Wessi als Ossi-Versteher. Nun zieht er Bilanz - Zeitzeuge in eigener Sache.
Vom "Einheitslabor Berlin und Brandenburg" spricht er, "weil sich nirgendwo sonst in Deutschland Ost und West seit der Wiedervereinigung so durchmischen, wie das in der ehemals geteilten Stadt und dem sogenannten Speckgürtel rund um Berlin im Brandenburgischen der Fall ist". In 46 Berichten, Betrachtungen, Impressionen und Kommentaren unterschiedlicher Länge breitet er aus, was er wahrgenommen und erlebt hat, im politischen und gesellschaftlichen Alltag, in seiner Redaktion, in Begegnungen mit Spitzenpolitikern in Berlin und Potsdam: Lothar de Maizière etwa, "der erste frei gewählte und gleichzeitig letzte Ministerpräsident der DDR", dem er Verdienste um das Tempo beim Abschluss des Einigungsvertrages bescheinigt, oder Manfred Stolpe, der langjährige brandenburgische Ministerpräsident, dem seine ungeteilte Sympathie gehört: "Die Attribute, die sich mit ihm verbinden ließen, waren die preußisch-protestantischen, die des Pflichtmenschen." Marianne Birthler teilte diese Meinung nicht und trat 1992 unter Protest als Stolpes Bildungsministerin zurück.
Rost wollte kein "Enthüllungsbuch" verfassen. Gleichwohl bringt er unpopuläre Wahrheiten zur Sprache, benennt Konflikte wegen Stasi-Belastungen aus der Vergangenheit, er rügt das Scheitern der von ihm befürworteten Länderfusion Berlin-Brandenburg. Er schreibt meinungsfreudig, packt auch heiße Eisen an, beklagt Mängel und Widersprüche im Einheitsvertrag, die darin getroffenen Entschädigungsregelungen zum Beispiel. Ungeachtet aller Kritik begreift er den Einigungsprozess als Erfolgsgeschichte und die deutsche Wiedervereinigung als historischen Glücksfall.
KARL WILHELM FRICKE
Klaus Rost: Einheitslabor oder Kleine DDR? Streifzüge durch ein neu gegründetes Land: Brandenburg nach der Wende. Märkische Verlags- und Druck-Gesellschaft, Potsdam 2014. 288 S., 19,90 [Euro].
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