bei einer Auktion in New York für umgerechnet 70 000 Pfund den Besitzer. In diesem Fall mag die unbefleckte Qualität des Objektes wie das Versprechen für ein besonderes erotisches Verhältnis gewirkt haben. So zahlte der Liebhaber die zusätzlichen 50 000 Pfund für das Jungfernhäutchen wahrscheinlich gern.
Einer, der von solchen Besessenen lebt und deren Liebe teilt, ist der 1945 in Amerika geborene Literaturwissenschaftler Rick Gekoski. Frisch in Oxford promoviert, nahm er 1972 an der Warwick University einen Lehrauftrag für Englische Literatur an. Nach zehn Jahren, in denen er über Joseph Conrad die Studie "The Moral World of the Novelist" verfaßte, hatte er genug von Vorlesungen und machte sein Hobby zum Beruf: Seit 1982 betreibt Gekoski am Londoner Bloomsbury Square seinen Fachhandel für seltene Bücher. Dabei hat er sich auf die Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts mit dem Schwerpunkt Erstausgaben und Widmungsexemplare spezialisiert, führt aber auch Handschriften, organisiert Auktionen, versorgt Büchersammler und Universitäten.
Wenn er in seinem Buch "Eine Nacht mit Lolita" die Publikationsgeschichte von fünfzehn herausragenden Werken der Moderne nachzeichnet, "nach deren Erstausgaben sich die Sammler die Finger lecken", tut er dies aus der Perspektive des Raritätenhändlers, der darüber Auskunft geben kann, was den Mehrwert ausmacht. Die sehr subjektive Auswahl vereint so unterschiedliche Autoren wie D. H. Lawrence und J. R. R. Tolkien, Sylvia Plath und Salman Rushdie sowie Jack Kerouac und Jerome David Salinger. "Tolkien's Gown & Other Stories of Great Authors and Rare Books", so der Titel der Originalausgabe, die 2004 bei Constable in London erschien und fünf weitere Beiträge sowie Abbildungen der behandelten Werke enthält, basiert auf der Sendung "Rare Books, Rare People" von BBC Radio 4.
Der Autor verschweigt nicht, daß manches Zitat, das im BBC-Schallarchiv vorlag, "eher um seiner selbst willen als zur Unterfütterung einer These" verwendet wurde. Wer aber keine literaturwissenschaftlichen Ausführungen erwartet und sich an knackigen Anekdoten aus der Bücherwelt erfreuen kann, kommt auf seine Kosten. Die Leichtigkeit seines Vortrags und sein Wissen dürften den Vorsitzenden der Jury für den Man Booker Award 2005, John Sutherland, veranlaßt haben, Gekoski in das Gremium zu berufen.
Auch wenn fast alle Geschichten irgendwann auf einen stolzen Pfund-Betrag zulaufen, den Gekoski für eine Rarität bezahlt hat oder den er einstreichen konnte, sind dies nicht die Berichte eines Pfennigfuchsers. Vielmehr spricht hier einer mit der Leidenschaft des Buchliebhabers, der als geschickter Fischer im Treibgut der Literaturwelt agiert und sich mit seinen kleinen Editionen The Sixth Chamber Press und The Bridgewater Press selbst als Verleger betätigt. Er erzählt mit Witz die Geschichten, die fast hinter jedem guten Buch stecken; Geschichten von altmodischen Handpressen und seltenen Schutzumschlägen, von verrückten Sammlern und glücklichen Zufällen, von Mißverständnissen und Eitelkeiten.
Mal, wie bei Evelyn Waughs Roman "Wiedersehen mit Brideshead" (1945), steht die für den Autor quälende Entstehung eines Buchs im Vordergrund seiner Ausführungen, mal die sich schwierig gestaltende Veröffentlichung wie bei James Joyces "Ulysses" (1922). Dann wieder zeigt er auf, wie die Rezeption häufig von Zufällen gelenkt wurde: Im Fall von Kerouacs Roman "Unterwegs" (1957) wirkte sich der Dienstplan bei der "New York Times" günstig für den jungen Autor aus. Da Orville Prescott, ein konservativer Mann, an jenem Septembertag freihatte, schrieb der Gelegenheitskritiker Gilbert Millstein eine euphorische Besprechung und verglich das Buch mit Hemingways "Fiesta". Anderentags tobte Prescott, und Millstein hat nie wieder ein Buch für die Zeitung rezensiert. Kerouac aber soll später zu dem Geschaßten gesagt haben: "Das ist Gilbert Millstein - er hat mich gemacht."
