kommt Montaigne ins Spiel. Die "Essais" sind ein Buch, das am liebsten keines wäre: Montaigne begann damit, sie zu diktieren, nachdem sein bester, sein einziger Freund Etienne de la Boetie an der Pest gestorben war. Noch in ihren erhabensten Passagen sind sich die "Essais" darüber im klaren, ein unzulänglicher Ersatz für Gespräche mit einem abwesenden Freund zu sein.
Immerhin, Montaigne bemüht sich, er hat ja auch keine andere Wahl. Er argumentiert, assoziiert, schweift ab, erzählt Witze und Anekdoten, ereifert sich über Ärzte, die ihren Patienten den Genuß von Melonen verbieten wollen, selbst aber davon nicht lassen können, und es entsteht ein Text, der sich bei häufiger Lektüre in gesprochene Sprache zurückverwandelt, bis man irgendwann meint, Montaignes Gascogner Dialekt zu lesen.
Das Bild des kleinen Montaigne in seinem gemütlichen Turmzimmer sollte freilich nicht dazu verleiten, ihn und sein Werk zu unterschätzen: Die "Essais" haben gar nicht so viele Zeilen, wie der Autor Botschaften dazwischen vermittelt. Als Bürgermeister von Bordeaux und Berater der wichtigsten Politiker seiner auch nicht gerade übersichtlichen Zeit waren ihm keine strategischen und taktischen Tricks fremd, und er teilt sie mit seinen Lesern, allerdings an völlig unvermuteten Stellen. Man muß also genau hinhören. Montaigne redet in den "Essais" gegen die Einsamkeit, gegen den Tod an, jahrzehntelang - und scheitert. Was bleibt, ist grandiose Literatur.
NILS MINKMAR
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