
Daniela Schwardt
Broschiertes Buch
'Fabelnd denken'
Zur Schreibabsicht und Wirkungsabsicht von Wolfdietrich Schnurre. Diss.
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Produktdetails
- Literatur- und Medienwissenschaft 69
- Verlag: Igel Verlag Literatur & Wissenschaft
- 1999.
- Seitenzahl: 294
- Deutsch
- Abmessung: 210mm
- Gewicht: 508g
- ISBN-13: 9783896210944
- ISBN-10: 3896210947
- Artikelnr.: 27062385
Herstellerkennzeichnung
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Feuerwasser im Salon
Ernst Blochs Feuilletons · Von Heinrich Detering
Am liebsten beginnt der Philosoph mit einer sententiösen Feststellung, die gern etwas schräg sein darf, beispielsweise: "Es ist nicht nötig zu leben." Diese Feststellung wird dann aber sogleich überboten von einer zweiten: "Es ist nötig, Schiff zu fahren." So, da hat man's. Verblüfft und gespannt wartet der Leser das Kunstpäuschen eines Absatzes ab, und dann wird er Zeuge einer ars combinatoria, die sich gewaschen hat. Nicht nur die beiden Thesen nämlich werden da ineinander geschlungen und gegeneinander ausgespielt, sondern gleich auch Detailbeobachtungen aus der Welt der Schiffahrt und eine kulturkritische Philosophie, die sich immer anhört,
Ernst Blochs Feuilletons · Von Heinrich Detering
Am liebsten beginnt der Philosoph mit einer sententiösen Feststellung, die gern etwas schräg sein darf, beispielsweise: "Es ist nicht nötig zu leben." Diese Feststellung wird dann aber sogleich überboten von einer zweiten: "Es ist nötig, Schiff zu fahren." So, da hat man's. Verblüfft und gespannt wartet der Leser das Kunstpäuschen eines Absatzes ab, und dann wird er Zeuge einer ars combinatoria, die sich gewaschen hat. Nicht nur die beiden Thesen nämlich werden da ineinander geschlungen und gegeneinander ausgespielt, sondern gleich auch Detailbeobachtungen aus der Welt der Schiffahrt und eine kulturkritische Philosophie, die sich immer anhört,
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als sei sie von Ernst Bloch.
Und von dem ist sie ja auch, wenngleich es sich hier nicht um den Theoretiker des Prinzips Hoffnung handelt, sondern um den philosophischen Essayisten und Geschichtenerzähler. Bekanntlich hat Bloch seit dem Ersten Weltkrieg Hunderte von Beiträgen für die "Weltbühne", die "Vossische" und andere Zeitungen geschrieben. Nicht wenige der schönsten Stücke erschienen zwischen 1928 und 1933 in der "Frankfurter Zeitung", manchmal unter dem eigenen Namen, manchmal unter dem Pseudonym "Karl Knerz". Fünfunddreißig dieser Texte hat Gert Ueding jetzt herausgegeben (abgesehen von einem Vorwort leider ganz unkommentiert). Elf davon erscheinen erstmals in einer Sammlung, die übrigen in der von den späteren Buchversionen erheblich abweichenden Gestalt, in der sie zuerst das Licht der Zeitungswelt erblickten.
Die Schreibanleitungen, die Bloch 1930 in "Spuren" notierte, nehmen hier im Taschenformat Gestalt an: "Man achte grade auf die kleinen Dinge", lautet die erste, und die zweite: "es ist gut, auch fabelnd zu denken". Die Formel gilt in zwei Richtungen: der Denker fabelt, der Fabulierer denkt. Vertieft in den Anblick einer alltäglichen Einzelheit, entdeckt er darin - und gerade darin - die Spuren der Götter: "Dionysos und die Trambahn" heißt eine dieser Fabeln aus demselben Jahr. Fabeln? Schon oft hat man versucht, den eigentümlichen Stil dieser Blochschen Kurzprosa zu bestimmen, die so eigensinnig zwischen philosophischer Meditation und Glosse, Erzählung und Aphorismus wechselt. Hier, im ursprünglichen Gewand, zeigt sich ihre Physiognomie erstaunlich klar und frisch: Was immer diese Texte im Sinn haben - zunächst und vor allem sind sie philosophische Feuilletons; stünden sie nicht in der Zeitung, ihr Platz im Bücherregal müßte irgendwo zwischen Walter Benjamin und Alfred Polgar sein. Daher die lässigen Überleitungen und Bonmots, daher auch die ebenso genregemäße Balance von Erkenntnis und Pointe. "Selbst die Kyniker", kalauert Bloch etwa über die Unmöglichkeit völligen Nichtstuns, "brachten es nur bis auf den Hund"; den Gegensatz von Spätromantik und Frühmoderne faßt er in den schlagenden Doppel-Slogan: "Hin zu Jesus" - "Zurück zur Natur". Und ganz nebenbei fällt einmal die Bemerkung: "ich war kaum dabei, als ich gezeugt wurde" - und wie messerscharf, wie spitzfindig schön ist dieses "kaum"!
