sie sind von der ersten Minute an ineinander verliebt. Doch während sie sich näherkommen und am Rande der Wüste mit einer Flasche Wodka auf den guten Ausgang anstoßen, entdecken sie, dass sie gemeinsame Bekannte haben, ja, dass sie über Liebespartner, die ihrerseits eine Affäre hatten, längst biographisch miteinander verstrickt sind.
Eva reagiert mit einem Weinkrampf, was zunächst übertrieben scheint. Doch am Ende behält die junge Astrophysikstudentin recht. In einer der nach Adams Rückkehr zwischen New York und Israel hin- und hergehenden Mails berichtet sie ihm von der Entdeckung einer dunklen Materie im Weltraum, die viel mehr Platz einnimmt als das der Wissenschaft Bekannte. Was man für die Wirklichkeit hält, macht "vielleicht vier Prozent" des Ganzen aus. "Und den Rest, die dunkle Materie, sehen wir nicht, wir verstehen sie nicht, wir sind nicht in der Lage, sie zu entschlüsseln. Der größte Teil der Welt ist ein Geheimnis."
Eva ist die aus Russland ausgewanderte Tochter eines Kosmonauten, der von einer Mission im All nicht mehr zurückgekehrt ist. Ihr Autor gibt ihr nicht nur die Neugier für die Rückseite des Mondes, sondern auch für die Schattenseite menschlicher Beziehungen mit. Die Doktorandin schließt, rechnet hoch, analysiert, was ihr an Details aus Adams Leben zugänglich wird, und sie lässt sich bereitwillig auf seine Forderung ein, keine Minute ihres Lebens vor ihm zu verbergen. Doch während sie in den mikroskopischen Bereichen ihrer physikalischen Forschung mit "supersymmetrischen" Teilchenpartnern zu tun hat, entdeckt sie bald, dass Adam sich unsymmetrisch zu ihrer Offenheit verhält. Als sie ihm von einer Affäre mit ihrem Chef berichtet, der wie ihr New Yorker Liebhaber verheiratet ist, macht Adam ihr Vorwürfe und versucht, in ihr Handeln einzugreifen. Eva hat Adam schon aufgegeben, als ein überraschender Umstand sie dazu bewegt, doch in der Thanksgiving-Woche zu Adam nach New York zu fahren.
Der Roman beginnt mit Adams verlogenem Abschied von seiner Gattin Ruth. Er täuscht eine Geschäftsreise nach Washington vor, mietet sich jedoch in einem Hotel am Washington Square ein, das, wie wir nach und nach erfahren, ein bewährtes Liebesnest für seine Affären ist. Der in Jerusalem lehrende Mathematikprofessor Aner Shalev erzählt die Geschichte aus Adams Perspektive, weil sich nur so die fehlende Symmetrie zu Evas offenherzigen Mails herstellen lässt, die im Rückgriff auf die Vergangenheit kapitelweise eingestreut werden. Während sie die undurchsichtige Welt ihres Geliebten mit wissenschaftlichem Elan zu ergründen trachtet, glaubt Adam ans Geheimnis: "Es gibt uns die Individualität zurück in einer Welt, in der sich zu viele Informationen zu schnell und kritiklos verbreiten", denn "den Segen findet man nur in den Dingen, die dem Auge verborgen sind".
Adams allzu menschlicher Denkfehler liegt darin, dass er sein egoistisches Verhalten zwar vor den Augen interessierter anderer verbergen, selbst aber den Überblick über deren Handeln behalten möchte. Auf diese Weise kann niemand an seinen Hilfskonstruktionen rütteln, mit denen er etwa entschuldigt, dass er kurz vor Evas Ankunft noch mit Ruth geschlafen hat: "Nein, er war keiner, der fremdging, grundsätzlich war er treu, nur dass er jeden Tag einer anderen Frau treu war." Als Eva aus dem Hotel verschwindet, kokettiert Adam mit einer Stippvisite bei seiner Frau, doch dann entdeckt er in einem Internetcafé eine Nachricht von Tanja, einer weiteren Geliebten, die in schöner Symmetrie zu Evas Affäre mit ihrem Chef die Frau des Adam vorgesetzten Konsuls ist. Die Mail ruft sofort intensive Sehnsucht in Adam ab. Die monotone Liste des Begehrens setzt sich fort, sie unterscheidet sich kaum vom Lobpreis der Reize seiner anderen Geliebten.