Bei Gekoskis Erzähltemperament kann es nicht ausbleiben, daß ihm seine Ausführungen gelegentlich allzu theatralisch geraten. Daß Kritiker in den Vereinigten Staaten für das Motiv der Männerliebe in Oscar Wildes "Das Bildnis des Dorian Gray" (1890) empfänglicher waren als die Kollegen in England, führt er etwa darauf zurück, daß die Amerikaner "zu sehr damit beschäftigt waren, Bären zu töten und Eisenbahnen zu bauen". Und Salinger, der 1951 den Kultroman "Der Fänger im Roggen" veröffentlichte, habe als Soldat bei der Landung in der Normandie 1944 "in der einen Hand ein Gewehr und einen Füllfederhalter in der anderen" gehabt.
Gleichwohl schlürfen sich die Anekdoten so weg wie die Drinks, die Gekoski nicht selten zum Einsatz brachte, um den Kauf einer Rarität einzuleiten. Bei Graham Greene etwa half er mit Wodka nach, als der ihm 1988 im Londoner "Ritz" ein Widmungsexemplar von Vladimir Nabokovs Roman "Lolita", den Maurice Girodias 1955 in seiner Olympia Press in Paris publiziert hatte, zum Kauf anbot und mit 4000 Pfund zufrieden war. Nach dem geschäftlichen Teil und einem weiteren Wodka gestand der Romancier dem Buchhändler: "Joseph Conrad und Henry James sind Romanautoren der Güteklasse A. Ich spiele nicht in dieser Liga. Ich bin B." Nach nur einer Nacht mit "Lolita" trennte sich Gekoski für 9000 Pfund von dem Schmuckstück. 1992 kam das Buch zurück in seine Hände, für 13 000 Pfund. Doch wieder trennte er sich schnell von den zwei dunkelgrünen Bänden. Knapp zehn Jahre später fiel in einer Christie's-Auktion der Hammer bei einem Gebot von 264 000 Dollar. Gekoski saß verwundert und voller Reue im Publikum. Besonders schöne Geschichten weiß er über den Einfluß von Autoren zu berichten, die mit einer Äußerung einen Bucherfolg begünstigt haben. William Goldings "Herr der Fliegen" (1954) etwa hatte keinen leichten Start. Angeblich hatten zweiundzwanzig Verleger den heutigen Weltbestseller abgelehnt, bevor sich Faber and Faber traute. Zaghaft gingen positive Besprechungen ein. "Aber die Verkäufe schossen erst in die Höhe, als E. M. Forster den Roman zu seinem Buch des Jahres machte", berichtet Gekoski. Ähnlich war es bei "Lolita": In einem Interview mit der "Sunday Time" nannte Graham Greene das Buch eines der drei besten des Jahres 1955 - und machte damit "einen bis dahin unbeachteten Roman der lesenden englischen Öffentlichkeit bekannt". Doch zur Berühmtheit gelangte der Skandalroman in England erst, als der Herausgeber des "Sunday Express", John Gordon, seine Replik auf Greenes Lob abfeuerte: "das dreckigste Buch, das ich je gelesen habe. Reine, zügellose Pornographie."
Solche Geschichten sind heute selten geworden, und Gekoskis Buch macht uns bewußt, wie sich der Buchmarkt seither verändert hat. Verlagsleute sprechen heutzutage ja auch nicht vom Erstveröffentlichungstag, sondern vom Auslieferungstermin und stecken ihre Stapelware in häßliche Plastikpellen. Sollte Gekoskis Buch in achtzig Jahren selber als Rarität gehandelt werden, so stünde im Verkaufskatalog etwa folgendes: Erschienen in Deutschland am 13. September 2006. Format: 21 mal 12,5 Zentimeter. Gesetzt aus der Garamond. Leineneinband mit geprägter Illustration. Ohne Schutzumschlag. Rotes Lesebändchen.
REINHARD HELLING
Rick Gekoski: "Eine Nacht mit Lolita. Begegnungen mit Büchern und Menschen". Aus dem Englischen übersetzt von Rainer Moritz. Claassen Verlag, Berlin 2006. 202 S., geb., 16,90 [Euro].
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