Leben und leiht den Sprachlosen seine Stimme. Dem kleinen Federico verraten Wasser, Wind und Erde ihre Geheimnisse, er spricht die Sprache der Ameisen und Schnecken, er lernt eher singen als sprechen. Geheimnisse und Zaubersprüche, Unverstandenes, Unheimliches, Krankheitsphantasien und die Faszination des Todes aus diesen Erfahrungen speist sich Lorcas Dichtung. Obgleich wir sie alle kennen, sind sie doch zugleich an die südspanische Landschaft, an die Traditionen und Eigenheiten ihrer Orte und Menschen gebunden.
"Wer den Dichter will verstehen, muß in Dichters Lande gehen" dieser Aufforderung Goethes ist Vahle gefolgt; er hat Geburtshaus und Kindheitsdorf seines Lieblingsdichters besucht wie auch den Ort, an dem er von Faschisten ermordet wurde. Jahrelang haben ihn die Welt Lorcas, die Geschichten aus seinem Leben und die Theaterstücke beschäftigt. So ist dieses Buch Ertrag vieler innerer und äußerer Reisen. Das erste Kapitel ist der Kindheit und Jugend gewidmet, das zweite umkreist erzählend Motive und Verfahren des Werks, skizziert Entstehungsprozesse der Dichtung und akzentuiert ihre Herkunft aus Kinderspiel und Popularkultur, das dritte ist ein Reisebericht aus Lorcas Heimat. Stets werden Biographie und Werk aufeinander bezogen und erhellen sich wechselseitig.
Häufig hat Vahle die Geschichten und seine kleinen interpretierenden Kommentare vor einem Publikum vorgetragen, dazu Texte von Lorca zur Gitarre gesungen. Es ist ihm gelungen, den Tonfall der mündlichen Erzählung unverkrampft in die schriftliche Fassung hinüberzunehmen. Die kurzen Episoden erlauben ein hin und her schweifendes Lesen. Vahles Buch kann die Lorca-Lektüre begleiten oder überhaupt erst mit dem Dichter und mit Gedichten bekannt machen. Es regt zum Schreiben an, indem es poetische Verfahren offenlegt, kann als Reisebuch nach Spanien mitgehen und fördert das Verständnis der Lyrik des zwanzigsten Jahrhunderts. Das Buch entzieht sich den üblichen Alterszuschreibungen wie den vertrauten Gattungszuordnungen. Es ist weder ein biographischer Roman noch eine literaturwissenschaftliche Darstellung, keine Werkanalyse und kein literarischer Reiseführer. Von den Vereinfachungen pädagogisch bedachter Kinderbücher ist es ebenso entfernt wie von akademischem Anspruch. Was es dann ist? Ein poetisches Buch über Kindheit und Dichtung, Dokument einer literarischen Liebe und Faszination. GUNDEL MATTENKLOTT.
Frederik Vahle: "Federico oder Das Leben ist kein Hühnerspiel". Beltz & Gelberg, Weinheim 1995. 112 S., geb., 19,80 DM. Ab 12 J.
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