befreien, muß aber erfahren, daß die Bäume keinesfalls in den Himmel wachsen. Doch immer dann, wenn sich die Figuren nicht entfalten können, treiben ihre Gefühle, wie Rainer Werner Fassbinder 1971 schrieb, die seltsamsten Blüten.
Sirks bisweilen allzu üppig wuchernde Natursymbolik fiel bei Fassbinder auf fruchtbaren Boden und war bereits wenige Monate später in den Äpfeln und Birnen von dessen eigenem Film "Händler der vier Jahreszeiten" mit Händen zu greifen. Im Jahr darauf publizierte Jon Halliday seinen Interviewband "Sirk on Sirk", der nun endlich auch auf deutsch vorliegt. Diese von Hans-Michael Bock und Michael Töteberg sorgfältig edierte Ausgabe wurde um damals unveröffentlicht gebliebene Gesprächspassagen erweitert und mit zusätzlichen Texten versehen.
Halliday leistete Pionierarbeit, als er Sirks Melodramen aus den Fünfzigern, die bis dahin oft als kommerzieller Kitsch abgetan wurden, zu rehabilitieren half. Noch wenige Jahre zuvor hatte Sirk als Hollywood-Konfektionär gegolten. Aus heutiger Sicht erscheinen die von Halliday nur flüchtig gestreiften vierziger und frühen fünfziger Jahre, in denen Sirk weit weniger schwerblütige, aber nicht minder interessante Filme drehte, als gleichrangige Schaffensperiode. Ein flankierender Essay hätte dieses Defizit ausgleichen können.
Das Interview ist faszinierend zu lesen und im besten Sinne lehrreich. Man folgt Sirk gern auf seinen Exkursen bis in die griechische Antike, auch wenn er seine Filme dabei interpretatorisch gelegentlich überfrachtet. Es wird erkennbar, daß gerade sein Bildungshorizont, seine Neugier und seine Weltoffenheit ihn in die Lage versetzten, die Enge der amerikanischen Kleinstadt, in der sich viele seiner Figuren mit ihren maßlosen Gefühlen wie in einem Gefängnis fühlen, besonders intensiv nachzuempfinden. Der in Hamburg als Hans Detlef Sierck geborene Regisseur, der 1937 wider Willen zum Weltbürger wurde, als er trotz guter Karriere-Aussichten mit seiner jüdischen Ehefrau Hilde Jary Deutschland den Rücken kehrte, gehört zu den wenigen Film-Emigranten, deren Arbeit für längere Zeit um das ländliche Amerika kreiste.
Sirk hatte 1929 die Direktion des Alten Theaters in Leipzig übernommen und trotz politisch umstrittener Inszenierungen auch unter den Nazis als Theater- und Filmregisseur reüssiert. Halliday konnte das Handikap, die Bühnen-Inszenierungen Sirks nicht aus eigener Anschauung zu kennen, durch Recherche kompensieren. Gelegentlich eilt er allerdings etwas zu schnell zur nächsten Frage weiter. Über die Heidelberger Festspiele von 1935 erzählt Sirk: "Als ich am nächsten Morgen aufwachte, fand ich ein Telegramm vor, aus dem ich erfuhr, daß ich für die gesamten Festspiele verantwortlich sei. Das wurde ein Alptraum für mich. Hitler war da, Göring, Goebbels und Gott weiß, wer noch alles." Halliday hakt hier leider nicht nach.
Das Buch ist das Porträt eines Mannes, der stets den Mut hatte, auf den Höhepunkten seiner Karriere etwas Neues anzufangen. In Nazi-Deutschland wurde er dazu gezwungen, doch als er sich Ende der Fünfziger nach seinem mit Abstand größten kommerziellen Erfolg, "Imitation of Life" (1958), aus Hollywood zurückzog und ins Tessin übersiedelte, geschah dies - trotz gesundheitlicher Krise - letztlich aus freien Stücken. Sirk mag geahnt haben, daß ihm das neue Jahrzehnt mit einer gänzlich veränderten Filmindustrie kaum mehr zu bieten gehabt hätte als ein würdeloses Alterswerk. LARS-OLAV BEIER
Douglas Sirk: "Imitation of Life". Ein Gespräch mit Jon Halliday. Herausgegeben von Hans-Michael Bock und Michael Töteberg. Aus dem Englischen übersetzt von Robert Wohlleben. Verlag der Autoren, Frankfurt am Main 1997. 344 S., br., 42,- DM.
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