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Ebba Dangschat
Buch
Erlesene Orte
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Erlesene Orte
Produktdetails
- Verlag: Gerstenberg
- ISBN-13: 9783806728811
- ISBN-10: 380672881X
- Artikelnr.: 10330516
Herstellerkennzeichnung
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Lesen, bis die Wimpern klimpern
Wohin ziehen sich Menschen zur Lektüre zurück, die ohne Bücher nicht leben können? Eine fotografische Recherche öffnet den Zugang zu "erlesenen Orten".
VON FRANZ JOSEF GÖRTZ
"Ein Leser hat's gut", sagt Kurt Tucholsky, "er kann sich seine Schriftsteller aussuchen." Umgekehrt wäre es zumindest ein apartes Gedankenspiel: daß einmal im Leben auch die Autoren sich ihre Leser selber wählen dürften. Um zu entscheiden, wen sie in bequemen Sesseln oder auf ihrer Couch Platz nehmen ließen. Und wer nur einen Stuhl ohne Arm- und Rückenlehne, ein Stehpult oder eine Sprosse der Bibliotheksleiter zugewiesen bekäme.
Im Gehen, Stehen oder beiläufigen Sitzen liest man Waschzettel,
Wohin ziehen sich Menschen zur Lektüre zurück, die ohne Bücher nicht leben können? Eine fotografische Recherche öffnet den Zugang zu "erlesenen Orten".
VON FRANZ JOSEF GÖRTZ
"Ein Leser hat's gut", sagt Kurt Tucholsky, "er kann sich seine Schriftsteller aussuchen." Umgekehrt wäre es zumindest ein apartes Gedankenspiel: daß einmal im Leben auch die Autoren sich ihre Leser selber wählen dürften. Um zu entscheiden, wen sie in bequemen Sesseln oder auf ihrer Couch Platz nehmen ließen. Und wer nur einen Stuhl ohne Arm- und Rückenlehne, ein Stehpult oder eine Sprosse der Bibliotheksleiter zugewiesen bekäme.
Im Gehen, Stehen oder beiläufigen Sitzen liest man Waschzettel,
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Klappentexte und Kritiken, aber weder Gedichte noch Romane, nicht mal Erzählungen und Essays. Lebensgeschichten, auch frei erfundene, nimmt man nicht im Vorübergehen in die Hand. Und liest auch nicht mit feuchtem Zeigefinger - so als sei man gewissermaßen bloß auf der Durchreise und jeden Augenblick zum Umsteigen bereit.
Mag man sich solch unsichere Kantonisten als Leser wünschen? Es gibt, meint Tucholsky, ohnedies nur drei Sorten: die nichtschreibenden, die schreibenden und die nichtlesenden Leser. Und vielleicht hat man, als Lyriker wie als Romancier, tatsächlich keine Wahl. Sondern nimmt sie, wie sie kommen und gehen. Und schickt die nichtlesenden am besten gleich ins Theater. Die schreibenden Leser sind meist Kollegen. Konkurrenten also, vor denen man stets auf der Hut sein muß. Bleiben die nichtschreibenden Leser. Die sind Schriftstellern die liebsten von allen - auch wenn oder gerade weil sie meistens schweigen, nicht mitreden wollen, sondern sich auf das Zuhören verlegen. Oder sich mit dem puren Lesen begnügen und darüber das richtige Leben vollkommen aus dem Blick verlieren.
Wie man die Nichtschreibenden von den Nichtlesenden und die Schreibenden von den Lesenden unterscheidet, speziell die nichtlesenden Schriftsteller von den nichtschreibenden Lesern und die berufsmäßigen Leser von den Nichtlesern unter den professionellen Schreibern? Ebba Dangschat hat sie der Reihe nach allesamt fotografiert: lesend und schweigend, denkend und trachtend. Allein oder mit anderen, in Haus und Hof oder auf weiter Flur. In Bus und Bahn, in Bett und Bad. Das Kinn aufgestützt oder eine Wange. Am Meeresstrand und am Waldesrand, in der Kneipe und im Grandhotel, bei Wasser und Wein, Tee und Kaffee. Mal mit brennender Zigarette zwischen den Fingern oder einem Säbel in der Hand, mal mit einem Revolver in Griffnähe. Wenn nicht umgeben von Kinderspielzeug, dann von Schreibgerät und Kochgeschirr - und selten die Zeitung, noch seltener ein Gesangbuch vor sich auf dem Tisch. Adrett frisiert oder die Haare scheitellos zerzaust, entwaffnend müde oder demonstrativ nach innen gekehrt.
