Präsidentengattin Eleanor Roosevelt unterstützte das Unternehmen.
Etwas länger als ein Jahr blieb Varian Fry, um von Marseille aus Fluchthilfen zu organisieren, bevor die Lage für ihn unhaltbar wurde. Was Fry und seinen in Marseille gewonnenen Mitarbeitern in diesem Jahr gelang, ist öfter schon dargestellt worden. Auch im Buch von Dierk Ludwig Schaaf nehmen Fry und sein "Centre Américain de Sécours" - so hieß das noch im August 1940 gegründete Büro, das offiziell als Betreuungsstelle der in Südfrankreich gestrandeten Flüchtlinge auftrat - eine zentrale Stellung ein. Gestützt vor allem auf die Berichte von Varian Fry selbst, einiger seiner Mitarbeiter und auch "Klienten", gibt Dierk Schaaf, lange Jahre politischer ARD-Korrespondent, eine detailreiche und farbige Erzählung von der Arbeit dieser Fluchthelfer, die Menschen vor dem Zugriff der Vichy-Behörden und den deutschen Verfolgern retten konnten.
Fry fand in Marseille bereits einen amerikanischen Gewerkschaftsmann vor, Frank Bohn, auf dessen Erfahrungen er zurückgreifen konnte. Wobei ihm schnell klarwurde, dass auf bloß legalen Wegen kaum etwas auszurichten war, um seinen Klienten einen Weg durch das dauernd sich verändernde Gestrüpp von Ausreise- und Visabestimmungen über Spanien nach Lissabon zu ebnen, wo dann noch die Schiffspassage sicherzustellen war. So wurden illegale Grenzübertritte nach Spanien über die Pyrenäen organisiert, Fluchten per Schiff, Papiere gefälscht, hin und wieder die bezahlte Hilfe des Marseiller Untergrunds in Anspruch genommen, auf dem Schwarzmarkt Devisen getauscht. Für die Nutzung des Schwarzmarkts war insbesondere ein junger Berliner Emigrant und Spanien-Kämpfer zuständig, den Fry in seinem Bericht als den immer zuversichtlichen, unerschütterlichen "Albert Hermant" auftreten ließ: Albert Hirschman(n), der später als berühmter Ökonom noch seinen Sinn für informelle Märkte demonstrieren sollte.
Zum Mitarbeiterstab des "Centre" kamen etwas später noch rekrutierte Helfer, etwa Hans und Lisa Fittko, die bereits ihre eigene Route über die grüne Grenze nach Spanien entdeckt hatten (auf der Walter Benjamin nur bis zu Grenzstation von Port Bou kam), oder auch die betuchte junge Amerikanerin Mary Jayne Gold, eine Zeitlang Mitbewohnerin der berühmt gewordenen Villa Air-Bel - gemeinsam mit Fry, Max Ernst, dem Ehepaar Breton, Benjamin Péret und anderen.
Aber Schaaf greift auch noch etwas weiter aus, setzt bereits 1939 ein mit dem portugiesischen Generalkonsul Aristides de Sousa Mendes, der in Bordeaux gegen die Weisungen aus Lissabon und noch nach seiner Absetzung Transitvisa ausstellte, und widmet ein Kapitel den von den amerikanischen Unitariern nach Europa entsandten Helfern, die im Juni 1940 ein Büro in Lissabon eröffneten, dessen Leitung zuletzt einem für die Kommunisten spionierenden Amerikaner, Noel Field, übergeben wurde. Immer wieder tauchen Einzelne auf, in höheren oder ganz bescheidenen Funktionen, die ihr Gewissen über Amtspflichten stellten (neben solchen, die sich den Verstoß gegen diese Pflichten abgelten ließen) und halfen. Belohnt wurden de Saousa Mendes, Fry oder Field dafür nach Kriegsende nicht. Fry wurde in den sechziger Jahren immerhin in die französische Ehrenlegion aufgenommen, doch abgesehen davon, war die Anerkennung eine postume Angelegenheit.
Seinen nahe an den Quellen entlang erzählenden Kapiteln fügt Schaaf Abschnitte ein, die den Hintergrund der Gefahren beleuchten, mit denen die Flüchtlinge und ihre Helfer zu kämpfen hatten: Salazars Bemühungen, Portugal auf neutralem Kurs zu halten, die Politik Vichys und seine Internierungslager, das Lavieren Roosevelts vor dem Kriegseintritt und die restriktive amerikanische Einwanderungspolitik. Selbst wenn das Buch durch diese Aufteilung etwas zerfällt: Es ist eine lesenswerte Erzählung und Zusammenschau.
HELMUT MAYER.
Dierk Ludwig Schaaf: "Fluchtpunkt Lissabon". Wie Helfer in Vichy-Frankreich Tausende vor Hitler retteten.
J. H. W. Dietz Verlag, Bonn 2018. 423 S., Abb., br., 32,- [Euro].
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