Dem Geist des Feuilletons, und nicht nur den Urgründen der Kritischen Theorie, verdankt sich wohl überhaupt die Vorliebe für möglichst triviale Gegenstände, aus deren Betrachtung dann desto raffiniertere Folgerungen abgeleitet werden. Nicht immer freilich halten die Texte dieses Niveau. Eine selbst schon nicht sonderlich einleuchtende Bemerkung wie die, daß "die deutschen Sachen wenig voneinander wissen" (im Gegensatz zu den italienischen Dingen, die ja sämtlich per du sind), wird kulinarisch erläutert wie folgt: "Die Gerichte sind in sich und mit allen andern zugleich nicht so durchgekocht wie in Italien." Was entweder in sich besonders ausgekocht ist oder nur vormacht, wie kurz der Weg vom fabelnden zum faselnden Denken ist.
Dennoch - wer Blochs Feuilleton liest, wird fast immer unterhalten und belehrt. Er findet sich als Zaungast in einer ebenso geistreichen wie zwanglosen Runde, zwischen Kracauer und Mörike, Karl Marx und Karl May, Adorno und Jean Paul. Man plaudert lebhaft, aber nicht laut; das expressionistische Stakkato ist gedämpft vom eleganten Chic des Salons, der das Feuilleton der "Frankfurter Zeitung" ja schließlich auch gewesen ist, und Gastgeber Bloch präsentiert Fundstücke aus seiner großen Sammlung kleiner Dinge. Nicht anders freilich als zuweilen beim Nachbarn Walter Benjamin gibt bereits der Tonfall des eingeweihten Kenners zu erkennen, daß der Beobachter auch in den frappierenden Details der Alltagswelt nur glänzend bestätigt findet, was er eigentlich schon wußte. Weniger der Überprüfung einer Hypothese dienen die kleinen Dinge als vielmehr der auffrischenden Verfremdung von Bekanntem.
Wohl deshalb erweist sich auch der Umgang mit dem Vorgefundenen zuweilen als so erstaunlich unbekümmert. Daß "noch keine" der Weltreligionen "das Nichtstun gelehrt" habe, werden zumindest die Taoisten unter Blochs Gästen mit Überraschung vernommen haben. Und die persische Expedition der Schleswiger Herzöge - eine der Blochschen Traumreisen - begann schon deshalb nicht in Friedrichshaven, weil es einen Ort dieses Namens im Lande Schleswig gar nicht gibt. Aber die Fahrten, auf die Blochs Gedanken sich mit Vorliebe begeben, sind ohnehin nie ganz von dieser Welt; viel öfter führen sie über sie hinaus.
Denn natürlich sind auch diese Miniaturen durchtränkt vom Geist jenes utopischen Denkens, das an der Spannung in Coopers und Karl Mays Wildwestromanen vor allem rühmt, sie halte "in den Knaben Anfänge wach, die nicht nachhause gekommen sind". Wie Blochs - in denselben Jahren porträtierter - Thomas Müntzer zuweilen aussieht wie ein Old Shatterhand der Bauernkriege, so agieren in manchen dieser Feuilletons die Helden der populären Jugendkultur wie Bauernkrieger des Kinderzimmers. Nicht immer läßt sich da unterscheiden, wo Bloch in den Knabenträumen das Utopische erkennt und wo seine Utopien verlängerte Knabenträume sind. Überhaupt bedeutet ihm hier Literatur erstaunlich oft vor allem den Ausdruck einer utopischen Hoffnung, die sich zuvörderst als Abenteuerlust artikuliert. So reist er in Gedanken mit Paul Fleming nach Persien wie mit Karl May durchs wilde Kurdistan; barocke Romantitel wie "Blutiges, doch mutiges Pegu" oder "Die Asiatische Banise" beflügeln seine Phantasie; später, im Abendlicht, wecken dann biedermeierliche Genreszenen seine Sehnsucht nach Heimat.
