Feste und Feiern gibt, die neben Großveranstaltungen der erwähnten Art durchaus Beachtung verdienen.
Sie beruhen oft auf christlichen oder gar heidnischen Volksbräuchen, wobei letzteren von der kirchlichen Obrigkeit bisweilen notdürftig ein christliches Mäntelchen umgehängt wurde. Wer hätte etwa gedacht, daß das Tannengrün des Weihnachtsbaums einst ein germanisches Zaubermittel war, das erst "im Laufe der Zeit zum Weihnachtssymbol beider Konfessionen wurde, obwohl die katholische Kirche ihn lange als heidnische Sitte ablehnte"? Auch dürfte es manchen überraschen, daß sich der Karneval als ausgelassene Vorbereitung auf die Fastenzeit erst seit dem fünfzehnten Jahrhundert entwickelt hat. "Vor dieser Zeit hatte man sich zwar zu anderen Terminen des Kirchenjahres wie Weihnachten und Ostern verkleidet, zu Fastnacht war dies aber keineswegs üblich gewesen." Die großen Feste des Kirchenjahres werden also auf ihre historischen Wurzeln zurückgeführt, wobei die Autorin jedoch aus Platzgründen bisweilen etwas oberflächlich vorgeht. Pauschal wird in bezug auf Ostern bemerkt, daß "in vielen Mythologien das Ei bei der Entstehung der Welt eine Rolle spielt, beispielsweise in der ägyptischen, griechischen und chinesischen". Hier hätte man doch gerne Näheres erfahren. Auch fehlt in diesem Zusammenhang auf jeden Fall das finnische Nationalepos "Kalevala", in dessen erstem Gesang die Erde ebenfalls einem Ei entschlüpft.
Solche und zahlreiche andere historische und volkskundliche Kuriositäten berichtet die Verfasserin im ersten Teil des Werkes, der nach Monaten geordnet die wichtigen kirchlichen, aber auch weltlichen Feiertage des Jahresverlaufs und die damit verbundenen Bräuche und Festlichkeiten verzeichnet. Dabei mangelt es nicht an der Beschreibung abergläubischer Sitten, die bisweilen so absurd sind, daß sie schon deswegen eine Wiederbelebung verdienten. "So sollen Frauen den Teig gewisser Gebildbrote, die dem Liebeszauber dienten, mit ihrem Allerwertesten geknetet haben, da das angeblich die Liebe desjenigen, der sie aß, entfachte." Und "in der Laurentiusnacht ging man nackt um die Hirsefelder, um sie vor Spatzen zu schützen". FKK avant la lettre!
Apart ist auch die Empfehlung, am Karfreitag sollten "Gichtkranke Ringe aus Sargnägeln tragen". Untergegangene Namen für Monate und Tage, wie "Kotmonat" für November oder "beschissene Liese" für den Elisabethtag (19. November), sprechen ebenso für sich wie die Tatsache, daß "Matthäus der Patron der Finanzbeamten, Zöllner, Buchhalter und Trinker" ist.
Längere Erläuterungen, die den Lesefluß stören könnten, werden in Textfeldern am Seitenrand gegeben. Hier findet sich Näheres zu den Maikäfern, die sogar vor Gericht zitiert wurden: "Gewöhnlich konnte man sie jedoch nur wegen Nichterscheinens verurteilen." Dafür galt ihr Verzehr in den schweren Zeiten vor Viagra als wirksames Aphrodisiakum! Bisweilen unterlaufen der Autorin kleinere Flüchtigkeitsfehler: So ist der "Pützchens Markt" in Bonn nicht durch eine "Hungersnot" entstanden, sondern aufgrund einer Dürreperiode, die die heilige Adelheid à la Moses durch das Auffinden einer Quelle, ebendes "Pfützchens", beendete. Der Jünger Jesu, der Saulus das Augenlicht wiedergab, hieß Ananias, nicht "Anasias". Die Geschichte Salomes ist keine "Legende", sondern stammt aus dem Markusevangelium. Und die Bäume des "Hamburger Kirschblütenfestes" hat eine engstirnige Stadtverwaltung inzwischen gefällt.
Auch ist die Idee zu einem solchen Buch nicht ganz neu: Standardwerke zu Volksfesten gibt es etwa von der Kinderbuch-Päpstin Sybil Gräfin Schönfeldt (wobei die Bebilderung der noch bei Ravensburger erschienenen Auflagen teilweise sogar identisch mit der in vorliegendem Band ist) oder von Leander Petzoldt. Auch das zehnbändige "Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens" von Bächtold-Stäubli hat die Autorin weidlich ausgeschlachtet. Neu ist allerdings die Aufnahme zahlreicher Veranstaltungen in den neuen Bundesländern, darunter solche, die erst nach der Wende entstanden sind oder wiederbelebt wurden.
Außerordentlich begrüßenswert ist der nahezu ein Drittel des Bandes einnehmende, von Cornell Ehrhardt zusammengestellte "Veranstaltungskalender", der nicht nur eine detaillierte, nach Bundesländern geordnete Auflistung nahezu aller Volksfeste in Deutschland bietet, sondern auch zu jedem Fest neben den traditionellen Daten wie Anschrift und Telefonnummer eine Internet-Adresse verzeichnet. So liegt ein aktuelles Nachschlagewerk vor, das durch die chronologische Anordnung auch zur vergnüglichen Lektüre einlädt und somit eine willkommene Ergänzung zum ebenfalls neu erschienenen "Lexikon der Feste und Bräuche" von Manfred Becker-Huberti aus dem Herder-Verlag darstellt.
Sollten sich demnächst nicht nur auf dem berühmten "Cannstatter Wasen" und dem "Bremer Freimarkt", sondern auch auf kleineren Festen wie der "Waldshuter Chilbi" oder dem "Billigheimer Purzelmarkt" die Massen tummeln, so könnte das Angelika Feilhauers Verdienst sein. Wollen wir nur hoffen, daß das im Rahmen der Mainzer Johannisnacht veranstaltete "Fischerstechen auf dem Rhein" nicht allzu wörtlich genommen wird!
THOMAS FISCHER
Angelika Feilhauer: "Feste feiern in Deutschland". Ein Führer zu alten und neuen Volksfesten und Bräuchen. Sanssouci Verlag, München 2000. 408 S., Abb., geb., 39,80 DM.
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