Sich selbst gesteht Adam ein, dass er von Evas Besuch eine "Wiederholung der Woche mit Tanja" erwartet und schon in der joggenden Fremden am Straßenrand eine Tanja-Doppelgängerin gesehen hatte. Der Unfall war also kein Unfall, sondern eine gezielte Aktion des konservativen Unbewussten, das die Wiederholung vertrauter Muster anstrebt. Eva ahnt von Anfang an die mythische Verstrickung, die sich daraus ergibt, dass Tanja die Geliebte ihres Exfreunds Sascha war. Sie hat nur ein Mittel, um dem Verhängnis zu entkommen: "Die Wahrheit ist die unkonventionellste Waffe, die ich besitze, und deshalb die gefährlichste." Gegen die Neigung des zwei Jahrzehnte älteren Adam, den Schein aufrechtzuerhalten und die immergleiche Geschichte mit wechselnden Frauen zu leben, versetzt Eva ihn in eine Versuchsanordnung, die eine klare Entscheidung von ihm erzwingt. Bis zum Schluss begreift Adam nicht, was von ihm verlangt wird. "Eva, die ihn immer auf die Probe stellte, ihn die ganze Zeit kontrollierte, beobachtete und beurteilte, er war nach zwei Tagen mit ihr schon völlig erschöpft." Bei einem Parkspaziergang hockt Adam sich im Schneidersitz nieder und ist nicht mehr von der Stelle zu bewegen. "Plötzlich erfüllte ihn die Sehnsucht nach etwas Unklarem, von dem er gehofft hatte, es diesmal zu bekommen, anscheinend vergeblich." Für einen Moment sieht es so aus, als würde der Zusammenbruch ihn aus seiner existentiellen Passivität befreien; das Paar steigt auf das World Trade Center und erlebt ein kleines Wunder, denn es beginnt zu schneien. Beide empfinden das als Gnade und Chance eines Neuanfangs. Sie sind dem Weltraum näher als sonst und damit auch der dunklen Materie, die in den Flocken für einen Augenblick transparent wird. Die Wahrheit, die sich ihnen offenbart, hat mit der Anerkennung von Kälte und Einsamkeit als Grundbedingungen einer Existenz zu tun, die einen fast aussichtslosen Kampf gegen gewohnheitsmäßige Verblendungen führt.
Aner Shalevs Roman ist auf lakonische Art sehr symbolisch. Das Scheitern des Aufbruchs deuten eine zerbrechende Champagnerflasche an und eine Ameisenkolonie, die sich über den verschütteten Sekt einen Pfad ins Bett bahnt: schwarze Materie, in der das Verdrängte auf dämonische Weise triumphiert. Shalevs Buch ist weniger eine Sündenfallerzählung als eine Parabel über die Paralleluniversen von Mann und Frau. Im Zeitalter der Informationsexplosion versucht Adam seine Individualität durch den Rückzug in die Höhle eines anonymen Hotelbetts zu retten. Vier Prozent Wahrheit sind ihm für glücklichen Sex mehr als genug. Eva hingegen versteht die Liebe als Abschussbasis in den Kosmos der restlichen sechsundneunzig Prozent des Weltgeheimnisses. Ihr Interessenkonflikt ist uralt und bis heute die Matrix von Katastrophen.
- Aner Shalev: "Dunkle Materie". Roman. Aus dem Hebräischen übersetzt von Mirjam Pressler. Berlin Verlag, Berlin 2007. 286 S., geb., 29,90 [Euro].
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