Undenkbar wäre es diesem entschlossenen Utopisten, daß zwei Passanten einander mit der gedankenlosen Grußformel "Wie geht's? Gut?" etwa bloß auf Distanz der Höflichkeit hielten. So hätte Schopenhauer geargwöhnt. Dem spurenlesenden Bloch hingegen, dem Pfadfinder der Utopie, muß auch dieses flüchtige "gut" noch als "eilige Vorwegnahme des Wohlbefindens" im Abglanz kommender Güte aufleuchten. Heilig, heilig. Einmal, nachts unter südlichem Himmel und dem leuchtenden Auge Jupiters, widerfährt dem Reisenden dann tatsächlich die Epiphanie einer unentfremdeten Welt, die ihn umfaßt wie einen "Organismus"; und dann fühlt er sich zwischen Erde und Himmel wie "im Inneren eines Tierleibs, eines Welttierkörpers". Nirgends tritt hier der romantische Kernbestand von Blochs Utopie so offenkundig zutage wie in diesem pathetischen und rührenden Bild.
Wo freilich die Hoffnung so hochgemut ist, da liegt die melancholische Ernüchterung gefährlich nahe. "Erleuchtete Fenster", heißt es hier in einem für die Buchausgabe wieder gestrichenen Satz, "wirken warm, sogleich denken wir, dahinter muß Glück wohnen." Der Blick durch real existierende Jalousien am Berliner Hohenzollerndamm aber, in einem anderen Artikel, fällt dann bloß auf "die Kanapees, den Eßtisch, die Hängelampe und den Lokalanzeiger". Nur vier Wochen und drei Druckseiten trennen Gedanken und Beobachtung, Ahnung und Gegenwart. Während der frische Blick unverdrossen immer wieder die Ankunft des Glücks erwartet, erkennt der vertraute, daß es vielleicht nie da war. Weil aber das Licht hinter den Fenstern nicht erlöschen darf, darum ist hier der Verbrauch an exotischem Material so erheblich - weshalb sich denn auch über den trüben Mietwohnungen sogleich die Silhouette einer nahen russisch-orthodoxen Kirche hilfreich erhebt. Immer findet der Reisende neue Orte, an denen er wohnen möchte, das hält die Verheißung frisch; aber an keinem verweilt er. Es kann schon eine Hetz' sein, das Leben im Vorschein des Glücks.
Aber dafür wird es auch nur selten langweilig. Das blutige Pegu in Berlin, die Prärie in der "Frankfurter Zeitung" und der Philosoph als "lonesome rider": je länger dieser Gastgeber erzählt, desto mehr wandelt sich sein Salon zum Saloon und desto unterhaltsamer wird es für den Zaungast. In einem übermütigen Moment wünscht Bloch sich und uns einmal das "Feuerwasser der frommen Denkungsart" - mit der Begründung, daß beide, Frömmigkeit und Feuerwasser, sich gegenseitig scharfmachen. Er mixt schon erstaunliche Drinks, der fabelnde Denker; manche davon brennen noch lange nach der Party angenehm belebend in der Kehle.
Ernst Bloch: "Fabelnd denken". Essayistische Prosa aus der "Frankfurter Zeitung". Herausgegeben von Gert Ueding. Verlag Klöpfer & Meyer, Tübingen 1997. 176 S., geb., 38,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Und von dem ist sie ja auch, wenngleich es sich hier nicht um den Theoretiker des Prinzips Hoffnung handelt, sondern um den philosophischen Essayisten und Geschichtenerzähler. Bekanntlich hat Bloch seit dem Ersten Weltkrieg Hunderte von Beiträgen für die "Weltbühne", die "Vossische" und andere Zeitungen geschrieben. Nicht wenige der schönsten Stücke erschienen zwischen 1928 und 1933 in der "Frankfurter Zeitung", manchmal unter dem eigenen Namen, manchmal unter dem Pseudonym "Karl Knerz". Fünfunddreißig dieser Texte hat Gert Ueding jetzt herausgegeben (abgesehen von einem Vorwort leider ganz unkommentiert). Elf davon erscheinen erstmals in einer Sammlung, die übrigen in der von den späteren Buchversionen erheblich abweichenden Gestalt, in der sie zuerst das Licht der Zeitungswelt erblickten.