Eine abgrundtief theatralische Enzyklopädie also, ein intimes Journal von den Proben für ein Einpersonenstück auf der Volksbühne. Wer vor der Kamera posiert, ist grundsätzlich Hauptdarsteller. Die Wahl der Kulisse steht ihm frei, auch über die Requisiten entscheidet er selbst. Selbstverständlich auch über sein Kostüm. Gedeckter Anzug wie die Verleger Michael Klett und Siegfried Unseld? Oder Räuberzivil mit Rollkragenpullover wie der Opernregisseur Christoph Marthaler? Badekleidung wie der Tänzer Gregor Seyffert oder mattglänzendes Leder zum geschniegelten Filzhut wie der Filmregisseur Volker Schlöndorff?
Die Damen sind übrigens in Kleidungsfragen deutlich unentschlossener. Die Schriftstellerin Tanja Dückers zum Beispiel läßt in der Badewanne nur Schaum an ihre Haut. Ihre Kollegin Jenny Erpenbeck verkriecht sich unerreichbar unter dem Plumeau. Während die Clownin Gardi Hutter nur eben in Rock und Pulli geschlüpft ist, ihre Haarfarbe aber auf den Pulli und ihren Pulli auf den Einband des Buches abgestimmt hat, das sie in der Mitte aufgeschlagen übers Geländer gehängt hat wie ein Wäschestück.
Vor Ebba Dangschats Kamera durften die sorgfältig ausgewählten Damen und Herren erst, wenn sie zwei Denksportaufgaben gelöst hatten: "Wie sieht ein Ort aus, an dem man sich gern in ein Buch vertieft?" Und, zweitens: "Wie sind sie gebaut, die Denkräume, in denen wir intellektuelle Diskurse und philosophische Abenteuer verfolgen?" Keine Fragen an Baumeister. Und noch weniger an Philosophen oder Diskurstheoretiker. Sondern an Designer und Bühnenbildner, Damenschneider und Herrenausstatter.
Sich in ein Buch vertiefen? Gern. Aber was trägt dazu, wer auf sich hält? Und welche Orte wären die unverfänglichsten, wenn man es nur auf ein schnelles, ein oberflächliches philosophisches Abenteuer abgesehen hätte? Jedes Buch ist recht und jeder Ort willkommen - sofern sich damit Eindruck machen läßt. Die einen versuchen es kokett mit Groschenheften oder Harry Potter, die anderen lässig mit Homer und Ovid. "Entweder du liest eine Frau", sagt Tucholsky, "oder du umarmst ein Buch, beides zugleich geht nicht." Darum hat der weise George Tabori die Bücher beiseitegelegt. Und streichelt lächelnd seinen geduldigen Hund.
Ebba Dangschats Buch "Erlesene Orte" ist im Gerstenberg Verlag erschienen und kostet 39,90 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mag man sich solch unsichere Kantonisten als Leser wünschen? Es gibt, meint Tucholsky, ohnedies nur drei Sorten: die nichtschreibenden, die schreibenden und die nichtlesenden Leser. Und vielleicht hat man, als Lyriker wie als Romancier, tatsächlich keine Wahl. Sondern nimmt sie, wie sie kommen und gehen. Und schickt die nichtlesenden am besten gleich ins Theater. Die schreibenden Leser sind meist Kollegen. Konkurrenten also, vor denen man stets auf der Hut sein muß. Bleiben die nichtschreibenden Leser. Die sind Schriftstellern die liebsten von allen - auch wenn oder gerade weil sie meistens schweigen, nicht mitreden wollen, sondern sich auf das Zuhören verlegen. Oder sich mit dem puren Lesen begnügen und darüber das richtige Leben vollkommen aus dem Blick verlieren.
