nach einem misslungenen Fluchtversuch vom Militärregime inhaftiert, später aber als Staatenlose nach Thailand ausgeflogen und kam von dort in die Vereinigten Staaten.
Wendy Law-Yone war als Heranwachsende das Opfer der in Diktaturen üblichen Sippenhaft. Ihr Vater war bis zum Militärputsch von 1962 Herausgeber der von ihm selbst gegründeten einflussreichen englischsprachigen Zeitung The Nation und saß seit März 1963 in "Schutzhaft". Law-Yone beschreibt eindrucksvoll die Szene, wie er um drei Uhr nachts - auch das eine beliebte Zeit in Diktaturen aller Couleur - abgeholt wurde.
Aus dieser Zeit stammt ihre persönliche Beziehung zu Friedrich Dürrenmatt, wie sie gleich im ersten Satz ihrer Berner Antrittsvorlesung konstatiert: "Ich begegnete Friedrich Dürrenmatt das erste Mal in meiner Teenagerzeit - mit 17 Jahren, um genau zu sein." Die Sippenhaft bestand in ihrem Fall darin, dass sie "als Tochter eines prominenten politischen Gefangenen nicht nur das Land nicht verlassen durfte, sondern mich auch nicht an einer Universität einschreiben durfte". Stattdessen beginnt sie, durch Vermittlung der deutschen Freundin ihres älteren Bruders, an einem regierungsamtlichen Institut Deutsch zu lernen, umzingelt von ausnahmslos männlichen Staatsbeamten.
Natürlich hätte der Programmdirektor des Instituts, ein Dr. Lechner, dem Law-Yone in ihrer Vorlesung ein Denkmal setzt, sie nicht aufnehmen dürfen. Sie ist dort Gasthörerin und stößt nun auch auf deutsche Literatur, Goethe, Hölderlin, Heine, übersetzt Letzteren ("Das Fräulein stand am Meere") probehalber ins Englische und schreibt schließlich selbst deutsche Lyrik oder was sie dafür hält. Davon erzählt sie nicht ohne die nötige Selbstironie. Derselbe Dr. Lechner nimmt sie, nachdem der Kurs zu Ende ist, mit, um die Bibliothek des Goethe-Institus aufzuräumen und zu verpacken, das wie andere Kulturinstitute vor ihm in Myanmar nicht mehr erwünscht ist.
"Während ich begierig durch die Bücherstapel ... schnüffelte, stieß ich auf ein schmales Bändchen, einen englischen Titel in der deutschsprachigen Abteilung. Der Besuch der alten Dame." Dass es gerade dieses Stück war, auf das Law-Yone damals stieß, bildet ein halbes Jahrhundert später das Zentrum ihrer Berner Antrittsrede und mündet in eine Reflexion über das Leitmotiv Rache: nicht nur in der bekannten Geschichte von Dürrenmatts Claire Zachanassian, sondern auch in Bezug auf Law-Yones zweiten Roman, "Irrawaddy Tango" (1993). Rache sei eine der ältesten Geschichten der Welt, führt sie Beispiele aus der Weltliteratur an und kann sich nicht George Orwells Argumentation anschließen, der im Essay "Rache ist sauer" behauptet, sobald das Gefühl der Ohnmacht verschwinde, verschwinde auch die Rachsucht. Dagegen Law-Yone: "Sauer für wen, frage ich mich. Vielleicht für den unbeteiligten Beobachter. Verfliegt die Lust, Rache zu nehmen, wirklich, wenn die Möglichkeit, Rache zu nehmen, entsteht? Ich bin da nicht so sicher." In einer Zeit, in der überall Versöhnung gleich welcher Art beschworen und die "Spaltung der Gesellschaft" beklagt wird, sind das ebenso ungewohnte wie wohltuende Töne.
Im Übrigen ist "Dürrenmatt and Me - Eine Passage von Burma nach Bern" ein Lehrstück darüber, dass Literatur nach wie vor ein Instrument sein kann, die Welt zu erschließen und sich zu ihr zu verhalten. Zur Erfahrung der Fremdheit und des dauerhaften Exils (Wendy Law-Yone lebt seit zwei Jahrzehnten mit ihrem britischen Ehemann in London) zitiert die Autorin Roberto Bolaño: "Jeder Schriftsteller wird durch die bloße Tatsache, dass er sich in die Literatur hinauswagt, zum Exilanten." Dass die Abschiedsvorlesung der Autorin auf einem Berner Friedhof vor dem Grab Bakunins endet, hat mit der schlimmsten Wendung, die Dürrenmatt als Charakteristikum einer zu Ende gedachten Geschichte festgelegt hat, nichts zu tun, denn von dort geht es in der Rede immerhin direkt nach Ithaka.
JOCHEN SCHIMMANG
Wendy Law-Yone: "Dürrenmatt and Me". Eine Passage von Burma nach Bern. Englisch/Deutsch.
Aus dem Englischen von Johanna von Koppenfels. Mit einem Nachwort von Marijke Denger. Hrsg. von Oliver Lubrich. Verbrecher Verlag, Berlin 2021. 172 S., br., 18,- [Euro].
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