Die Schreibanleitungen, die Bloch 1930 in "Spuren" notierte, nehmen hier im Taschenformat Gestalt an: "Man achte grade auf die kleinen Dinge", lautet die erste, und die zweite: "es ist gut, auch fabelnd zu denken". Die Formel gilt in zwei Richtungen: der Denker fabelt, der Fabulierer denkt. Vertieft in den Anblick einer alltäglichen Einzelheit, entdeckt er darin - und gerade darin - die Spuren der Götter: "Dionysos und die Trambahn" heißt eine dieser Fabeln aus demselben Jahr. Fabeln? Schon oft hat man versucht, den eigentümlichen Stil dieser Blochschen Kurzprosa zu bestimmen, die so eigensinnig zwischen philosophischer Meditation und Glosse, Erzählung und Aphorismus wechselt. Hier, im ursprünglichen Gewand, zeigt sich ihre Physiognomie erstaunlich klar und frisch: Was immer diese Texte im Sinn haben - zunächst und vor allem sind sie philosophische Feuilletons; stünden sie nicht in der Zeitung, ihr Platz im Bücherregal müßte irgendwo zwischen Walter Benjamin und Alfred Polgar sein. Daher die lässigen Überleitungen und Bonmots, daher auch die ebenso genregemäße Balance von Erkenntnis und Pointe. "Selbst die Kyniker", kalauert Bloch etwa über die Unmöglichkeit völligen Nichtstuns, "brachten es nur bis auf den Hund"; den Gegensatz von Spätromantik und Frühmoderne faßt er in den schlagenden Doppel-Slogan: "Hin zu Jesus" - "Zurück zur Natur". Und ganz nebenbei fällt einmal die Bemerkung: "ich war kaum dabei, als ich gezeugt wurde" - und wie messerscharf, wie spitzfindig schön ist dieses "kaum"!
Dem Geist des Feuilletons, und nicht nur den Urgründen der Kritischen Theorie, verdankt sich wohl überhaupt die Vorliebe für möglichst triviale Gegenstände, aus deren Betrachtung dann desto raffiniertere Folgerungen abgeleitet werden. Nicht immer freilich halten die Texte dieses Niveau. Eine selbst schon nicht sonderlich einleuchtende Bemerkung wie die, daß "die deutschen Sachen wenig voneinander wissen" (im Gegensatz zu den italienischen Dingen, die ja sämtlich per du sind), wird kulinarisch erläutert wie folgt: "Die Gerichte sind in sich und mit allen andern zugleich nicht so durchgekocht wie in Italien." Was entweder in sich besonders ausgekocht ist oder nur vormacht, wie kurz der Weg vom fabelnden zum faselnden Denken ist.
Dennoch - wer Blochs Feuilleton liest, wird fast immer unterhalten und belehrt. Er findet sich als Zaungast in einer ebenso geistreichen wie zwanglosen Runde, zwischen Kracauer und Mörike, Karl Marx und Karl May, Adorno und Jean Paul. Man plaudert lebhaft, aber nicht laut; das expressionistische Stakkato ist gedämpft vom eleganten Chic des Salons, der das Feuilleton der "Frankfurter Zeitung" ja schließlich auch gewesen ist, und Gastgeber Bloch präsentiert Fundstücke aus seiner großen Sammlung kleiner Dinge. Nicht anders freilich als zuweilen beim Nachbarn Walter Benjamin gibt bereits der Tonfall des eingeweihten Kenners zu erkennen, daß der Beobachter auch in den frappierenden Details der Alltagswelt nur glänzend bestätigt findet, was er eigentlich schon wußte. Weniger der Überprüfung einer Hypothese dienen die kleinen Dinge als vielmehr der auffrischenden Verfremdung von Bekanntem.
Wohl deshalb erweist sich auch der Umgang mit dem Vorgefundenen zuweilen als so erstaunlich unbekümmert. Daß "noch keine" der Weltreligionen "das Nichtstun gelehrt" habe, werden zumindest die Taoisten unter Blochs Gästen mit Überraschung vernommen haben. Und die persische Expedition der Schleswiger Herzöge - eine der Blochschen Traumreisen - begann schon deshalb nicht in Friedrichshaven, weil es einen Ort dieses Namens im Lande Schleswig gar nicht gibt. Aber die Fahrten, auf die Blochs Gedanken sich mit Vorliebe begeben, sind ohnehin nie ganz von dieser Welt; viel öfter führen sie über sie hinaus.
