Drogen durchsucht oder Jugendliche einer Ausweiskontrolle unterzogen - nur weil sie zu später Stunde unterwegs sind. Für das oft beleidigende, proaktive Handeln der Beamten erkennt Fassin nicht zuletzt in der Langeweile eine Ursache. Die Sicherheitskräfte würden schlicht zu selten gebraucht, denn in Frankreich sinke die Kriminalitätsrate in den letzten fünfzig Jahren stetig.
Fassin hat seine Forschungsergebnisse 2011 in dem Buch "La force de l'ordre. Une anthropologie de la police des quartiers" veröffentlicht. Mitte Juli erscheint nun die englische Ausgabe (Didier Fassin: "Enforcing Order. An Ethnography of Urban Policing". John Wiley & Sons, Hoboken 2013, 320 S., geb., 69,90 [Euro]). Vor allem geht es dem Autor darin um die Moral der Beamten: Wie rechtfertigt ein Polizist sein Handeln vor sich selbst? Nimmt er es als gerecht wahr? Denken alle Mitglieder der Brigade gleich rassistisch?
Diese Fragen hat Fassin, der in Princeton und Paris Sozialwissenschaften lehrt, auch in einem Vortrag am Dienstag dieser Woche in Frankfurt erörtert. Dazu eingeladen hatte ihn der Frankfurter Kunstverein, der seine aktuelle Ausstellung "Ohnmacht als Situation" mit einer Veranstaltungsreihe begleitet. Anschaulich schilderte Fassin, welche Faktoren zu diskriminierenden Aktionen der Sicherheitskräfte führen, die sich hauptsächlich gegen Jugendliche aus unteren Schichten, Immigranten und Roma richten.
Negativ wirke sich unter anderem aus, dass viele der Polizisten nicht dort aufgewachsen seien, wo sie eingesetzt werden. Weil sie weder das Terrain noch die Bewohner kennten, fühlten sie sich schneller bedroht. Einer Bedrohung wiederum glaubten die Beamten hart begegnen zu müssen. Polizisten, die das herabsetzende Verhalten ihrer Kollegen offen anprangerten, gebe es kaum, so Fassin. Wer sich unwohl fühle, lasse sich eher still und leise versetzen: Als Begründung werde die Familie oder die Karriere vorgeschoben. Die meisten aber machen mehr oder minder bereitwillig mit.
ANNE KOHLICK
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