Wie man die Nichtschreibenden von den Nichtlesenden und die Schreibenden von den Lesenden unterscheidet, speziell die nichtlesenden Schriftsteller von den nichtschreibenden Lesern und die berufsmäßigen Leser von den Nichtlesern unter den professionellen Schreibern? Ebba Dangschat hat sie der Reihe nach allesamt fotografiert: lesend und schweigend, denkend und trachtend. Allein oder mit anderen, in Haus und Hof oder auf weiter Flur. In Bus und Bahn, in Bett und Bad. Das Kinn aufgestützt oder eine Wange. Am Meeresstrand und am Waldesrand, in der Kneipe und im Grandhotel, bei Wasser und Wein, Tee und Kaffee. Mal mit brennender Zigarette zwischen den Fingern oder einem Säbel in der Hand, mal mit einem Revolver in Griffnähe. Wenn nicht umgeben von Kinderspielzeug, dann von Schreibgerät und Kochgeschirr - und selten die Zeitung, noch seltener ein Gesangbuch vor sich auf dem Tisch. Adrett frisiert oder die Haare scheitellos zerzaust, entwaffnend müde oder demonstrativ nach innen gekehrt.
Eine abgrundtief theatralische Enzyklopädie also, ein intimes Journal von den Proben für ein Einpersonenstück auf der Volksbühne. Wer vor der Kamera posiert, ist grundsätzlich Hauptdarsteller. Die Wahl der Kulisse steht ihm frei, auch über die Requisiten entscheidet er selbst. Selbstverständlich auch über sein Kostüm. Gedeckter Anzug wie die Verleger Michael Klett und Siegfried Unseld? Oder Räuberzivil mit Rollkragenpullover wie der Opernregisseur Christoph Marthaler? Badekleidung wie der Tänzer Gregor Seyffert oder mattglänzendes Leder zum geschniegelten Filzhut wie der Filmregisseur Volker Schlöndorff?
Die Damen sind übrigens in Kleidungsfragen deutlich unentschlossener. Die Schriftstellerin Tanja Dückers zum Beispiel läßt in der Badewanne nur Schaum an ihre Haut. Ihre Kollegin Jenny Erpenbeck verkriecht sich unerreichbar unter dem Plumeau. Während die Clownin Gardi Hutter nur eben in Rock und Pulli geschlüpft ist, ihre Haarfarbe aber auf den Pulli und ihren Pulli auf den Einband des Buches abgestimmt hat, das sie in der Mitte aufgeschlagen übers Geländer gehängt hat wie ein Wäschestück.
Vor Ebba Dangschats Kamera durften die sorgfältig ausgewählten Damen und Herren erst, wenn sie zwei Denksportaufgaben gelöst hatten: "Wie sieht ein Ort aus, an dem man sich gern in ein Buch vertieft?" Und, zweitens: "Wie sind sie gebaut, die Denkräume, in denen wir intellektuelle Diskurse und philosophische Abenteuer verfolgen?" Keine Fragen an Baumeister. Und noch weniger an Philosophen oder Diskurstheoretiker. Sondern an Designer und Bühnenbildner, Damenschneider und Herrenausstatter.
Sich in ein Buch vertiefen? Gern. Aber was trägt dazu, wer auf sich hält? Und welche Orte wären die unverfänglichsten, wenn man es nur auf ein schnelles, ein oberflächliches philosophisches Abenteuer abgesehen hätte? Jedes Buch ist recht und jeder Ort willkommen - sofern sich damit Eindruck machen läßt. Die einen versuchen es kokett mit Groschenheften oder Harry Potter, die anderen lässig mit Homer und Ovid. "Entweder du liest eine Frau", sagt Tucholsky, "oder du umarmst ein Buch, beides zugleich geht nicht." Darum hat der weise George Tabori die Bücher beiseitegelegt. Und streichelt lächelnd seinen geduldigen Hund.
Ebba Dangschats Buch "Erlesene Orte" ist im Gerstenberg Verlag erschienen und kostet 39,90 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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