Denn natürlich sind auch diese Miniaturen durchtränkt vom Geist jenes utopischen Denkens, das an der Spannung in Coopers und Karl Mays Wildwestromanen vor allem rühmt, sie halte "in den Knaben Anfänge wach, die nicht nachhause gekommen sind". Wie Blochs - in denselben Jahren porträtierter - Thomas Müntzer zuweilen aussieht wie ein Old Shatterhand der Bauernkriege, so agieren in manchen dieser Feuilletons die Helden der populären Jugendkultur wie Bauernkrieger des Kinderzimmers. Nicht immer läßt sich da unterscheiden, wo Bloch in den Knabenträumen das Utopische erkennt und wo seine Utopien verlängerte Knabenträume sind. Überhaupt bedeutet ihm hier Literatur erstaunlich oft vor allem den Ausdruck einer utopischen Hoffnung, die sich zuvörderst als Abenteuerlust artikuliert. So reist er in Gedanken mit Paul Fleming nach Persien wie mit Karl May durchs wilde Kurdistan; barocke Romantitel wie "Blutiges, doch mutiges Pegu" oder "Die Asiatische Banise" beflügeln seine Phantasie; später, im Abendlicht, wecken dann biedermeierliche Genreszenen seine Sehnsucht nach Heimat.
Undenkbar wäre es diesem entschlossenen Utopisten, daß zwei Passanten einander mit der gedankenlosen Grußformel "Wie geht's? Gut?" etwa bloß auf Distanz der Höflichkeit hielten. So hätte Schopenhauer geargwöhnt. Dem spurenlesenden Bloch hingegen, dem Pfadfinder der Utopie, muß auch dieses flüchtige "gut" noch als "eilige Vorwegnahme des Wohlbefindens" im Abglanz kommender Güte aufleuchten. Heilig, heilig. Einmal, nachts unter südlichem Himmel und dem leuchtenden Auge Jupiters, widerfährt dem Reisenden dann tatsächlich die Epiphanie einer unentfremdeten Welt, die ihn umfaßt wie einen "Organismus"; und dann fühlt er sich zwischen Erde und Himmel wie "im Inneren eines Tierleibs, eines Welttierkörpers". Nirgends tritt hier der romantische Kernbestand von Blochs Utopie so offenkundig zutage wie in diesem pathetischen und rührenden Bild.
Wo freilich die Hoffnung so hochgemut ist, da liegt die melancholische Ernüchterung gefährlich nahe. "Erleuchtete Fenster", heißt es hier in einem für die Buchausgabe wieder gestrichenen Satz, "wirken warm, sogleich denken wir, dahinter muß Glück wohnen." Der Blick durch real existierende Jalousien am Berliner Hohenzollerndamm aber, in einem anderen Artikel, fällt dann bloß auf "die Kanapees, den Eßtisch, die Hängelampe und den Lokalanzeiger". Nur vier Wochen und drei Druckseiten trennen Gedanken und Beobachtung, Ahnung und Gegenwart. Während der frische Blick unverdrossen immer wieder die Ankunft des Glücks erwartet, erkennt der vertraute, daß es vielleicht nie da war. Weil aber das Licht hinter den Fenstern nicht erlöschen darf, darum ist hier der Verbrauch an exotischem Material so erheblich - weshalb sich denn auch über den trüben Mietwohnungen sogleich die Silhouette einer nahen russisch-orthodoxen Kirche hilfreich erhebt. Immer findet der Reisende neue Orte, an denen er wohnen möchte, das hält die Verheißung frisch; aber an keinem verweilt er. Es kann schon eine Hetz' sein, das Leben im Vorschein des Glücks.
Aber dafür wird es auch nur selten langweilig. Das blutige Pegu in Berlin, die Prärie in der "Frankfurter Zeitung" und der Philosoph als "lonesome rider": je länger dieser Gastgeber erzählt, desto mehr wandelt sich sein Salon zum Saloon und desto unterhaltsamer wird es für den Zaungast. In einem übermütigen Moment wünscht Bloch sich und uns einmal das "Feuerwasser der frommen Denkungsart" - mit der Begründung, daß beide, Frömmigkeit und Feuerwasser, sich gegenseitig scharfmachen. Er mixt schon erstaunliche Drinks, der fabelnde Denker; manche davon brennen noch lange nach der Party angenehm belebend in der Kehle.
Ernst Bloch: "Fabelnd denken". Essayistische Prosa aus der "Frankfurter Zeitung". Herausgegeben von Gert Ueding. Verlag Klöpfer & Meyer, Tübingen 1997. 176 S., geb., 38,- DM.
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