragen offen. Insgesamt aber schließt die Darstellung nicht nur eine Forschungslücke. Sie beweist auch, daß der demokratische Grundkonsens gesellschaftliche Benachteiligung in der Verzahnung von Recht, Politik und öffentlicher Wahrnehmung aufheben kann.

DORION WEICKMANN

Sybille Buske: "Fräulein Mutter und ihr Bastard". Eine Geschichte der Unehelichkeit in Deutschland 1900-1970. Wallstein Verlag, Göttingen 2004. 310 S., 12 Abb., geb., 40,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Zwar lasse die "Fülle des Materials" zuweilen Fragen offen - dennoch schätzt Dorion Weickmann Sybille Buskes Studie über uneheliche Kinder in Deutschland, "Fräulein Mutter und ihr Bastard", als verdienstvoll ein. Da die deutsche Statistik für das Jahr 2002 "rund 25 Prozent Neugeborene" von unverheirateten Eltern ausgewiesen habe, liege Buskes Untersuchung voll im Trend. Auch sei damit eine Forschungslücke geschlossen. Nachgezeichnet werde der lange Weg von der "Sittlichkeitstäterin" zum gesellschaftlichen "Opfer", dessen Endpunkt von der Fernsehansagerin Petra Schürmann markiert worden sei, als sie sagte: "Jede Frau - auch wenn sie keinen Ehering trägt - hat das Recht auf ein Kind." Das "Gesetz über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder" von 1969, so Weickmann, dokumentierte juristisch den Zeitenwandel. Auch gesellschaftlich sei dieser jedoch greifbar: Habe sich in der Gestalt der "Bastarde" anfangs all das gebündelt, was das konservative Lager an der Moderne verabscheute - "unkontrollierte Sexualität, Unsittlichkeit, Verwahrlosung und Kriminalität" -, so habe der Kanzlerkandidat Edmund Stoiber in sein Kompetenzteam als - ausgerechnet - Familienexpertin Katharina Reiche berufen, "ohne Trauschein und schwanger mit dem zweiten Kind".

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