(Panofsky), über "die Messkunst der Kaufleute" (Baxandall) und den daraus resultierenden Kunsthandel ausgiebig gehandelt.
Der Wirtschaftswissenschaftler Michael Hutter rollt diese und andere Kunstgeschichten aus der Sichtweise seiner Disziplin noch einmal unter dem Begriff des "Spiels" auf. Es geht um das Spielgeschehen zweier "autonomer Wertsphären", um die über "ernste Spiele" ineinander verflochtene Wirtschaft und die Kunst. Spiele stehen am Ursprung der Kultur und charakterisieren Handlungen im sozialen Feld, wenn Regeln aufgestellt, umgangen und erweitert, wenn Strategien erdacht und verfolgt werden, wenn Vergnügen, Selbstdarstellung, Machtgier, Entdeckerdrang, Rechthaberei und Bereicherung als Motivationen gelten - und wenn ein Spielfortgang, wie das Leben selbst, unvorhersehbar ist. Als einen Spezialfall des kulturellen Spiels sieht Hutter die "Koevolution von Kunst und Wirtschaft". Wenn diese beiden Systeme miteinander spielen, so die These, kann das zu "neuen, stabilen Systemerrungenschaften" führen.
In zwei Akten führt Hutter seine Leser durch ein Buch, das wie eine kunsthistorische Studie bebildert ist. Der erste Teil beginnt mit einer Erzählung der frühneuzeitlichen Perspektivgeschichte unter dem Paradigma der kommerziellen Wertschöpfung. Hutter, versiert in der kunsthistorischen Forschung, eilt durch diesen Klassiker in einer für die Kunstwissenschaft höchst irritierenden Weise: In der Sicht des Ökonomen, der das "Spiel mit dem Fluchtpunkt" beobachtet, ist die Perspektivkunst, gleich welchen Inhalt sie vermittelt, ein "handwerklich-technisches Hilfsmittel", das zum "mentalen Modell" wird und schließlich "kulturell etablierten Erwartungen" entsprach.
Kunstwerke wie der Petersdom sind dann vor allem Räume, in denen "illusionistische Effekte" erzielt werden, oder Objekte, welche die Linearperspektive wirkungsvoller, wertvoller und vor allem am Markt gut verkäuflich machen. Der Künstler avanciert zum Herrscher, der seinen Auftraggebern Spiele der Macht mit Hilfe von Illusionsräumen eröffnet. In dieser Lesart wird die durch Linearperspektive erzeugte sinnliche Illusion - und nicht ihr oft schwer verständlicher geistiger Gehalt - zum eigentlichen, zum kommerziellen Motor der Kultur, die in die gegenwärtige "Erlebnisgesellschaft" führt.
Am Ende des ersten Teils führt Hutter mit Mies van der Rohes Seagram Building und Warhols "Flower Series" in das New York der sechziger Jahre. Die endmoderne Architektur, als Prestige generierendes Lifestyleobjekt für einen Whiskey-Fabrikanten erdacht, erzählt Hutter als grandiose Wertschöpfungskette, die mit stilbildenden Rasterproportionen und massengefertigten Baumaterialien die "Grundregeln des globalen Bildkunstspiels" von elitären zu populären Inhalten, von singulären zu seriellen Werken umstellte.
Der Prestigegewinn, der mit hohen Gesamtkosten für das Gebäude erkauft wurde, schlug sich damals erstmalig in einem steuerlich erhobenen prestige value für die Seagram-Firma nieder. Zur selben Zeit stellte Andy Warhol seine Bildproduktion auf Serie und machte mit Suppendose und Blütenblättern, die er massenweise anfertigen ließ, eine bis dato beispiellose Künstlerkarriere. Jedes Siebdruckgemälde ist das Paradox eines in Serie gefertigten Originals, genügte damit einem traditionellen Kunstbegriff und half den Wert einer einzigen Bildidee massenhaft zu versilbern.
Den zweiten Teil des Buches widmet Hutter den Einwirkungen des Kapitals auf die Kunst. Auch dieses Kapitel der Kunstgeschichte beginnt im fünfzehnten Jahrhundert und endet vorläufig mit Takashi Murakamis Vuitton-Shop, der Verlängerung der Pop-Art in der Gegenwart. Gezielt benutzt die Luxusgüterindustrie Kunst zum Zweck der Wertschöpfung, nämlich durch Implementierung von Murakami-Zeichen in das Vuitton-Monogramm auf knapp gehaltenen Editionen von Damenhandtaschen.
Und auch das öffentliche Kunstmuseum wird jetzt zum interessierten Mitspieler, wenn es Murakamis Vuitton-Editionen samt Verkaufsboutique zur Retrospektive lädt. Hutter legt hier die Einzelheiten strategisch kalkulierter Verwickelungen von Kunst und Kommerz auf den Tisch - die auf nichts anderes als eine fortschreitende Austreibung des Geistes aus der Kunst mit den Techniken der Ökonomie hinausläuft.
CHRISTIANE KRUSE.
Michael Hutter: "Ernste Spiele". Geschichten vom Aufstieg des ästhetischen Kapitalismus. Wilhelm Fink Verlag, München 2015. 276 S., Abb., br., 34,90 [Euro].
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